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"PazifistInnen/Pazifismus. Friedensforschung als Geschlechterforschung"

Ein Tagungsbericht von Karen Hagemann* und Ute Kätzel

Am 9. und 10. Mai 2003 fand in Berlin eine vielbeachtete Tagung statt, auf der die Möglichkeiten und Grenzen einer interdisziplinär angelegten Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung untersucht wurden. Veranstaltet wurde das Colloquium von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung und dem Arbeitskreis Historische Friedensforschung. Karen Hagemann.und Ute Kätzel, die zusammen mit Jennifer Davy de n Kongress initiiert und vorbereitet hatten, haben nun auch einen Tagungsbericht vorgelegt, den wir mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen im Folgenden dokumentieren.


Am 9. Und 10. Mai 2003 fand in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte ein interdisziplinäres Colloquium zum Thema "PazifistInnen/ Pazifismus. Friedensforschung als Geschlechterforschung" statt, das die Heinrich-Böll-Stiftung und das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung und dem Arbeitskreis Historische Friedensforschung veranstalteten. InitiatorInnen waren Jennifer Davy, Karen Hagemann.und Ute Kätzel. Als Kooperationspartnerinnen konnten Gitti Hentschel und Marianne Zepp von der Heinrich-Böll-Stiftung gewonnen werden, die das Colloquium auch finanziert hat. Über 100 TeilnehmerInnen aus allen Teilen Deutschlands - AktivistInnen aus der alten und neuen Friedensbewegung, FriedensforscherInnen, HistorikerInnen, PolitologInnen und SoziologInnen - kamen nach Berlin. Diese Resonanz ist in der gegenwärtigen Situation nicht erstaunlich, denn Friedensforschung hat immer dann Konjunktur, wenn Krieg herrscht. Die weltweite Bewegung gegen den Irak-Krieg hat auch das Interesse an einer Beschäftigung mit der Geschichte und Gegenwart der Friedensbewegung und der Friedensforschung befördert. Die Geschlechterdimension dieses jüngsten Krieges und der ihm vorausgehenden - erfolglosen - internationalen Politik der Kriegsvermeidung war in den Medien weltweit unübersehbar. Mit der Tagung wollten die VeranstalterInnen die Möglichkeiten und Grenzen einer interdisziplinär angelegten Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung ausloten und zur Diskussion stellen und zugleich auf wichtige offene Forschungsfragen und neue Forschungsfelder im Bereich der politik- und sozialwissenschaftlichen sowie der historischen Friedens- und Konfliktforschung verweisen.

In ihrer Einführung erläuterte Karen Hagemann die Tagungsziele. Sie konstatierte, dass Krieg und Militär seit Beginn der neunziger Jahre zwar zunehmend zu einem Gegenstand der historischen und sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung geworden seien. Sie untersuche nicht nur wie Militär und Krieg sich auf die Ausformung der Geschlechterbildern und -beziehungen und die Ausgestaltung der Handlungsspielräume von Männern und Frauen auswirken und fragt inwieweit die jeweilige Ausgestaltung von Militär und Krieg durch Geschlechterbilder geformt wird. Sie analysiere auch die geschlechtsspezifische Beteiligung von Frauen und Männern am kriegerischen Geschehen sowie dessen unterschiedliche Wahrnehmung, Deutung und Erinnerung durch Frauen und Männer. Durch diese Forschungsperspektive werde sichtbar, dass Militär und Krieg sozial und kulturell geformte historische Phänomene mit erheblicher geschlechterpolitischer Relevanz sind.

Parallel zum militärgeschichtlichen Forschungsboom sei aber vor allem in den Geschichtswissenschaften das Interesse an der Friedens- und Konfliktforschung zurückgegangen. Zumindest im deutschsprachigen Raum hätten bisher nur einzelne WissenschaftlerInnen versucht, die Geschlechterdimension in die historische Friedensforschung einzubringen. Dies habe zu einem insgesamt unausgewogenen Forschungsfeld geführt, nicht nur weil Fragen von Krieg und Frieden eng zusammenhingen und bellizistische und pazifistische Diskurse häufig unmittelbar aufeinander bezogen wären, sondern auch, weil der Friedensbewegung und Friedenspolitik, insbesondere den wichtigen Problemen von Demilitarisierung und "Peacekeeping" und deren geschlechterpolitischer Dimension, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet würde.

