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"Uni Kassel verabschiedet Zivilklausel" - "Uni Kassel stimmt gegen Zivilklausel"

Selbstverpflichtung in die Präambel der Grundordnung aufgenommen - Studierende enttäuscht. Wir dokumentieren zwei Sichtweisen


1. Die Sicht des Präsidiums


Senat der Universität Kassel verankert „Zivilklausel“ in Teilgrundordnung

Der Senat der Universität Kassel hat eine Neufassung der Teilgrundordnung der Hochschule beschlossen. Sie enthält eine Selbstverpflichtung auf friedliche Ziele und eine Ausrichtung an zivilen Zwecken in Forschung, Entwicklung, Lehre und Studium. Das Präsidium muss noch zustimmen.

Mit dem Beschluss, den der Senat am Mittwoch (4. Dezember) in zweiter Lesung mit breiter Mehrheit fasste, wird der Teilgrundordnung der Universität eine Präambel vorangestellt. Anschließend an eine Beschreibung der allgemeinen Aufgaben der Universität heißt es darin: „Forschung und Entwicklung, Lehre und Studium an der Universität Kassel sind ausschließlich friedlichen Zielen verpflichtet und sollen zivile Zwecke erfüllen; die Forschung, insbesondere die Entwicklung und Optimierung technischer Systeme, sowie Studium und Lehre sind auf eine zivile Verwendung ausgerichtet.“ Diese umgangssprachlich als „Zivilklausel“ bezeichnete Bestimmung tritt ergänzend neben einen ähnlichen Passus, der sich bereits in den 2012 beschlossenen Orientierungen für Professorinnen und Professoren findet.

„Das Forschungsprofil der Universität Kassel bietet vergleichsweise wenig Anknüpfungspunkte für Rüstungsforschung. Dennoch müssen wir klären, wie wir als Universität dazu stehen. Dies hat der Senat nach einer ausführlichen und fruchtbaren Diskussion nun getan; ich begrüße das“, sagte Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, Präsident der Universität Kassel, zum Beschluss des Senats. „Diese Selbstverpflichtung in der Teilgrundordnung definiert eine Verhaltensnorm und ist ein deutlicher Appell an alle Professorinnen und Professoren, sich ihrer Verantwortung stets bewusst zu sein und entsprechend zu handeln. Die Universität schöpft damit den rechtlichen Rahmen voll aus, der durch die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Wissenschaft gesetzt wird.“ Prof. Postlep erklärte, Forschungsprojekte, die erwiesenermaßen in Widerspruch zur Präambel stehen, könnten von zentralen zusätzlichen Ressourcen der Universität ausgeschlossen werden. Sollte eine Professorin oder ein Professor also ein solches Projekt annehmen, würde sie oder er dafür dann keine Finanzmittel von der Universität erhalten, die über die Grundfinanzierung des Fachgebiets hinausgehen – also beispielsweise keine Mittel für Gerätschaften oder Gelder für zusätzliches Personal.

Der Wunsch einiger Senatoren nach einem besonderen Gremium, das Meldungen über Verdachtsfälle entgegennimmt und darüber berät, fand keine Zustimmung. Präsidium und Hochschulrat hatten dagegen erhebliche Bedenken vorgebracht, da das Hessische Hochschulgesetz (HHG) hier ein anderes Vorgehen festlegt. Laut § 1, Absatz 3 des HHG sind alle Mitglieder der Universität aufgerufen, sich an „den zuständigen Fachbereichsrat oder ein zentrales Organ der Hochschule“ zu wenden, wenn sie von Forschungsprojekten Kenntnis erlangen, „die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahr für die Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen herbeiführen können“. Zentrale Organe im Sinne des Gesetzes sind hier Senat und Präsidium.

Damit der Beschluss rechtskräftig wird, muss das Präsidium nun Einvernehmen mit dem Senat herstellen. Dies hat das Präsidium bereits in Aussicht gestellt.

Pressemitteilung der Uni Kassel, 5.12.2013


2. Die Sicht der Studierenden


Uni Kassel stimmt gegen Zivil- und Transparenz-Klausel

Auszeichnung mit dem "Goldenen Panzer 2013"
Pressemitteilung des AK Zivilklausel, 5. Dezember 2013


"Heute ist ein schwarzer Tag für den Frieden", konstatiert Julian Firges vom "Arbeitskreis Zivilklausel" an der Universität Kassel nach der Senatssitzung am Mittwoch (4. Dezember 2013). Kurz zuvor hatte sich der Senat mehrheitlich gegen die Einführung einer wirksamen Klausel, die Forschung und Lehre für militärische Zwecke an der Uni Kassel verwehrt, ausgesprochen: „Unsere Forderung nach Transparenz durch die Einführung einer Kommission, die auf nachhaltige, verantwortungsvolle und friedliche Wissenschaft achtet, wurde abgelehnt“, erklärt der sichtlich enttäuschte Firges. Dabei war die Ethikkommission bereits ein Kompromiss und vom Senat angenommen. Weitergehend fordern die Studierenden der Universität Kassel hochschulweite, noch besser öffentliche Transparenz.

