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"Freiheit der Wissenschaft gilt nicht fürs Militärische"

Kongress: Hochschulen sollen sich dem Frieden verpflichten - Bericht und Abschlusserklärung

Im Folgenden dokumentieren wir einen Zeitungsbericht über die Konferenz "Wissenschaft für den Frieden", die am 13. und 14. Dezember 2003 in Göttingen (Universität) stattfand (Autor: Reimer Paul). Im Anschluss daran veröffentlichen wir die von den Veranstaltern herausgegebene Abschlusserklärung.


Konferenzbericht

Die Freiheit der Wissenschaft hat da ihre Grenzen, wo das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker bedroht ist. Diese Überzeugung trieb am Wochenende Vertreter des »Hochschulnetzwerks gegen Krieg« nach Göttingen, wo sie über Möglichkeiten der Friedens- und Konfliktforschung berieten. Auch die frühere niedersächsische Wissenschaftsministerin und Hamburger Kultursenatorin Helga Schuchardt vertrat auf der bundesweiten Konferenz »Wissenschaft für den Frieden« die Auffassung einer notwendigen Begrenzung der Forschungsfreiheit. »Für militärische Ziele und Zwecke darf die Freiheit der Forschung nicht in Anspruch genommen werden«, betonte Schuchardt. Den immer wieder vorgebrachten Einwand »Wenn wir keine militärische Forschung betreiben, tun es andere«, ließ Schuchardt nicht gelten. »Das ist ein Totschlag-Argument, das in anderen Bereichen wie der Gentechnik ebenso gern angeführt wird«, kritisierte die 64-jährige.

Während für die Entwicklung von Waffen und militärischer Technologie offen oder verdeckt Milliarden-Beträge locker gemacht werden, ist es an den deutschen Universitäten um die Friedens- und Konfliktforschung schlecht bestellt. »An unseren Hochschulen sieht es da ganz finster aus«, beklagte Schuchardt. Forschungsschwerpunkte würden zu oft nach »Mode und Stimmungen« ausgerichtet, für die Friedensforschung gebe es dagegen keine Lobby und kaum Geld.

Die Friedens- und Konfliktforschung müsse künftig als »interdisziplinäre Querschnittsaufgabe« an den Hochschulen begriffen werden, appellierte Schuchardt an die über hundert Konferenz-Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet. Der »Forschungsgegenstand Frieden« müsse das Interesse aller Fächer und Fakultäten wecken. Dazu bedürfe es allerdings der Bereitschaft der Wissenschaftler, sich auf die Sicht- und Herangehensweisen der jeweils anderen Disziplinen einzulassen.

Welchen Beitrag einzelne Wissenschaftsdisziplinen und die Universitäten als ganzes zur Vermeidung von Krieg leisten können, beschäftigte auch andere Referenten und die Teilnehmer von rund einem Dutzend Arbeitsgruppen, die zu Themen wie »Militainment in den Medien«, »Ökonomie und Militarisierung« oder »Töten per Mausklick« tagten. »Wir unternehmen den Versuch, die Hochschulen wieder zu einem Ort friedenspolitischer Initiative und Diskussion zu machen«, sagte Frank Mußmann von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften in Göttingen.

Der Soziologe Wolfgang Theophil (Karlsruhe) ging auf das absichtliche Schüren von Ängsten und eines Gefühls der Bedrohung in der Bevölkerung der USA vor dem Irak-Krieg ein. Die »irreale Angst vor Raketenangriffen mit Bio-Waffen aus Bagdad« und das gleichzeitige Abstumpfen gegenüber neutralen Nachrichten habe in den USA eine »irre Hysterie« und eine breite Zustimmung dafür ausgelöst, mit John Wayne-Methoden wieder für Ordnung zu sorgen. Die Sozialwissenschaft habe diese Prozesse nicht analysiert, räumte Theophil ein.

Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di, Margret Mönig-Raane, ließ es sich nicht nehmen, in ihrem Referat bei der Konferenz massive Kritik an der geplanten Steuerreform zu üben. Es sei »unglaublich, dass durch die Absenkung des Spitzensteuersatzes die Reichen noch reicher gemacht werden sollen«, sagte die Gewerkschafterin. Deutschland könne es sich nicht leisten, sechs Milliarden Euro »an die Reichen und Super-Reichen« zu verschenken.

