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Geld stiftet Sinn

Kooperationsvertrag zwischen Deutscher Bank und Berliner Hochschulen belegt schleichenden Ausverkauf der Wissenschaft

Von Ralf Wurzbacher *

Wissen ist Macht – und Macht schafft Wissen. Die Deutsche Bank läßt dafür einiges springen. Zehn Millionen Euro habe das größte deutsche Geldhaus in den vergangenen Jahren in Forschung und Lehre im Bereich Finanzwissenschaften investiert, bekundete ihr Vorstandschef Josef Ackermann am Donnerstag (26. Mai) in Frankfurt am Main. »Er hat richtig damit geprotzt«, schilderte der Berliner Politologe Peter Grottian tags darauf gegenüber junge Welt. Zuvor hatte der als Sozialaktivist bekannte Professor der Freien Universität (FU) den Bankenboß vor versammelter Aktionärsmannschaft mit der Frage provoziert, wie viele Lehrstühle die Deutsche Bank an deutschen Universitäten gekauft habe.

Hintergrund ist ein von Grottian publik gemachter »Sponsoren- und Kooperationsvertrag« zwischen dem Kreditinstitut und der Humboldt-Universität (HU) sowie der Technischen Universität (TU) Berlin aus dem Jahre 2006 (jW berichtete). Der Kontrakt räumt der Deutschen Bank umfassende Gestaltungs- und Mitspracherechte im Zusammenhang mit der Gründung des Instituts für Angewandte Finanzmathematik ein. Mitbestimmen durfte der Konzern beispielsweise bei der Besetzung und Ausrichtung zweier Stiftungsprofessuren, der Lehrkonzeption sowie hinsichtlich der Außendarstellung der beteiligten Hochschulen. Sogar ein spezielles Vetorecht bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und gesonderte Werberechte der Bank an den Universitäten wurden vertraglich festgelegt.

Für Grottian ist das Dokument ein Beleg dafür, »wie weit der Ausverkauf und die Drangsalierung der Wissenschaft gehen kann«. Ihre strukturelle Unterfinanzierung und der Spardruck mache die Hochschulen »sehr viel willfähriger gegenüber solchen Avancen als noch vor zehn oder 20 Jahren«, beklagte er. Im aktuellen Falle werde »völlig dreist und unverhohlen deutlich gemacht: Wir haben Geld, wir haben ein Interesse, wir diktieren alles, was möglich ist«. Das Engagement der Deutschen Bank sollte eigentlich von 2007 an auf insgesamt acht Jahre (vier plus vier) angelegt sein und jährlich drei Millionen Euro umfassen. Wie die Tageszeitung (taz) vom Donnerstag in Erfahrung brachte, läuft die Kooperation an der HU bereits im Juni, also nach Ende der ersten Förderphase, aus. Dasselbe gilt für die TU, von der nach jW-Anfrage verlautete: »Die Unabhängigkeit der Forschung und der Lehre ist auch bei Stiftungsprofessuren in rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt gewährleistet.«

Der »Deutsche-Bank-Stiftungsprofessor für Finanzmathematik« an der TU heißt Peter Bank. Er war gestern in seinem Büro nicht erreichbar, um Auskunft über den Grad der Einflußnahme des Geldhauses auf sein Schaffen zu geben. Nimmt man den Wortlaut der Kooperationsvereinbarung, kann es mit der wissenschaftlichen Freiheit nicht allzuweit her sein. Danach sind »alle Forschungsergebnisse (...), die im Rahmen der zwischen den Vertragspartnern abgestimmten Forschungsprojekte entstehen«, der Deutschen Bank »zur Freigabe vorzulegen«. Lehre und Forschung werden nicht nur konzeptionell, sondern auch personell infiltriert. Bankmitarbeiter können »Lehraufträge erhalten und zu Prüfungen herangezogen werden« und sind Hochschulmitarbeitern »in wissenschaftlichen Belangen« gleichzustellen, heißt es in dem Dokument, das junge Welt vorliegt.

Laut FU-Professor Grottian ist das kein Einzelfall. So führe der Finanzbericht 2010 der Deutschen Bank drei weitere ähnliche Kooperationen auf: mit der Universität Mailand, der Universität Luxemburg sowie der privaten Frankfurt School of Finance & Management. Grottian sieht darin nur die Spitze des Eisbergs: »Da blüht eine Menge im Untergrund, was nicht ans Tageslicht soll, gerade bei der Pharma-, Chemie und Rüstungsindustrie.« Bemühungen seitens jW, Stellungnahmen von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Kultusministerkonferenz (KMK) zu erhalten, blieben gestern erfolglos. Kritisch äußerte sich der Deutsche Hochschulverband (DHV). »Die Freiheit von Forschung und Lehre muß auch bei Stiftungsprofessuren immer gewahrt bleiben«, sagte ein Verbandssprecher der taz.

* Aus: junge Welt, 28. Mai 2011


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