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Spanien zwischen hoher Wahlbeteiligung und Wahlboykott

Zapatero kann weiter regieren - Auch die Konservativen legen zu - Verlierer die Vereinigte Linke

In Spanien wurde am 9. März 2008 ein neues Parlament gewählt. Das Innenministerium teilte nach Auszählung von 99,9 Prozent der abgegebenen Stimmen am Montag (10. März) mit, die Sozialisten hätten 169 und die Volkspartei (PP) als größte Oppositionspartei 153 Sitze gewonnen - das entspricht einem Stimmenanteil von 43,7 und 40,1 Prozent. Die Sozialisten gewannen demnach gegenüber 2004 fünf Mandate hinzu, verfehlten aber erneut die absolute Mehrheit von 176 Sitzen. 350 Mandate standen zur Wahl; die Wahlbeteiligung lag bei 75,3 Prozent der 35 Millionen Stimmberechtigten. - Von den kleineren Parteien sagte die Baskische Nationalistische Partei Zapatero umgehend ihre Unterstützung zu. Sie gewann sechs Mandate. Sie hoffe, mit der Unterstützung einer sozialistischen Minderheitsregierung eine endgültige Lösung für die politischen Probleme im Baskenland erreichen zu können, sagte Parteichef Inigo Urkullu.
Es folgen zwei Artikel und Kurzkommentare zur Wahl.



Zweite Amtszeit für Zapatero

Sozialisten profitieren von hoher Wahlbeteiligung in Spanien

Von Ralf Streck, Madrid *


Die spanischen Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Zapatero suchen nach ihrem Wahlsieg -- 169 der 350 Parlamentssitze, fünf mehr als bisher -- Partner für eine Regierung. Man werde Vereinbarungen mit anderen Parteien treffen, so PSOE-Wahlkampfleiter Jesús Caldera am Montag (10. März) im staatlichen Fernsehen TVE.

35 Millionen Spanier waren am Sonntag aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Und mit über 75 Prozent war die Beteiligung hoch. Das kann wohl nur im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Anschlag der baskischen Untergrundorganisation ETA erklärt werden. Alles spricht dafür, dass diese vergangenen Freitag (7. März) den ehemaligen sozialistischen Stadtrat Isaías Carrasco in Arrasate-Mondragon erschossen hat. Nach dem Attentat auf den 43-jährigen Familienvater wurde der Wahlkampf vorzeitig abgebrochen. Die Familie des Ermordeten rief als Protest gegen den »feigen Mord« zum verstärkten Urnengang auf. Schon 2004 hatten die islamistischen Anschläge mit 191 Toten in Madrid für eine Rekordwahlbeteiligung von 77 Prozent gesorgt. Diese Mobilisierung und die Lügen der Volkspartei (PP) über die Täterschaft der Anschläge bescherten den Konservativen damals eine Niederlage und José Luis Rodríguez Zapatero den Sieg.

Dieses Mal lag die Wahlbeteiligung fast acht Prozentpunkte über der im Jahr 2000. So konnten, wie allgemein erwartet, die Sozialisten (PSOE) ihre Macht ausbauen. Mit 169 Sitzen verfügt die PSOE nun über fünf Parlamentarier mehr, was ihr das Regieren erleichtert. Doch auch die Konservativen haben zugelegt, die PP gewann 2,5 Prozent Stimmen und fünf Mandate hinzu und wird nun mit 153 Abgeordneten im Parlament vertreten sein. Die PSOE erhielt nur 900 000 Stimmen mehr, ein Wahlsieg für PP-Chef Mariano Rajoy lag durchaus nah. So aber hat erstmals in Spanien eine Partei die Parlamentswahlen verloren, die zuvor die Kommunal- und Regionalwahlen gewann.