Veranstaltet wurde der zweitägige Kongress vom »Hochschulnetzwerk gegen Krieg«. Das Netzwerk begreift sich als eine Art Dachverband derjenigen Bildungsinitiativen und -Einrichtungen, die gegen die vorherrschende technokratische Entwicklung der Universitäten Einspruch erheben. »Wir setzen das Leitbild einer Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung gegen das Postulat nach ökonomischer Verwertbarkeit«, hieß es in einer in Göttingen verteilten Erklärung. Die wachsende Militarisierung in der Innen- und Außenpolitik stabilisiere die traditionellen Macht- und Ungleichheitsverhältnisse. Sie verschärfe die sozialen und kulturellen Interessenkonflikte und entziehe zivilen Problemlösungen den Boden.

Quelle: Neues Deutschland, 15.12.2003

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13. - 14. Dezember 2003 in Göttingen
Erklärung des Hochschulfriedensnetzwerkes aus Anlass des Kongresses:

Wissenschaft für den Frieden – Hochschulen gegen Krieg

Der Protest gegen die Ökonomisierung der Hochschulen, gegen die finanzielle Ausblutung von Bildung, Aus- und Fortbildung, von Wissenschaft und Forschung ist unüberhörbar und gerechtfertigt. Drastische Mittelkürzungen führen derzeit zum Finanzkollaps ganzer Institutionen.

Gesellschaftliche Veränderung bedarf einer inhaltlichen Politisierung. Wir sagen dieses als aktiver Teil der Protestbewegung. Wir wenden uns gegen das neoliberale Diktat, das Wissenschaft und Ausbildung immer mehr unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Verwertbarkeit betrachtet. Bildung ist für uns Kulturgut und wichtigste Ressource unseres Landes.

Wir lehnen Kriege als ultima ratio grundsätzlich ab. Das Thema Frieden muss zu einem unverzichtbaren Thema werden in Lehre und Forschung mit Ausstrahlung in die gesamte Gesellschaft. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er beinhaltet die Überwindung aller Formen struktureller Gewalt.

Wir fordern, dass in Lehrveranstaltungen das Friedensthema als interdisziplinäres Querschnittsthema verankern wird. Physik und Rüstung, Biologie und Waffenproduktion, Journalismus im Kriegseinsatz, psychologische Kriegsführung und Feindbildkonstruktion, Soziologie und Kriegsursachen, Wirtschaftswissenschaften und zerstörerische Natur-Ausbeutung, Pädagogik in Konfliktsituationen, Informatik und warfare, Jura und Friedensvölkerrecht, Geschichte und die Kriege der Herrschenden, Geowissenschaften und Ressourcenkriege sind untrennbare Themen in reflektierter Ausbildung.

Unser zerstörerisches Wohlstandsmodell, das durch Kriege abgesichert wird, ist nicht exportfähig.

Frieden kann nur durch frühe Krisenprävention und eine zivile Konfliktbearbeitung sowie langfristig durch weltweite Gerechtigkeit, auch bei der Verteilung knapper Ressourcen, erlangt werden

Eine umfassende Reform von Bildung, Wissenschaft und Forschung ist finanzierbar.

Öffentliche Armut und gigantischer privater Reichtum einer kleinen Minderheit sind Folge neoliberaler Politik. Notwendig ist hingegen:
  • eine veränderte Steuerpolitik, die Privilegien beseitigt und Steuerflucht eindämmt
  • Der Abbau unsinniger Subventionen
  • Gerechte Besteuerung von Vermögen und Erbschaft
Auch durch eine umfassende Abrüstungspolitik werden finanzielle Mittel für die Finanzierung zukunftsfähiger Aufgaben frei.

Wissenschaft und Forschung muss sich an emanzipatorischen Werten orientieren. Jede Art von Rüstungs- und Kriegsforschung ist aus der Forschung an den Hochschulen zu verbannen. Forschung, die dem Ansatz von Dual-Use-Forschung entsprechen könnte, ist unter demokratische Kontrolle zu stellen.

Wissenschaft soll friedlichen Zwecken dienen. Daher fordern wir:
  • Keine militärische Forschung an den Hochschulen
  • Offenlegung der Drittmittel (Wissenschaft darf nicht käuflich werden)
  • Keine geheimen Forschungsarbeiten
Stattdessen muss die Friedens- und Konfliktforschung interdisziplinär ausgebaut und gefördert werden.

Für die Ziele brauchen wir eine breite Debatte.

Friedenswissenschaftliche Zielvereinbarungen der Hochschule sind notwendig.

Dabei setzen wir auf eine kooperative Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden, von Fachleuten und VertreterInnen aller gesellschaftlicher Gruppen.

Mit diesem Kongress wollen wir dafür einen Anstoß geben.

Göttingen, den 14.12.03


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