Mit der Tagung wollten die VeranstalterInnen hier eine Änderung einleiten. Neue Ansätze und Ergebnisse aus der historischen und sozialwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung sollten vor- und zur Diskussion gestellt werden. Ziel war es dabei nicht nur, die aktuelle Relevanz einer als Geschlechterforschung betriebenen Friedens- und Konfliktforschung zu zeigen. Vielmehr sollte auch das überkommene Bild von Pazifistinnen respektive Pazifisten und Pazifismus in Geschichte und Gegenwart differenziert werden. In Mittelpunkt der Tagung stand deshalb die Frage, wie in den historischen und aktuellen Diskursen und Praktiken zu Friedenspolitik, Demilitarisierung, und "Peacekeeping" Weiblichkeit und Männlichkeit konstruiert wurden und werden und wie umgekehrt Geschlechterbilder die Möglichkeiten und Grenzen der Demilitarisierung und die Ausformung von Friedenspolitik, Friedensbewegungen und Peacekeeping beeinflussten und beeinflussen. Der Zeitraum, der in den Blick genommen wurde, reichte von den Anfängen der pazifistischen Bewegung im späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Im Zentrum des historischen Teils stand zwar die deutsche Entwicklung, zugleich wurde aber betont, dass aufgrund der transnationalen und internationalen Dimension des Gegenstandes Forschungen, die diese Dimension in den Blick nehmen und vergleichend arbeiten, besonders wichtig und wünschenswert seien.

Zum Schluss ihrer Einführung deutete Karen Hagemann die möglichen Dimensionen einer Genderanalyse im Bereich der historischen und sozialwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung an. Der systematischen Integration der Geschlechterdimension in die Friedens- und Konfliktforschung müsse ein Verständnis von 'Geschlecht' als relationaler und kontextbezogener sozio-kultureller Kategorie zugrunde gelegt werden, die im Zusammenwirken mit anderen Differenzkategorien wie Klasse, Rasse, Ethnizität, Religion und Alter, Asymmetrien und Hierarchien weit über die unmittelbaren Geschlechterverhältnisse hinaus in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ebenso wie im Alltagsleben herstellt. Bei einem solchen Verständnis könnte und sollte eine solche Genderanalyse:
  • Erstens nach dem 'Gendering' der Diskurse über Krieg und Frieden vor, während und nach Kriegen fragen und dabei sowohl die Sprache der hohen Diplomatie in der Internationalen Politik und die Berichterstattung in den verschiedenen Medien als auch die Rhetoriken kriegsbefür-wortender wie kriegskritischer und pazifistischer Bewegungen untersuchen.
  • Zweitens das Gendering der für die Frage von Frieden und/oder Krieg relevanten und auf diese bezogenen realisierten Politiken und der sie tragenden und stützenden Rechtssysteme, Institutionen und Bewegungen untersuchen. Dazu gehören nicht nur das Völkerrecht und andere internationale Abkommen und Verträge, die verschiedenen internationalen staatsbezogenen und unabhängigen Organisationen, die Außen- und Militärpolitik von Bündnisgemeinschaften sowie von einzelnem Staaten, sondern neben friedensbewegten und pazifistischen Organisationen und Bewegungen auch die Institution des Militärs.
  • Drittens das Geschlecht der politischen und militärischen Akteure selbst analysieren, die über die Fragen von Frieden und Krieg entscheiden bzw. sich in Institutionen, Organisationen und Bewegungen für oder gegen den Einsatz von militärischer Gewalt als Mittel der Konfliktlösung engagieren und nicht zuletzt die als Soldaten und ZivilistInnen vor einem Krieg für eine Kriegsbeteiligung, während eines Krieges für das Weiterkämpfen mobilisiert und nach dem Krieg für den Wiederaufbau der Nachkriegsgesellschaft motiviert werden müssen.
  • Viertens das Gendering der Dimension der Gewaltausübung und Gewalterfahrung in Friedens- und Kriegszeiten, angefangen von der Sozialisation für eine Gewaltdisposition durch Familie, Kultur und Gesellschaft sowie das Militär, über die Praxis der Gewaltausübung und die Gewalterfahrung von Soldaten und Zivilisten in Kriegszeiten und Okkupationsphasen, bis hin zur Gewaltdimension in sogenannten Peacekeeping- und Peacebuilding-Einsätzen.

