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Kampf gegen Atomwaffen

Verantwortung für den Frieden: Vor 50 Jahren wurde von prominenten Physikern der Bundesrepublik die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler gegründet

Von Reiner Braun *

Vor 50 Jahren wurde auf der Herbsttagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin von einer Gruppe prominenter Physiker - unter ihnen Carl Friedrich von Weizsäcker, die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max von Laue - die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) gegründet. Am kommenden Wochenende wird mit einem Festakt und einer Konferenz an die Konstituierung am 1. Oktober 1959 erinnert.

Zwei Jahre zuvor - im April 1957 - waren diese Wissenschaftler mit der »Göttinger Erklärung« gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland an die Öffentlichkeit getreten. Das erste Mal in der Geschichte der deutschen Wissenschaft wandte sich eine derartig prominente Gruppe von Wissenschaftlern gegen die eigene Regierung und forderte sie auf, die atomare Rüstung aufzugeben. Ja, diese Wissenschaftler - es war keine Frau unter ihnen - gingen sogar noch einen Schritt weiter: sie verweigerten die Mitarbeit an diesem Rüstungsprojekt. »Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichner bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung und dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen«, hieß es in der Erklärung der Göttinger 18. Ihr Papier führte zu einer scharfen Kontroverse mit der Regierung Konrad Adenauers (CDU). Der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß nannte die Wissenschaftler »Staatsverräter«.

Die Initiative brachte die Anti-Atomwaffen-Bewegung der sechziger Jahre in Gang. Die Erklärung und die darauf folgende Gründung der VDW waren Ausdruck eines neuen Verantwortungsbewußtseins der Wissenschaft angesichts des Vernichtungspotentials von Atomwaffen im Kalten Krieg. Die damals aufgeworfenen Fragen zu Krieg und Frieden, besonders die Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen, sind weiter aktuell. Letztere steht heute - nicht zuletzt durch die jahrzehntelangen Bemühungen der VDW - auf der Agenda der internationalen Politik. Die VDW hat sich als deutsche Sektion der internationalen Wissenschaftlervereinigung Pugwash (Friedensnobelpreisträger von 1995) immer intensiv für die nukleare Abrüstung engagiert. Wissenschaftler der VDW waren an der Entwicklung eines Modells für eine atomwaffenfreie Welt beteiligt.

Was fehlt, ist der politische Wille, sofort mit Verhandlungen über eine entsprechende Konvention zu beginnen. Das ist eine Forderung an die neue Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP), aber auch an den zum Friedensnobelpreisträger gekürten US-Präsidenten Barack ­Obama.

Die Verantwortung jeder einzelnen Wissenschaftlerin und jedes Wissenschaftlers ist angesichts der technologischen, aber auch der globalen Entwicklungen ein permanenter Diskussions- und gesellschaftlicher Auseinandersetzungsprozeß. Im Rundschreiben vom 4.7.1959 zur VDW-Gründung heißt es: »Die Entwicklung zu einer zunehmend technisierten Welt macht es notwendig, die Probleme, die aus dem Forschritten der Wissenschaft für das Leben der menschlichen Gemeinschaft erwachsen, gründlich zu studieren.« An diesen Diskussionen hat sich die VDW in den 50 Jahren ihrer Existenz mit eigenen - oft herausragenden - wissenschaftlichen Beiträgen beteiligt. Ihr gelang es immer wieder, z.B. in der Energieforschung oder dem Nachhaltigkeitsdiskurs, eigene Akzente zu setzen, aber sich auch frühzeitig für neue Fragen wie z.B. die Ernährungssicherheit und -souveränität zu öffnen.

Forschung und Technologie sind niemals neutral, die Verantwortung für ihre Folgen ist - heute nicht anders als 1959 - eine Herausforderung für die Wissenschaften wie für die gesamte Gesellschaft. Ökonomisierung und Privatisierung von Wissenschaft und Forschung widersprechen einem zukunftsfähigen gesellschaftlich orien­tierten Wissenschaftsverständnis. Die Kritik herrschender Verhältnisse bleibt eine permanente Aufgabe von Wissenschaftlern.

Zentrale Elemente der Wissenschaften sind Unabhängigkeit von paradigmatischen, institutionellen und betriebswirtschaftlichen Interessen, Transparenz und Verantwortlichkeit. Diese müssen gegen den gesellschaftlichen wissenschaftlichen Mainstream, der sich in das neoliberale Leitbild der regierenden Politik einbettet, ja dieses wissenschaftlich verstärkt und sogar vorantreibt, erstritten werden. Daher ermutigt die VDW auch sogenannte Whistleblower, »frühe Warner« bei wissenschaftlichen und globalen Fehlentwicklungen, diese öffentlich aufzuzeigen und auszusteigen. Es bleibt für eine kritische Wissenschaftsorganisation weiterhin viel zu tun.

* Reiner Braun ist Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

Aus: junge Welt, 21. Oktober 2009


Forschen - erkennen - handeln:

Verantwortung von Wissenschaft und Forschung in einer globalisierten Welt

24. bis 25. Oktober 2009 (Sa.-So.), Urania, Berlin

Am 1. Oktober 1959 wurde, auf dem Deutschen Physikertag in Berlin, die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler von einer Gruppe prominenter Physiker gegründet, unter ihnen Carl Friedrich von Weizsäcker und die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max von Laue. Zwei Jahre zuvor waren diese Wissenschaftler mit der "Göttinger Erklärung" hervorgetreten, die Ausdruck eines neuen Verantwortungsbewusstseins der Wissenschaft angesichts des Vernichtungspotentials von Atomwaffen im Kalten Krieg war.

Aus Anlass der 50. Wiederkehr der VDW-Gründung laden VDW und DPG zu einer gemeinsamen Tagung am 24. und 25. Oktober 2009 nach Berlin, die aus heutiger Sicht das Gründungsanliegen der VDW aufgreift und nach der Verantwortung von Wissenschaft und Forschung in einer globalisierten Welt fragt. Im Fokus stehen neben dem Problem der Nuklearwaffen, das die 18 Atomphysiker 1959 antrieb, Fragen nach Energieversorgung und Klima- und Umweltschutz, nach der historischen Dimension wissenschaftlicher Verantwortung, nach der Verantwortung der Wissenschaft für Bildung und Ausbildung und nach dem Wechselspiel von Technologieentwicklung und Globalisierung. Forschung und Technologie sind niemals neutral, die Verantwortung für ihre Folgen ist - heute nicht anders als 1959 - eine Herausforderung für die Wissenschaften wie für die gesamte Gesellschaft.

Anmeldung
http://vdw.dpg-tagungen.de (externer Link)




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