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Hochgerüstete Festung

Am Dienstag versuchten 1500 Flüchtlinge an der nordafrikanischen Küste auf europäisches Territorium zu gelangen. Spanien will Polizeipräsenz an Grenze erhöhen

Von Carmela Negrete *

Dienstagnacht haben etwa 1500 Flüchtlinge versucht, von mehreren Stellen an dem Zaun um Ceuta in die spanische Exklave an der nordafrikanischen Küste zu gelangen – mehr als jemals zuvor. Am Mittwoch und Donnerstag besuchte daraufhin der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz die beiden Städte Melilla und Ceuta. Statt sich mit den Bedingungen in den dortigen überfüllten Aufnahmelagern auseinanderzusetzen, nutzte er die Zeit, um eine stärkere Polizeipräsenz an der Grenze anzukündigen – 20 Mitglieder der spanischen Militärpolizei Guardia Civil und ein Helikopter.

Nach Angaben der Polizei hatten sich die Flüchtlinge am Dienstag über soziale Netzwerke organisiert. Demnach hätten sie gewußt, daß die internationale Aufmerksamkeit sich auf Ceuta konzentriere und infolgedessen keine Aufstandsbekämpfungsmittel gegen sie eingesetzt werden würden. Fernández zufolge sind es 40000 Flüchtlinge, die in der Gegend von Ceuta und Melilla warten, um nach Spanien zu kommen. Der Minister sprach von einem »massiven Eindringen«. Eine ähnliche Zahl von Personen soll in Mauretanien warten, um über Marokko nach Spanien zu gelangen. Während Nichtregierungsorganisationen das nordafrikanische Land dafür kritisieren, daß dort Migranten gefoltert werden, nennt der Minister Marokko einen »Nachbarn, Freund und Verbündeten«.

Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft UFP erklärte in einer Pressemitteilung, Ceuta und Melilla würden »im wahrsten Sinne des Wortes überfallen«. Nichtregierungsorganisationen stellen die genannten Zahlen allerdings in Frage. Manuel Sobrino, Sprecher der spanischen Flüchtlingshilfsorganisation Red Acoge, erklärte, der Minister versuche Daten zu präsentieren, die den ganzen Kontinent in Alarmbereitschaft versetzen sollen. »Alle Quellen, die wir zwischen 2005 und 2013 hinzugezogen haben, haben von nicht mehr als 15000 Menschen gesprochen«, sagte dazu Fernando Calero von Ärzte ohne Grenzen. Auch Mikel Mazikiaran von SOS Racismo erklärte, die Zahlen entsprächen nicht der Realität. »Der Minister versucht, Besorgnis zu vermitteln, um damit unter anderem nicht zu rechtfertigendes Handeln zu legitimieren«, sagte er gegenüber El País. Damit bezog er sich auf das brutale Vorgehen der Guardia Civil am 6. Februar. Sie hatte mit Gummigeschossen auf Flüchtlinge geschossen, die versuchten, auf spanisches Territorium zu gelangen. Infolge des Eingreifens starben 15 Menschen. Der Einheit wird zudem vorgeworfen, bereits gefeuert zu haben, als die Flüchtlinge sich noch im Wasser befanden. Gegenwärtig läuft eine gerichtliche Untersuchung darüber, ob die Polizisten gesetzmäßig gehandelt haben.

Fernández war nach Südspanien gereist, nachdem er sich am Montag mit der Europäischen Kommissarin für Innere Angelegenheiten, Cecilia Malmström, getroffen hatte. Malmström bestand gegenüber dem Minister darauf, daß die Geschosse unter den Migranten Panik ausgelöst haben könnten. Die Guardia Civil hat nun ihrerseits die Kommissarin vor dem spanischen Gerichtshof Audiencia Nacional wegen Beleidigung angeklagt. Die Einheit versichert, ihre Arbeit pflichtgemäß getan zu haben. Der Kommissarin wirft sie vor, sie habe in der Öffentlichkeit ein Urteil abgegeben, bevor die Ergebnisse der Untersuchung bekannt seien. Am kommenden Dienstag wird sich in Strasbourg die Kommission für Bürgerliche Freiheiten des EU-Parlaments mit der Europäischen Kommission treffen, um über den Vorfall in Ceuta im Februar zu diskutieren. Innenminister Fernández hat bei der Europäischen Union 45 Millionen Euro beantragt, um die als »autonome Städte« bezeichneten Exklaven abschotten zu können.

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. März 2014


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