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Zwischen Befragung und Neuwahl

In Katalonien gerät die Regionalregierung unter Druck, weil sich Spanien verweigert

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Trotz des klaren Votums für die Unabhängigkeit Kataloniens vor einer Woche verweigert Spanien Verhandlungen über ein offizielles Referendum. Nun diskutiert die Region über Neuwahlen.

Die Zeichen in Katalonien stehen auf vorgezogenen Neuwahlen. Das ist das Ergebnis dieser Woche, nachdem sich am vergangenen Sonntag 2,3 Millionen Menschen in der nordspanischen Region trotz des Verbots aus Madrid an der Befragung über die Unabhängigkeit beteiligt haben. In dem »Partizipationsprozess der Bürger« hatte sich die übergroße Mehrheit für einen eigenen Staat ausgesprochen. 81 Prozent waren dafür, dass Katalonien von Spanien unabhängig sein soll. Daraufhin forderte der katalanische Regierungschef Artur Mas den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy auf, sich auf ein verbindliches Referendum zu einigen, wie es kürzlich in Schottland nach einer Übereinkunft mit den Briten durchgeführt werden konnte.

Doch der konservative Rajoy ist nicht David Cameron. Er hat diese Woche im Madrider Parlament erklärt, dass es für ihn mit den Katalanen nichts zu verhandeln gebe. »Ich werde niemals über die nationale Souveränität und die Einheit Spaniens einen Dialog führen«, so Rajoy. Wenn Mas die Verfassung ändern und ein Selbstbestimmungsrecht einfügen wolle, solle er den »Prozess einer Verfassungsreform anstoßen«, denn das sei »der einzige legale Weg« dafür. Doch Rajoy machte auch klar, dass seine Volkspartei (PP) die mit ihrer absoluten Mehrheit abschmettern würde. Auch wenn es nach Umfragen so aussieht, dass die neue Empörten-Partei »Podemos«, die das Selbstbestimmungsrecht von Katalanen und Basken verteidigt, nächsten Herbst stärkste oder zweitstärkste Kraft wird, ist dieser Weg illusorisch.

Statt auf Verhandlungen setzt Rajoy auf Kriminalisierung. Seine Regierung übte massiven Druck auf die Staatsanwaltschaft aus, um Mas und seine Vizepräsidentin Joana Ortega juristisch zu verfolgen, weil die unverbindliche Befragung trotz des vorläufigen Verbots durch das Verfassungsgericht durchgeführt wurde. Doch sechs von neun Staatsanwälten am Obersten Gerichtshof in Katalonien verweigerten sich. Auch der Oberste Gerichtshof Spaniens hat am Donnerstag die Klage der kleinen ultranationalistischen UPyD-Partei gegen Mas abgelehnt. Und weil Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce die Prozesse bisher nicht in Gang bringen konnte, soll er zum Rücktritt gezwungen werden. Doch noch sucht er weiter nach einer »soliden juristischen Basis« für Anklagen.

In Katalonien hat nun das Gerangel um vorgezogene Neuwahlen begonnen. Am Freitag gab die katalanische Regierung bekannt, noch vor Weihnachten darüber zu entscheiden. Darauf drängen vor allem die linken Parteien. Die Republikanische Linke (ERC) und die kleine linksradikale CUP fordern plebiszitäre Neuwahlen mit der Unabhängigkeit und einem »konstituierenden Prozess« als Programm.

Der ERC-Chef Oriol Junqueras, dessen Partei nach Umfragen die Wahlen gewinnen soll, erklärte: »Über Unabhängigkeit verhandelt man nicht, man übt sie aus.« Das sieht der CUP-Sprecher David Fernández ähnlich. Der hat zwar Mas am Sonntag aus Freude umarmt, doch dessen Forderung, auf einer gemeinsamen Liste zu kandidieren, lehnt er ab. Das tut auch die ERC, die Mas endlich von der Regierungsbank verdrängen will. Junqueras hat nun den Druck erhöht. Er kündigte an, den Haushalt der Minderheitsregierung nicht erneut zu unterstützen.

Viele Beobachter meinen aber, dass die ERC sich angesichts der Lage, die so lange angestrebte Unabhängigkeit in greifbare Nähe zu haben, doch auf die Konvergenz und Einheit (CiU) von Mas einlassen dürfte, wenn dieser die Dynamik nutzt und schnell Neuwahlen ansetzt. Dafür spricht, dass die ERC zunächst auch dagegen war, das geplante Referendum zu einer Befragung zu verwässern. Die Basis hatte sie zur Einheit gezwungen. Die zwei Millionen, die sich klar für die Unabhängigkeit aussprechen, werden von beiden großen Parteien fordern, weiter einheitlich vorzugehen und Parteiinteressen im Sinne Kataloniens zurückzustellen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. November 2014


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