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Absage an Militärforschung

Freiburger Universität hat Zivilklausel beschlossen. Karlsruher Institut für Technologie setzt dagegen auf »weiter so«

Von Markus Bernhardt *

Für Militärforschung wird die Luft an bundesdeutschen Universitäten dünner: Vergangene Woche hat sich die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg in den Kreis der Hochschulen mit »Zivilklausel« in der Grundordnung eingereiht. Der Senat der Universität schloß damit Militärforschung aus. Die Klausel besagt, »daß Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung – unter Wahrung der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit – auf friedliche Ziele ausgerichtet sein müssen«, heißt es in einer Mitteilung der Freiburger Universität. Das Rektorat kündigte an, dem Senat und dem Universitätsrat jährlich Bericht zu erstatten, ob diese Ziele eingehalten wurden.

Vor allem die Studentinnen und Studenten hatten sich in der Vergangenheit für die Einführung der Zivilklausel an der Albert-Ludwigs-Universität stark gemacht, die nach eigenen Angaben in den Jahren 2000 und 2002 insgesamt etwa 340400 Euro aus dem Haushalt des US-Verteidigungsministeriums erhalten hatte, um für die Militärs unter anderem an Software zur Gesichtserkennung zu arbeiten.

Die politischen Auseinandersetzungen um Militärforschung an deutschen Hochschulen hatten erst im November vergangenen Jahres einen neuen Höhepunkt erreicht. Damals wurde bekannt, daß hiesige Unis und Institute in den letzten Jahren mehr als zehn Millionen Dollar für Leistungen im Dienst des US-Militärs kassiert hatten.

Die »Linke Liste – Solidarische Stadt«, deren Vorläuferorganisation 1984 als »Friedensliste Freiburg« gegründet worden war, begrüßte nun den Senatsbeschluß. Die Universität habe damit einer langjährigen Forderung entsprochen. »Besonders erfreulich ist, daß der jährliche Bericht über die Einhaltung der Zivilklausel öffentlich zugänglich sein soll. Das schafft Transparenz«, konstatierte Gregor Mohlberg am Freitag für die Linke Liste. Dem pflichtete auch Hendrijk Guzzoni, Stadtrat der besagten Wählervereinigung, bei. Die Einführung der Zivilklausel an der Universität sei »ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel einer vollständigen Konversion aller militärischen Forschung und Produktion in unserer Stadt hin zu zivilen Nutzungen«, erklärte er.

Unterdessen kündigte das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ein Zusammenschluß des Helmholtz-Forschungszentrums und der dortigen Universität, an, auch zukünftig an der Militärforschung festhalten zu wollen. So bezeichnete KIT-Präsident Holger Hanselka die Zivilklausel in einem jüngst veröffentlichten Interview mit dem Online-Magazin ka-news.de als »Totschlägerargument« und als »nicht sinnvoll – und auch rechtlich nicht zulässig, denn sie würde die im Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit einschränken«.

Die »Initiative gegen Militärforschung an Universitäten« zeigte sich hingegen bestürzt »über das Ausmaß an militärischer Finanzierung für Forschungsprojekte des KIT und forderte »die unverzügliche Beendigung eines laufenden vom Office of Naval Research (US-Marine) finanzierten Projekts«. Die Friedensinitiative forderte erneut von Hanselka, endlich »für einen fairen Dialog über die Zivilklausel und die Kritik an der Militarforschung des KIT zu sorgen«.

* Aus: junge Welt, Montag, 3. Februar 2014

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Uni Freiburg nimmt in ihre Grundordnung eine Berichtspflicht des Rektors auf über militärische Forschung auf - Erklärung des AStA (3. Februar 2014)




Kriegsforschung an Unis: Mehr als bisher bekannt

Arne Meyer und Benedikt Strunz berichteten am 3. Februar 2014 in einem Beitrag für NDR Info, dass an niedersächsischen Universitäten in den vergangenen Jahren wesentlich mehr sicherheitsrelevante und militärtechnische Forschung durchgeführt wurde bislang öffentlich bekannt ist. Das gehe jedenfalls aus einem Papier aus dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium hervor. Darin ist von mehr als 100 Projekten die Rede. genau 148 Projekte waren es zwischen 2000 und 2013 offiziell, wie die niedersächsische Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) am 3. Februar mitteilte.