Diese Überlegungen wurden in der ersten Tagungssektion zum Thema "Friedensforschung als Geschlechterforschung. Entwicklung und aktuelle Trends" aufgegriffen, in der die Forschungsentwicklung in den Sozial- und Politikwissenschaften einerseits und der Geschichtswissenschaft andererseits analysiert, der jeweilige Forschungsstand diskutiert und Forschungsperspektiven entwickelt wurden. Hanne-Margret Birckenbach (Schleswig-Holstein Institute for Peace Research) zog in ihrem Beitrag zwanzig Jahre nach den ersten Bemühungen in der Bundesrepublik Deutschland Friedensforschung und Geschlechterforschung zu verbinden eine kritische Bilanz des politik- und sozialwissenschaftlichen Forschungsstandes. Ihre Urteil war insgesamt zwar durchaus positiv. In der gegenwartsbezogenen Friedens- und Konfliktforschung würde nach jahrelangen Auseinandersetzungen die Genderdimension zunehmend als wichtig für die Analyse von internationalen Konflikt- und Krisensituationen und die Entwicklung von Konzepten für das Peacebuilding anerkannt. Zugleich betonte sie jedoch, dass die Forschung erst am Anfang stünde und verwies auf vielfältige Forschungsdesiderate.

Thomas Kühne (Universität Bielefeld) kam in seinem Beitrag zur historischen Friedensforschung als Geschlechterforschung zu einem deutlich negativeren Ergebnis. Er konstatierte, dass die historische Friedensforschung im deutschsprachigen Raum lange sehr viel zögerlicher als die sozialwissenschaftliche die Impulse der Geschlechterforschung rezipiert habe. Erst in den letzten Jahren habe sie begonnen, sich den theoretischen und methodischen Herausforderungen der Geschlechterforschung zu stellen. Der dabei eingeschlagene Weg, Krieg und Frieden, Gewalt und Frieden, Militär und zivile Gesellschaft aufeinander zu beziehen und die Geschlechterdimension hierbei zu integrieren, müsse fortgesetzt und konzeptionell, methodisch und inhaltlich ausgebaut werden, wenn die historische Friedensforschung die Chancen jener Herausforderung nicht vergeben wolle.

Danach folgt ein chronologischer Überblick über die Geschichte der deutschen Friedensbewegung von den 1890er bis zu den 1980er Jahren mit Vorträgen von Jennifer Davy, Irene Stoehr, Ute Kätzel und Belinda Davis.
Jennifer Davy (Technische Universität Berlin) untersuchte in ihrem Vortrag "Verweiblichte Männer - Vermännlichte Frauen. Geschlechtervorstellungen in den Debatten deutscher PazifistInnen, 1892-1933" die frühe Friedensbewegung zwischen 1892 und 1933, die bis zu ihrer Auflösung durch die Nationalsozialisten als 'Fremdkörper' in einer in weiten Teilen am Militarismus orientierten Gesellschaft agierte. Sie zeichnete in ihrem Überblick zunächst die geschlechtskonnotierte Argumentation der Gegner dieser Bewegung nach, die den Pazifismus und die Friedensbewegung als 'weibliche' - und damit als schwache, 'gefühlsduselige' und realitätsferne - Erscheinung abstempelten. Im Hauptteil untersuchte sie die von PazifistInnen geführten Debatten um Krieg, Frieden und Gewalt aus geschlechterhistorischer Perspektive. Dabei machte sie deutlich, dass viele PazifistInnen normative Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder einerseits zwar durchaus reproduzierten, andererseits aber auch kritisierten und sprengten.

Anschließend sprach Irene Stoehr (Universität Hannover) über den "Frieden als Frauenaufgabe? Diskurse über Frieden und Geschlecht in der bundesdeutschen Frauenbewegung der 1950er und 1960er Jahre". Sie betonte, dass nach einer Phase des Neubeginns der politischen Frauenarbeit nach 1945, die von einer breiten geschlechtsbewussten Selbstverpflichtung zur Erhaltung des Friedens getragen war, seit Ende der 1940er Jahre das Thema Frieden in den politischen Frauenorganisationen höchst umstritten war. Während sich die "staatsbürgerlichen" Frauenorganisationen im Kalten Krieg mehr und mehr der Partei des Westens anschlossen, verstanden sich die zur gleichen Zeit gegründete "Weltorganisation der Mütter aller Nationen" (WOMAN) und die "Westdeutsche Frauenfriedensbewegung" (WFFB) ausdrücklich als "weiblich-mütterlich" konnotierte Friedensorganisationen, die zwischen Ost- und Westfrauen vermitteln wollten. Die unterschiedliche Bedeutung von Geschlecht für die auseinanderdriftenden Friedenspolitiken der "Staatsbürgerinnen" einerseits und der "Pazifistinnen" andererseits wurde im ersten Teil des Vortrags diskutiert. Darauf aufbauend wurden im zweiten Teil die Friedens- und Geschlechterdiskurse zur Atombewaffnung der Bundeswehr seit Mitte der 1950er Jahre in den genannten Frauenorganisationen analysiert. Hier war die zentrale These, dass im Rahmen einer relativ breiten Anti-Atombewegung geschlechtsspezifische Argumentationen "rationalisiert" bzw. "funktionalisiert" und damit konsensfähiger wurden.

