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Interessenkonflikte und militärische Eskalation

Ein Band über den Ersten Weltkrieg

Von Gerd Bedszent *

Zum demnächst ins Haus stehenden 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges gab es bereits eine Unzahl von Veröffentlichungen. Die meisten Beiträge versuchen nach Kräften, die Ursachen des Gemetzels auf den Schlachtfeldern als eine unglückselige Verkettung von Zufällen oder als Folge von Fehlentscheidungen einzelner Politiker dazustellen. Publizisten am rechten Rand wittern Morgenluft und leugnen – kaum verbrämt – die Mitschuld des wilhelminischen Kaiserreichs am vierjährigen Weltenbrand. Eine sehr löbliche Ausnahme ist der Abriß »Deutschland und der Erste Weltkrieg« des Historikers Gerd Fesser.

Fesser, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR, charakterisiert präzise die Rivalität der imperialistischen Großmächte kurz nach der Wende, vom 19. zum 20. Jahrhundert, schildert ihre Zusammenstöße bei der kolonialen Aufteilung der Welt als Kriegsursache. Das Deutsche Kaiserreich versuchte, durch umfängliche Flottenrüstung dem britischen Empire die Stirn zu bieten und machte gleichzeitig Ansprüche auf französischen Kolonialbesitz in Afrika geltend. Gleichzeitig stritten die mit Deutschland verbündete Habsburger Monarchie und das mit Rußland verbündete serbische Königreich um die Konkursmasse des Osmanischen Reiches auf dem Balkan.

Wie Fesser schreibt, hatte »das Zusammenwirken eines Bündels von Entwicklungen und Faktoren« die Kriegsgefahr permanent erhöht. Zwar arbeitete keine der später kriegführenden Mächte bewußt auf einen Kriegsausbruch hin, doch nahm insbesondere Deutschland durch seine abenteuerliche Außenpolitik die militärische Eskalation bestehender Interessenkonflikte billigend in Kauf. Das Attentat von Sarajevo und das nachfolgende Ultimatum Österreich-Ungarns, welches faktisch auf eine Aufgabe der Souveränität Serbiens hinauslief, waren schließlich der Funke, welcher das Pulverfaß zum Explodieren brachte.

Wie Fesser weiter schreibt, war die Begeisterung breiter Bevölkerungsschichten bei Kriegsbeginn »ein Wunschbild zeitgenössischer Kriegsapologeten«, welches »von konservativen Historikern ungeprüft übernommen« wurde. Begeistert waren das Bürgertum und die großstädtische Intelligenz – bei Arbeitern und vor allem bei Bauern überwog die Sorge. Auch wenig bekannt: Die Sozialdemokratie in Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich und Großbritannien ließ sich zwar willig vor den Karren der Kriegstreiber spannen – in Rußland, Serbien und Italien blieben die Sozialisten jedoch bei einem entschiedenen Nein.

Knapp und präzise wird der Kriegsverlauf bis hin zum Zusammenbruch der Monarchie in Deutschland geschildert. Der Autor nimmt dabei eindeutig Partei für die Kriegsgegner – besonders die Rolle von Karl Liebknecht wird von ihm ausführlich gewürdigt. Ein eigenes Kapitel ist der rapiden Verschlechterung der Lebensmittelversorgung während des Krieges gewidmet – schon 1915 kam es in verschiedenen Städten zu Hungerkrawallen. Erwähnenswert sind auch die Abschnitte über den Zusammenbruch der Zarenherrschaft in Rußland und die Oktoberrevolution.

Das Buch erschien im Rahmen der Reihe »Basiswissen Politik / Geschichte / Ökonomie« bei PapyRossa. Es sei hiermit allen linken Kriegsgegnern empfohlen, die sich das notwendige Basiswissen zum Verständnis eines 100 Jahre zurückliegenden Krieges anlesen wollen.

Gerd Fesser: Deutschland und der Erste Weltkrieg. PapyRossa Verlag, Köln 2014, 123 Seiten, 9,90 Euro

* Aus: junge Welt, Montag 23. Juni 2014


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