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Grauen ins Netz gestellt

Britisches Nationalarchiv veröffentlicht über 1,5 Millionen Seiten zum Ersten Weltkrieg

Von Reiner Oschmann *

Der Erste Weltkrieg in Verlaufsmeldungen und aus der Sicht von Soldaten. Das Britische Nationalarchiv veröffentlicht digitalisierte Tagebücher im Netz.

Das Britische Nationalarchiv in Kew, im Westen der Hauptstadt London, ist eine Behörde, die das Nationalarchiv für England, Wales und das Vereinigte Königreich umfasst. Schottland und Nordirland haben eigene Archive. The National Archives (TNA), wie die Einrichtung heißt, behauptet, die weltgrößte Archivsammlung zu besitzen. Eines ihrer berühmtesten Dokumente ist das Original des Domesday Book, das der Normanne Wilhelm der Eroberer 1086 anfertigen ließ. Es bildet eine exquisite Quelle für Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

Momentan macht das TNA mit einer anderen Aktion von sich reden: Es beginnt mit der Veröffentlichung von über 1,5 Millionen Seiten, auf denen britische Kriegsteilnehmer die Schrecken des Ersten Weltkriegs schildern. Knapp hundert Jahre nach Beginn des »Great War«, ab 1941 auch förmlich als Erster Weltkrieg bezeichnet, stellt Großbritannien die Kriegstagebücher ins Internet, in denen Offiziere das Kriegsgeschehen festhielten. Gleichzeitig hat das Archiv Freizeit-Historiker aufgerufen, die Auswertung zu unterstützen.

Die Digitalisierung der Tagebücher soll die Erinnerungen zeitgemäß bewahren. Als erster Schritt wurden rund 2000 Dokumente ins Netz gestellt. Die Tagebücher sind offizielle Aufzeichnungen der Frontkommandeure. Sie enthalten neben den täglichen Verlaufsmeldungen des Kriegsgeschehens aber auch Erfahrungen und Eindrücke einfacher Soldaten. Die Unterlagen sowie Aussagen von Archivspezialisten in Kew über den Horror des Frontalltags stehen vielfach im Kontrast zu hehren Kommentaren von den damaligen – wie heutigen – politischen Kommandohöhen.

James Patterson vom 1. Infanterie-Bataillon der South Wales Borderers etwa notierte am 16. September 1914 von der Westfront in Frankreich: »Schwärme von Deutschen auf der Anhöhe, ziemlich dicht gedrängt. Unsere Geschütze eröffnen das Feuer auf sie aus 1800 Yard Entfernung, und durch das Fernglas bietet sich ein schreckliches Bild: Trauben von Deutschen in Stücke gerissen.«

Die konservativ-liberale Regierung Cameron hat vor dem 100. Jahrestag des Weltkriegsbeginns durch einen Vergleich mit den »Feiern« zum 60. Thronjubiläum der Königin im Sommer 2012 für Irritationen und Proteste gesorgt. Antikriegs-Aktivisten, Pazifisten und andere kritisieren die pathetische »Heldenerzählung« des Ehrungsprogramms, das am 4. August mit einem Empfang der Königin für die Staats- und Regierungschefs des Commonwealth in der Kathedrale von Glasgow beginnen soll.

Der Komponist und Musiker Brian Eno gehört zu der Kampagne »No Glory« (ruhmlos). Er sagte: »Uns besorgt, dass der Krieg als etwas Ruhmreiches und als Teil unseres nationalen Erbes dargestellt werden soll, obwohl das so nicht zutrifft. Der Krieg war eine komplette Katastrophe, die ganz und gar unnötig war und eine ganze Generation zerstörte.«

www.nationalarchives.gov.uk [externer Link]

* Aus: neues deutschland, Freitag, 17. Januar 2014


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