Ute Kätzel (Berlin) referierte zu "Geschlecht, Gewalt, Pazifismus - 1968 und die Anti-Vietnamkriegsbewegung in der Bundesrepublik". Sie hob eingangs hervor, dass die 68erBewegung und die von ihr getragene Anti-Vietnamkriegsbewegung keine pazifistischen Bewegungen waren. Letztere sei zwar aus der Haltung einer Anti-Kriegsbewegung heraus entstanden. In den Mittelpunkt sei jedoch immer stärker die Frage gerückt, wie einem "revolutionären Volk" in seinem als berechtigt empfundenen Kampf zum Sieg verholfen werden könne. Zwar habe die Anti-Vietnamkriegsbewegung durchaus Gruppen umfasst, deren Mitglieder pazifistische Einstellungen vertraten hätten. Doch in dem Maße, wie sich die Außerparlamentarische Opposition (APO) radikalisierte, hätte sich auch die Anti-Vietnamkriegsbewegung als einer ihrer wichtigsten Teile radikalisiert. Den Anstoß dafür bildeten nach Ute Kätzel nicht nur die Ausdehnung des Vietnam-Krieges, und die innerhalb der Bewegung diskutierte "Gewaltfrage", die Gewalt gegen Sachen einschloss und auch Gewalt gegen Personen nicht mehr generell ablehnte. Zur Radikalisierung der Bewegung trugen auch die harten Reaktionen des Staates auf die Proteste bei, sowie die eigenen Gewalterfahrungen und die Auseinandersetzung mit der nicht aufgearbeiteten NS-Vergangenheit. Gewalt spielte zudem in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen eine Rolle, wenn auch eher implizit. Im Unterschied zu ihren Müttern, wollten viele 68erinnen nicht mehr die traditionelle Frauenrolle einnehmen und sich den Männern unterordnen. In ihrem Emanzipationskampf orientierten sich nicht wenige Feministinnen an den Schlagworten gegen den Vietnam-Krieg. Denn sie bezogen die Forderung nach einer radikalen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch auf ihre eigene Position als Frau. Diese Radikalisierung veränderte die Geschlechterrollen, insbesondere die der Frauen und erzeugte Spannungen zwischen den Geschlechtern, die zur Entstehung der Neuen Frauenbewegung führte.

Unter dem Titel "Frieden, Protest, Geschlecht. Abrüstungs- und Friedensaktivitäten in der Bundes-republik der 1970er und 1980er Jahre" analysierte dann Belinda Davis (Rutgers University, New Jersey) die Geschlechterdimension im politischen Diskurs der Friedens- und Abrüstungsbewegung der 1970er und 1980er Jahre. Sie konnte zum einen zeigen wie stark alte und neue Stereotypen über die Geschlechterordnung und die geschlechtsadäquaten Aufgaben in Familie und Gesellschaft auch noch die Debatten dieser Zeit, vor allem die Vorstellungen über die internationalen Beziehungen im allgemeine und das Verhältnis von USA und Bundesrepublik im besonderen, formten. Und arbeite zum anderen heraus, wie stark auch in der Abrüstungs- und Friedensbewegung vor allem von Frauenseite, das vermeintlich Private mit dem Politischen verknüpft wurde.

