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Einstein weiterdenken

Internationaler Friedens- und Wissenschaftskongress im Einsteinjahr - Tagungsbericht

Von Reiner Braun

Vom 14. - 16. 10. 2005 fand in Berlin, in dem traditionellen Tagungsort Urania, der internationale Kongress "Einstein weiterdenken. Wissenschaft – Frieden – Verantwortung" mit mehr als 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt.

Am Ende des Einsteinjahres 2005 luden die Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), die Deutsche Stiftung Friedensforschung(DSF), der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS), die NaturwissenschaftlerInneninitiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit (Natwiss) und die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) - unterstützt und gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft - (Friedens)WissenschaftlerInnen und Laien, Interessierte und Engagierte zu einem Wochenende des Diskurses über aktuelle Herausforderungen des Friedens und der heutigen Verantwortung des Wissenschaftlers in der Tradition von Albert Einstein ein.

„Einstein weiterdenken heißt, seine damaligen Fragen und Antworten mit dem heutigen Selbstverständnis der Wissenschaft zu konfrontieren“. Dieser in der Einladung formulierte Anspruch prägte die Tagung.

So versuchte auf der Eröffnungsveranstaltung, nach der Begrüßung durch Volker Rittberger und der Bundesministerin Edelgard Bulmahn, die prominenten Redner wie David Ellsberg, Samir Amin und Marie Muller, die Notwendigkeit des bürgerrechtlichen Engagement in einer von Krieg, Hunger und Unterdrückung geprägten Welt und durch zunehmende strukturelle Verantwortungslosigkeit gezeichnete Wissenschaftslandschaft, darzulegen. In der Tradition der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements wurde im Zusammenhang mit der Veranstaltung auch der „Whistleblowerpreis“ für couragiertres Handeln in Konfliktsituationen an T. Postol und A. Pusztai verliehen. Geprägt war der Auftakt der Veranstaltung von der Erinnerung an den kürzlich verstorbenen Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat, der die Eröffnungsrede auf dem Kongress halten wollte.

Die wesentliche inhaltliche Arbeit wurde am Samstag in neun Foren geleistet, die sich einerseits mit Fragen verantwortlicher Wissenschaft und nachhaltiger Forschung und andererseits mit heutigen und zukünftigen Herausforderungen für Frieden und Abrüstung beschäftigten.

Eine Vielzahl von Herausforderungen an Wissenschaft und Friedensengagements sowie Handlungsperspektiven wurden diskutiert.

Es würde den Rahmen des Berichtes sprengen, diese vollständig auf zunehmen. Sie wurden in dem Bericht von Wolfgang Liebert am Sonntagvormittag zusammengefasst. Nachzulesen auf der Web-Seite des Kongresses.

Verweisen möchte ich auf folgende in den Foren formulierte Überlegungen, die mir für die zukünftige Diskussion beachtenswert erscheinen (es handelt sich dabei sicher um eine subjektive Auswahl): Die grundlegenden Veränderungen, die mit dem Stichwort "Globalisierung" verbunden sind, verändern grundsätzlich die Rahmenbedingungen für Frieden und Wissenschaft, auch wenn viele Probleme, die schon Albert Einstein thematisierte, wie z. B. Atomwaffengefahren, weiter aktuell sind. Dabei kommt dem gesamten Komplex von Privatisierung, von Krieg und Armeen eine zunehmende Bedeutung zu. Asymetrische Kriege und die Ausweitung von (abzulehnenden) Interventionen erfordern zivile Alternativen (einschließlich einer deutlich gestärkten Friedensforschung), die weit über eine "end of pipe"-Strategie hinausgehen müssen und damit zentrale Fragen des Völkerrechts und der politischen Hegemonie ansprechen. Sind das/die Konzept(e) der Nachhaltigkeit eine gesellschaftliche Alternative? Wir befinden uns dabei in einem Suchprozess – so Wolfgang Liebert in seinem Bericht.