Zwar hatte das Präsidium eine Ethikkommission sogar in einem eigenen Zivilklausel-​Entwurf im Juli noch selbst vorgesehen, der Hochschulrat der Universität hatte aber rechtliche Bedenken. Einen Versuch, diese zu belegen, gab es nie. Laut dem beratenden Gremium, in dem u.a. Vertreter der Wirtschaft sitzen, sei eine „Kommission für Ethik in Forschung und Lehre“ nicht mit dem Hessischen Hochschulgesetz vereinbar. „Dabei gibt es eine solche Kommission bereits an der Technischen Universität Darmstadt“, wirft Claudia Holzner vom AK Zivilklausel verwundert ein. Die junge Studentin macht zudem darauf aufmerksam, dass es an der Uni Kassel auch schon andere senatorische Kommissionen etwa zur Qualitätssicherung von Forschung und Studium gebe und die Argumentation des Hochschulrats damit hinfällig sei. Zwar hat der Senat in seiner Sitzung beschlossen, dass Militärforschung an der Universität eigentlich nichts zu suchen habe. Dies ist aber nur eine „soll“-​Bestimmung. Durch die Ablehnung der „Kommission für Ethik in Forschung und Lehre“ findet nicht einmal eine Kontrolle auf die Einhaltung statt.

Wie vom Arbeitskreis Zivilklausel befürchtet, schmückt sich die Universitäts-​Leitung in einer aktuellen Pressemitteilung damit, im Senat angeblich eine „Zivilklausel“ beschlossen zu haben. Die Studierenden bezeichnen diese aber als „Papiertiger“ – nicht ohne Grund: in der Vergangenheit wurden Fälle bekannt, bei denen an Universitäten mit ähnlich schwammig formulierten Klauseln dennoch Militärforschung stattfand – etwa an den Universitäten Tübingen und Konstanz. Auch an der Universität Kassel ist Kriegsforschung weiter problemlos möglich. Für Unmut bei den Mitgliedern des AK Zivilklausel sorgt aber nicht nur die Ablehnung einer wirksamen Zivilklausel sondern auch das Verhalten vieler Senats-​Mitglieder in der Sitzung. So lehnte der Senat ein Rederecht von Arbeitskreis Mitgliedern bei 7 Ja- und 6 Nein-​Stimmen per Enthaltungsmehrheit ab: „Was ist das für eine Diskussionskultur?“, fragt Claudia Holzner. Bereits im Sommer hatte das Präsidium einem Rechtsanwalt, der in einem juristischen Gutachten die Rechtmäßigkeit einer Zivilklausel bestätigt hat, den Zugang zur Senats-​Sitzung verwehrt. Holzner zeigt sich ob des Verhaltens der Universitäts-​Leitung bestürzt: „Auch das Votum der Studierendenschaft, die sich im Januar 2013 bei einer Ur-​Abstimmung mit einer überwältigenden Mehrheit von über 72 Prozent für eine verbindliche Zivilklausel ausgesprochen hat, wurde vom Senat vollkommen ignoriert.“

Wie es nun mit dem Streit für friedliche Forschung und eine wirksame Zivilklausel an der Universität Kassel weitergeht, wissen die Mitglieder des AK Zivilklausel noch nicht: „Wir müssen den Schock erstmal verkraften, immerhin haben wir fast zwei Jahre auf die Senats-​Sitzung hingearbeitet“, so Julian Firges. Frieden sei nach wie vor eine Frage des Willens, erklärt Firges weiter: „An beidem fehlte es heute dem Präsidium und dem Senat. Eine Schande.“

Als erste Reaktion auf die abgelehnte Zivilklausel verliehen Mitglieder des Arbeitskreis Zivilklausel dem Präsidium sowie den Senatorinnen und Senatoren, die gegen die Klausel stimmten, allerdings noch in der Sitzung den Satire-​Preis „Goldener Panzer 2013“. Uni-​Präsident Prof. Rolf-​Dieter Postlep nahm mit Handschlag eine Flasche „Panzer Sekt“ vom Arbeitskreis entgegen „Die deutsche Rüstungsindustrie dankt für Ihre Unterstützung! Auf Krieg und Tod! Wohl bekomms!“, war auf der Flasche zu lesen.

Quelle: http://zivilklauselkassel.blogsport.de/


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