Ergebnisse der Recherche:

Das Ministerium hatte eine Anfrage bei den Universitäten gestellt, ob ihre Mitarbeiter in Projekten forschen, deren Auftraggebern militärische Interessen nahe liegen. Das Ergebnis: 21 Einrichtungen in Niedersachsen meldeten militärisch relevante Forschung, davon zehn Hochschulen. Darunter befinden sich die Unis in Hannover, Clausthal, Lüneburg, Braunschweig, Oldenburg, Göttingen und Osnabrück. Das Budget für diese Arbeiten: rund 25,3 Millionen Euro.
  • Wie aus der Liste zu erkennen ist, bekommt die Leibniz Universität Hannover das meiste Geld: Von 2010 bis 2015 sind das fast elf Millionen Euro für verschiedene militärische und sicherheitsrelevante Forschungsprojekte. Wissenschaftler entwickeln in Hannover beispielsweise vernetzte Kamerasysteme und Videoüberwachung.
  • An der Technischen Universität Braunschweig soll für das US-Verteidigungsministerium an Gefechtsköpfen für Langstreckenraketen gearbeitet worden sein. Z.B. werden Flugbahnen und Strömungsverhalten der Köpfe analysiert.
  • Auch an der Universität Clausthal gibt es laut der Liste militärische Forschung, von der nicht ganz klar ist, wer sie in Auftrag gegeben hat. Sicher ist bislang nur das Budget: Rund vier Millionen Euro bekommt die Hochschule für ihre Arbeit.
  • Auch die Leuphana Universität in Lüneburg ist an militärischen Forschungsprojekten beteiligt. Dort wird im Auftrag der Friedrich-Schiller-Universität Jena ein Wissenstest für Offiziersanwärter entwickelt. 60.000 Euro bekommt das Institut Mathematik und Didaktik dafür.
  • Auch nach Oldenburg sind Forschungsgelder geflossen. Das Pentagon unterstützte demnach die "Friedensuni" mit einem festen Auftrag: Das Ziel war die Erforschung des Orientierungssinns von Zugvögeln.
  • Auch die Universität Osnabrück hat vom US-Militär Geld für geheime Militärforschung erhalten. Nach Recherchen von NDR Info haben Wissenschaftler dort über die Hirnaktivitäten von Soldaten im Kampfeinsatz geforscht. Möglichst praxisnah, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Die Universität Osnabrück hat dafür rund 800.000 Euro vom US-Verteidigungsministerium bekommen.
  • An der Universität Göttingen gibt es Forschungsprojekte mit einem Budget von mehr als drei Millionen Euro. Dort wurde beispielsweise im Institut für anorganische Chemie an einer Notfalldiagnostik geforscht: Chemiker untersuchen die Zersetzung von Kampfstoffen. An der Universitätsmedizin wurde zudem untersucht, wie im Katastrophenfall die Bevölkerung sowie die zivilen Einsatzkräfte geschützt werden können. Nach Auskunft der Uni handle es sich dabei "nicht um Militärforschung". Aber was ist es dann?
Alle Informationen aus: Militärforschung bringt Unis Millionen, 4.02.2014; www.ndr.de (externer Link).

Beispiel Thüringen

"(...) Dort erfährt die Landesregierung »grundsätzlich nicht«, wer Drittmittel für welche Forschung einsammelt. Es sei denn, die Regierung startet eine Umfrage, weil Medien oder politische Gremien neugierig sind. Die hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Karin Kaschuba, war neugierig. Sie erfuhr – kaum etwas. Von der Frauenhofer-Gesellschaft ohnehin nicht, die pochte auf vereinbarte Vertraulichkeit. In die Militärforschung des US-Office of Neval Research involviert sind die TU Ilmenau und die Uni Jena. Auch die NATO und das Bundesverteidigungsministerium verteilen Aufträge. Vor allem die Wehrtechnische Dienststelle 71, sie beschäftigt sich mit maritimen Forschungen, ist in Thüringen zugange.

Eine sogenannte Zivilklausel, die Forschung auf friedliche Dinge begrenzen könnte, hält die Landesregierung in Erfurt für unnötig, ja sogar für unmöglich. Die würde – man kennt das Argument – die grundgesetzlich geschützte Forschungsfreiheit »unzulässig einschränken«."

* Quelle: Zivilklausel? Angeblich unmöglich. Von Hagen Jung. In neues deutschland, 4.02.2014




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