Am Ende der Tagung standen zwei gegenwartsbezogene Vorträge von Martina Fischer und Ruth Seifert.
Martina Fischer (Berghof-Forschungszentrum für konstruktive Konflikt-bearbeitung, Berlin) betonte in ihrem Vortrag "Peacebuilding Gendered: Zur Bedeutung der Geschlechterdimension in der Analyse und Bearbeitung ethnopolitischer Gewaltkonflikte", dass die Lebensrealität in bewaffneten Gewaltkonflikten sich für Männer und Frauen oft sehr unterschiedlich darstelle. Das gelte auch für die Bedürfnisse von Männern und Frauen in Nachkriegsregionen, die durch gesellschaftliche Rollenerwartungen mitbestimmt werden würden. Bei Maßnahmen des Wiederaufbaus und bei der Gestaltung friedensfördernder Maßnahmen gelte es deshalb diese Unterschiede zu berücksichtigen. Eine besondere Herausforderung liege in der Entwicklung adäquater Angebote zur berufli-chen Ausbildung und Beschäftigung. Gerade externe Akteure, die in Krisenregionen mit friedensfördernden Projekten intervenieren, seien gefordert, ihre Strategien daraufhin anzupassen. "Gender Mainstreaming" werde in einigen Agenturen der "Empowerment Zones" ebenso wie von friedenspolitischen Akteuren zwar inzwischen großgeschrieben. Jedoch werde der Begriff "Gender" vielfach verkürzt mit "Frauenquote" oder "Frauenförderung" gleichgesetzt. Die Einsicht, dass der Begriff "Gender" nicht einfach auf eine angemessene Beteiligung von Frauen an politischen und gesellschaftlichen Prozessen sondern darüber hinaus auch auf die Hinterfragung von Rollen-bildern abziele und damit auf die Arbeit an den männlichen und weiblichen Identitäten, die Gewaltkonflikte mitbedingen, sei noch nicht sehr verbreitet. Eine Verständigung über Möglichkeiten und Grenzen des "Gender-Balancing" und die Art und Weise der Integration der Kategorie "Gender" im Rahmen von NRO-Projekten scheine dringend angebracht. In diesem Zusammenhang habe sich auch gezeigt, dass das Förderkriterium "Gender-Balance" von geldgebenden Agenturen überdacht und präzisiert werden sollte.

Ruth Seiferts (Fachhochschule Regensburg) Vortrag "Plädoyer für eine Genderperspektive in der Friedens- und Konfliktforschung" zielte in die gleiche Richtung. Sie betonte, dass seit einiger Zeit der Begriff der Identität in den internationalen Beziehungen sowie der Konfliktforschung zwar zunehmend Berücksichtigung finde. Identitätsformen und Identitätspolitik würden mehr und mehr als eine wesentliche Kategorie bei der Analyse des Entstehens von gewaltsamen Konflikten anerkannt. Nicht berücksichtigt bliebe dabei jedoch zumeist, dass Identität nur in mindestens zwei Varianten, nämlich männlich oder weiblich, vorkomme. Männlichkeit und Weiblichkeit würden sich aber mit konflikthaften Prozessen in verschiedener Weise verschränken und seien folglich gesondert zu analysieren. Darüber hinaus sei zu fragen, welchen Anteil variierende Formen von Geschlechterbeziehungen, verstanden als kulturelles und soziales Konstrukt, bei der Entstehung und dem Austrag kriegerischer Konflikte haben könnten. Wie Konstruktionen und Manipulationen von Gender in das Entstehen und den Austrag von Konflikten eingehen, zeigte Ruth Seifert zum Schluss ihres Vortrages am Beispiel des Balkan-Konfliktes und der kriegerischen Auseinandersetzungen in Uganda.

Den Abschluss des interdisziplinären Colloquiums bildete ein durch Gitti Hentschel vom Feministischen Institut der Heinrich-Böll-Stiftung organisiertes Aktuelles Forum zum Thema: "Militärische Gewalt versus Dialog - Der Irakkonflikt aus der Geschlechterperspektive" für das als ReferentInnen Susan Ahmed-Böhm (Irakischer Kulturverein, Berlin), Christine Eifler (Universität Bremen), Karin Mlodoch (HauRari e.V.) und Elisabeth Schroedter (MdEP Bündnis 90/Die Grünen) gewonnen wurden. Auch deren Statements und die Diskussion zeigten einmal mehr, dass ohne die Einbeziehung der Geschlechterperspektive weder die Geschichte der Friedensdiskurse, Friedenspolitiken und Friedensbewegungen noch die gegenwärtigen globalen Probleme von Peacekeeping und Peacebuilding zu verstehen sind.

Trotz eines umfangreichen Programms blieb genügend Zeit für eine lebhafte Diskussion der einzelnen Vorträge, die durch einleitende Kommentare angeregt wurde. Da diese interdisziplinäre Tagung im deutschsprachigen Raum die erste dieser Art zu diesem jungen Forschungsfeld war, verwiesen Vorträge, Kommentare und Diskussionen immer wieder auf theoretische und methodische Forschungsprobleme und offene Forschungsfragen. Abschließende Antworten konnten und sollten noch nicht gegeben werden. Um die Entwicklung dieses Forschungsfeldes vorzutreiben ist eine Publikation zum Tagungsthema geplant.

Karen Hagemann und Ute Kätzel

* Karen Hagemann, Gastlehrstuhl für Internationale und Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung des Landes Rheinland-Pfalz an der Universitaet Trier, Fachbereich III - Neuere Geschichte


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