Deutsche Stiftung Friedensforschung: Für eine "Kultur der Prävention"
Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn: "Das Denken in Alternativen wachhalten"
Im Folgenden dokumentieren wir das Grußwort der Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD) anlässlich der konstituierenden Sitzung der Deutschen Stiftung Friedensforschung in Osnabrück. In der Frankfurter Rundschau erschien der Text am 16. Mai 2001 unter der Überschrift "Bessere Sehschärfe und mehr Phantasie". Beides wäre natürlich auch der Bundesregierung zu wünschen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn Bulmahn in ihrer Rede eben jenen Friedensforscher Dieter S. Lutz mit anerkennenden Worten des Dankes bedenkt, der wenige Tage zuvor vom außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler in diffamierender Weise als "Verleumder" und "selbsternannter Staatsanwalt und Chefankläger" etikettiert worden war. (Den Streit zwischen Lutz/Mutz und Erler haben wir zusammen mit anderen Stellungnahmen zum NATO-Krieg ebenfalls dokumentiert.)
Wir sind in diesem Raum auf historischem Boden. 1648 wurde hier der
Westfälische Frieden von (Münster und) Osnabrück unterzeichnet. Der 30-jährige
Krieg, der ganz Europa überzogen hatte, war zu Ende. Fast die Hälfte der
Bevölkerung tot. Die Menschen sehnten sich nach Frieden.
Auch die europäischen Mächte waren vom Krieg erschöpft und wollten einen
dauerhaften Frieden schaffen. Sie erreichten ihn - erstmals - durch Verhandlung.
1648 setzte man auf die Stärkung der Territorien, auf Kleinstaaterei, föderale
Strukturen, auf weitgehende Entmächtigung des Reichs. Die Fürsten erhielten
sogar das Recht, eigenständig Bündnisse zu schließen, sofern diese sich nicht
gegen das Reich richteten.
Zukunftsweisend war der Frieden von Münster und Osnabrück insbesondere, weil
er für die Religionsfrage eine rechtlich verbindliche Regelung unter Einschluss auch
der Calvinisten fand. Die Verhandlungsparteien stellten 1648 das Recht und den
Gedanken der Toleranz über die mögliche künftige militärische Potenz der Fürsten.
Deshalb ist dieser Saal hier in Osnabrück ein wirklich guter Ort, 350 Jahre später
ein neues Instrument für Friedenspolitik zu schaffen.
Und auch hier schließt sich ein Kreis. Denn es war Bundespräsident Gustav
Heinemann, der 1970 die Initiative ergriff zur Gründung einer eigenen
Förderinstitution für Friedensforschung. Es sollte nicht "eine neue Disziplin im
herkömmlichen Wissenschaftsgefüge sein, sondern der Versuch, Wissenschaft im
Bewusstsein ihrer politischen und sozialen Konsequenzen zu betreiben".
Heinemann wollte, dass nicht nur Denkmodelle erarbeitet werden, die auf die
Beseitigung der unmittelbaren Anlässe zielen, sondern Denkmodelle, die zur
Aufhebung der tiefer liegenden Gründe gewaltsamer Konflikte beitragen und neue
Formen menschlichen Zusammenlebens und Ordnungen entwickeln. Es ging ihm
ganz konkret um wissenschaftliche Theoriebildung, die auf praktische Folgen
bedacht sein sollte. Soweit die Vorstellungen von Gustav Heinemann. Es würde ihn
sicher freuen, dass Bundespräsident Johannes Rau nun die Schirmherrschaft für
die Deutsche Stiftung Friedensforschung übernehmen will.
Wir setzen heute sehr entschlossen auf die Stärke des Rechts. Es soll die Macht
der Stärkeren begrenzen. Das Völkerrecht, internationale Vereinbarungen, der
Internationale Gerichtshof in Den Haag, Institutionen, die aus dem Gedanken der
Deeskalation geboren wurden wie die OSZE oder der von der rot-grünen
Bundesregierung gegründete Zivile Friedensdienst stärken gemeinsam, jeder an
seinem Platz, dem Recht das Rückgrat. Heute kommt eine neue, noch kleine,
aber nicht zu unterschätzende Kraft hinzu: der Stiftungsrat der Deutschen Stiftung
Friedensforschung.
Welche Aufgaben kann und sollte die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF)
in diesem Kontext übernehmen?
Sie soll Friedensforschung anregen und koordinieren, Wissenschaften vernetzen
und als Kompetenzzentrum agieren. Sie soll weitere Kapazitäten an Hochschulen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen aufbauen, wissenschaftliche
Vorhaben fördern und initiieren, wissenschaftliche Konferenzen organisieren, und
sie soll, was mir ganz wichtig ist, den wissenschaftlichen Nachwuchs
unterstützen. All das soll sie interdisziplinär und praxisorientiert tun. Wir müssen in
Hochschulen das Bewusstsein verankern, dass Friedensforschung eine vorrangige
Querschnittsaufgabe ist.
