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Arno Klönne ist tot

Sein Selbstverständnis war, wo immer nötig Widerspruch zu formulieren. Nun ist der Historiker und Publizist im Alter von 85 Jahren gestorben

Von Tom Strohschneider *

Es kam ganz oft vor, da war man selbst als Frühaufsteher im Redaktionsbüro nur der Zweite: Arno Klönne hatte sich schon gemeldet. Im Emailpostfach ein Angebot für einen Kommentar über Merkels Bilanz oder das Zuschandereiten der Demonstrationsfreiheit, über falsche Bekenntnisse zum schönen »zweiten Maschinenzeitalter« oder den wiederauferstandenen Zombie FDP.

»Interesse?«, lautete die immergleiche Betreffzeile. Und dann wünschte er noch beste Grüße.

Am Freitag hat uns die Nachricht erreicht, dass Arno Klönne gestorben ist. Wir verlieren nicht nur einen Autor, sondern auch einen intellektuellen Bezugspunkt, einen Ratgeber. Geboren 1931 in Bochum, hatte Arno Klönne ab Anfang der 1950er Jahre in Marburg und in Köln studiert - Geschichte, Soziologie und Politik. Bei Wolfgang Abendroth promovierte er über die Hitlerjugend, sein Interesse galt aber ebenso dem Jugendwiderstand im Dritten Reich. Politisch engagierte er sich in der Ostermarschbewegung, war beteiligt an der Gründung des Plattenlabels »pläne«.

Schon 1960 hatte er die SPD verlassen – aus Kritik an der Position Herbert Wehners zur NATO. Er kehrte zurück, blieb jedoch ein kritischer Geist, womit die Sozialdemokratie nicht leben wollte – sie schloss ihn, der bis 1974 Vorstandsmitglied des SPD-Bezirks Ostwestfalen-Lippe war, für zwei Jahre von allen Parteiämtern aus. Zu dem Zeitpunkt war er bereits Professor für Soziologie in Münster – eine von vielen wissenschaftlichen Stationen in seinem Leben.

Anlass war damals ein Buch mit dem Titel: »Machte Wehner die SPD kaputt?« Klönne hatte die Frage beantwortet, Wehner, der ehemalige Kommunist und damalige SPD-Fraktionschef, würde »den traditionellen Charakter der SPD Zug um Zug« austilgen, »politische wie die materielle Korruption« fördern und überhaupt verhindern, dass die Sozialdemokraten Politik laut ihrer »ursprünglichen Bestimmung« machten. Der »Spiegel« schrieb seinerzeit, »eine Dokumentation über Herbert Wehner schockiert die SPD«. Klönne, »der intelligente Linksaußenseiter«, sei in der SPD ohnehin nur »bislang toleriert«. 1999 folgte seine Abrechnung mit der Partei: »Der lange Abschied vom Sozialismus: eine Jahrhundertbilanz der SPD«.

Nach seinem endgültigen Austritt aus der SPD im Jahr 2004 gründete Klönne die Demokratische Initiative Paderborn, eine freie Wählergemeinschaft, die aus dem Stand den Einzug in den Rat der Stadt schaffte. Die Initiative war keine rein kommunalparlamentarische Angelegenheit, es gab und gibt Verbindungen mit Selbstorganisierungen von Erwerbslosen, mit dem örtlichen linken Forum, mit den Protesten gegen die Hartz-Politik und die Kinderarmut.

1995 wurde Klönne, der 1978 eine Professur in Paderborn erhalten hatte, emeritiert. Politisch immer rastlos, gründete er 1997 die Zeitschrift »Ossietzky« mit, jene Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, die von früheren Autoren der 1993 eingestellten »Weltbühne« auf den Weg gebracht wurde.

Was die Selbstdarstellung der »Ossietzky« formuliert, nämlich wo immer nötig Widerspruch zu formulieren, war auch das Selbstverständnis von Arno Klönne: Widerspruch gegen eine kapitalistische Realität, die er nicht als »normal« akzeptieren wollte; Widerspruch gegen Rechtsradikale und ihre Schreibtischverbündeten; Widerspruch gegen Anpassung oder die Verirrungen der Linken.

Wir haben von diesem Widerspruch ebenso profitiert wie unsere Leserinnen und Leser: von klugen Einsprüchen, treffender Polemik, neuen Gedanken. Arno Klönne wird uns fehlen. Und das Emailpostfach, in dem sein »Interesse? Beste Grüße Arno« nun für immer fehlt, erinnert uns jeden Morgen daran.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 5. Juni 2015


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