Eindeutig ist auch das erneute Anwachsen der Ausgaben für Rüstungsforschung und die immer schwieriger werdende Differenzierung in zivile und Rüstungsforschung (dual –use Problematik, Biotechnologie). Für die Wissenschaft ist die Frage, ob eine Trennung in Grundlagen- und angewandter Forschung, angesichts von "Technoscience", in vielen Wissenschaftsbereichen überhaupt noch möglich ist.

Die Bedeutung der "Weltökonomie" wurde herausgearbeitet und bei Ablehnung des "neoliberalen Durchmarsches" kontrovers über Analyse und Alternativen diskutiert. Reform oder Systemalternative waren dabei nur zwei vielleicht gar nicht antagonistisch gegenüberstehende Stichworte. Betont wurde die Friedens- und Gerechtigkeit stiftende Rolle der UN, die sie zur Zeit kaum wahrnimmt. Dabei wurde auch auf die ungenügende Umsetzung der Vereinbarungen des Milleniumsgipfels verwiesen.

Müssen wir zum (alten/neuen)Völkerrecht zurück und wenn ja wie?

Die Dynamik im wissenschaftlich-technischem Bereich erfordert neue Antworten für die Rüstungskontrolle. Präventive Rüstungskontrolle sei hier nur als Stichwort gemeint. Dies gilt auch als Alternative zur zunehmenden Militarisierung in Europa.

Zentral wurden Fragen der Demokratie oder besser Demokratisierung und Partizipation, bezogen auf unterschiedliche Akteure, behandelt. Dies beinhaltet auch den Wissenschaftsbereich.

Viele Fragen, aber auch Elemente von Antworten wurden kontrovers bearbeitet. Es war im besten Einsteinschen Sinne ein Ringen um Antworten. Es sollte fortgesetzt werden.

Im Mittelpunk des Sonntags stand bei der Podiumsdiskussion "Einstein weiterdenken: die Zukunft ohne Massenvernichtungswaffen" der Dialog zwischen der (Friedens)Wissenschaft, der Politik, vertreten durch einen Mitarbeiter der EU-Kommission und des Auswärtigen Amtes sowie Vertretern von Nichtregierungsorganisationen - zu einem der brennendsten Problem des Friedens: der nuklearen Abrüstung.

Bei großer Übereinstimmung wieder einen verstärkten Prozess der nuklearen Abrüstung zu erreichen, dominierten doch die strategischen und taktischen Differenzen, vor allem bei der Diskussion um die Verhinderung einer weiteren Proliferation von Atomwaffen. Kein Wunder bei der Zusammensetzung! Die Diskussion war aber ein gelungener Versuch, dialogfähig zu sein, ohne von irgendeiner Seite die Aufgabe des grundsätzlichen Standpunktes zu erwarten. Es bleibt, dass insbesondere die Nichtregierungsorganisationen gefordert sind, sich weitere Gedanken für eine neue Bewegung "von unten" für die Abschaffung der Atomwaffen zu machen. Diplomatie und Politik sind augenscheinlich (und nicht nur wegen der US-Politik) jetzt dazu nicht in der Lage.

Am Vortag des Kongresses wurde auf einer Pressekonferenz von Hans-Peter Dürr das Potsdamer Manifest vorgestellt, ein in Fortschreibung des Russell-Einstein-Manifestes stehendes Dokument, das die Notwendigkeit eines prinzipiell neuen Denkens zur Lösung der zivilisatorischen Menschheitsaufgaben einklagt.

Kongress, Whistleblower- Preisverleihung und Potsdamer Manifest fanden eine für das Friedensthema fast ungewohnte große Aufmerksamkeit in den Medien. Die wesentlichen Beiträge und Inhalte des Kongresses werden in Form eines Buches veröffentlicht.

Der Kongress, dessen Vorbereitung nicht immer unter einem guten und friedlichen Stern gestanden hat, wurde von den Referentinnen und Referenten, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Erfolg und von den Veranstaltern als Aufforderung, an dem Thema dranzubleiben, angesehen.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage: www. einstein-weiterdenken.de

* Reiner Braun, Projektleiter des Kongresses und Mitarbeiter am Projekt Einstein des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte


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