Das hängt eng damit zusammen, dass wir Sicherheit heute nicht mehr rein
militärisch begreifen, sondern die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen 1994 entwickelte Vorstellung der "menschlichen Sicherheit" übernommen
haben. Zerstörung der Umwelt, Ressourcenknappheit, wachsende Weltbevölkerung
und mangelnde globale Verteilungsgerechtigkeit, internationale Finanzkrisen,
mangelnde Rechtsstaatlichkeit innerhalb einzelner Länder oder mangelnder Raum
für Medien und Andersdenkende - all das kann zum Konfliktpotenzial werden. Der
Bundeskanzler hat das Anfang Februar auf der Münchener Konferenz für
Sicherheitspolitik noch einmal klar vor Augen geführt. Deshalb muss
Friedensforschung künftig interdisziplinär arbeiten.
Die Deutsche Stiftung Friedensforschung soll dazu beitragen, dass Konflikte
präventiv bearbeitet werden können. Das heißt, sie soll die Politik und Öffentlichkeit
beraten, frühzeitig auf Gefahren hinweisen, Entscheidungen von Politikern auf
mögliche Konsequenzen hin abklopfen. Deshalb müssen Friedens- und
Konfliktforscher unabhängig sein. Politisch und finanziell. Darum haben wir die
Form einer Stiftung gewählt.
Wo beginnt Konfliktprävention? Sicher nicht erst bei der Deeskalation. Sondern
schon mit der Warnung vor einseitiger, verzerrender Wahrnehmung einzelner
Gruppen, mit der Warnung vor Stereotypien und Feindbildern. Sie schleichen sich
ein, wir begegnen ihnen in den Medien, in der Politik und merken nach einiger Zeit
kaum noch, wie sehr sie unseren Blick verengen und unsere Interpretationen
beeinträchtigen. Es ist nicht einfach, sich in Bezug auf stereotype Wahrnehmung
dem mainstream entgegenzustellen. Aber es wichtig. Deshalb brauchen wir den
kritischen oder sogar den streitbaren Geist unabhängiger Friedensforscher.
Zu einer Kultur der Prävention gehört es auch, das Denken in Alternativen
wachzuhalten und gebräuchliche Reaktionsweisen in Frage zu stellen.
Was ich mir nun aber von der Stärkung der Friedensforschung erhoffe, ist das:
bessere Sehschärfe bei der Analyse und dann auch mehr Phantasie für
Lösungsmöglichkeiten. Was als Interesse behauptet wird, ist de facto oft nur eine
strategische Position, um ein Interesse durchzusetzen. Ein Konflikt, bei dem sich
zwei Positionen unvereinbar gegenüberstehen, ist kaum lösbar. Oft ist er aber
vermeidbar, wenn man zeigen kann, dass der Konflikt, so wie er sich scheinbar
darstellt, gar nicht existiert. Wenn es gelingt, die dahinter liegenden wirklichen
Interessen in den Vordergrund zu rücken. Auf dieser Ebene wäre oft intelligentes
Konfliktmanagement denkbar. Wissenschaftler, Friedensforscher sind dafür am
geeignetsten.
Das heißt nicht, dass es mit mehr Friedensforschern gelingen könnte, künftig
immer "Win-Win-Situationen" herzustellen. Das zu hoffen, wäre blauäugig. Aber es
ist im Vorfeld von Konflikten und auch bei Waffenstillstands- und
Friedensverhandlungen sicher öfter möglich, als wir das bisher wahrnehmen.
Die Stiftung Friedensforschung soll uns auch helfen, bei den vielen Konflikten im
globalen Dorf wirklich als ehrlicher Makler zu fungieren. Denn klar ist doch: Im
globalen Dorf haben auch wir, Deutsche und Europäer, vielerlei Eigeninteressen,
von denen wir uns in diplomatischer Mission aber nicht leiten lassen dürfen. Erfolg
haben wir nur, wenn wir unabhängig bleiben. Das wollen auch alle. Trotzdem ist es
gut zu wissen, dass unabhängige Wissenschaftler uns beobachten und im
Zweifelsfalle kritisieren.
Doch nun möchte ich - schließlich haben wir heute Anlass zum Feiern - allen
danken, die das Konzept für die Stiftung entwickelt haben, Herrn Professor Egon
Bahr, Dr. Marion Gräfin Dönhoff, Hans Koschnik, Christiane Lammers und
insbesondere Herrn Professor Dieter Lutz, dessen Engagement für die Stiftung
Friedensforschung ich ausdrücklich hervorheben will.
Den Mitgliedern des Stiftungsrates wünsche ich gute und konstruktive
Zusammenarbeit. Gemeinsam ist Ihnen allen das Engagement für Frieden und
friedliche Konfliktlösung. Ihre individuellen Positionen sind jedoch teilweise recht
unterschiedlich, so dass unsere Hoffnung auf anregenden, konstruktiven Streit wohl
erfüllt wird.
Aus: Frankfurter Rundschau, 16. Mai 2001
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