Bei dieser Polarisierung wurden vor allem die kleinen linken Parteien zerrieben. Die Vereinte Linke (IU) stürzte auf 3,8 Prozent ab. War sie schon vor vier Jahren deutlich auf fünf Sitze geschrumpft, verlor sie nun mit nur noch zwei Mandaten sogar den Fraktionsstatus. Unter Julio Anguita hatte die IU 1996 noch fast elf Prozent der Stimmen und 21 Sitze erreicht. Doch Gaspar Llamazares führt die Vereinte Linke mit seinem Schmusekurs gegenüber der PSOE in die Bedeutungslosigkeit. Er übernimmt auch die »volle Verantwortung« für die Verluste und kündigte seinen Rückzug an. Er werde einen Parteikongress einberufen und nicht erneut für den Posten des Parteichefs kandidieren.

Llamazares machte vor allem das Wahlsystem und den »Tsunami« der Polarisierung für das Fiasko verantwortlich. Tatsächlich wurden kleine Parteien benachteiligt. Ausgeschlossen waren sie etwa von den Fernsehduellen zwischen Zapatero und Rajoy. Die Parlamentswahlen wurden praktisch wie ein Präsidentschaftsvotum inszeniert. »Diese Kampagne, zugespitzt auf zwei Parteien, war ein schwerer Schlag für die politische Pluralität in diesem Land. Der Demokratie wurde ein Bärendienst erwiesen«, sagte Llamazares.

Eingebrochen ist auch die Republikanische Linke Kataloniens (ERC). Statt acht stellt sie nur noch drei Parlamentarier. Sie war erst vor vier Jahren von einem auf acht Sitze hochgeschnellt. Sie litt auch daran, dass viele ihrer Anhänger nicht zur Wahl gingen. Die Beteiligung in Katalonien lag mehr als vier Prozentpunkte unter dem Durchschnitt. Viele ERC-Wähler sind enttäuscht, dass die Partei weiter die PSOE stützt, obwohl die ihr zentrales Projekt, das neue Autonomiestatut, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hat.

An den oppositionellen Rechtsnationalisten ging der Kelch dagegen vorbei. Die katalanische Partei Konvergenz und Einheit (CiU) hat zwar leicht Stimmen verloren, konnte aber einen Sitz zulegen und verfügt nun über elf Parlamentarier. Sie bietet sich der PSOE als Partner an, um eine stabile Mehrheit von mehr als 176 Stimmen zu erreichen. Das tut die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) nicht, die um einen Sitz auf sechs zurückfiel. Es schmerzt die PNV besonders, dass sie erstmals ihre Hochburg um Bilbao an die PSOE verlor. Keiner Partei ist es im Baskenland gelungen, in die Basis der linken Unabhängigkeitsbewegung einzubrechen. Nach dem neuerlichen Ausschluss zweier Linksparteien war ihr Wahlboykott erfolgreich. Die Beteiligung fiel hier etwa zehn Prozentpunkte niedriger aus. Die Hoffnungen der IU und der Baskischen Solidaritätspartei (EA), Stimmen zu gewinnen, gingen nicht auf. Die EA verlor sogar ihren Sitz im Madrider Parlament.

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2008


Kommentare:
Mehrheiten gesucht Von Olaf Standke *

Der sonst so schüchtern wirkende José Luis Rodríguez Zapatero war nach dem Sieg seiner PSOE regelrecht aus dem Häuschen. Kein Wunder, hatte der 47-Jährige die zum Duell mit seinem konservativen Herausforderer Mariano Rajoy hochstilisierten spanischen Parlamentswahlen doch fast im Alleingang gewonnen. Doch trotz leichter Zugewinne wird die Aufgabe für die Sozialisten ohne absolute Mehrheit kaum leichter. Nicht nur, weil das politische Klima im Lande nach diesem Wahlkampf vergiftet ist. Der Urnengang hat auch den Trend zur Fokussierung auf zwei Großparteien verstärkt. Vor allem links von der PSOE mussten die Formationen erheblich Federn lassen. Damit stellt sich auch die Frage, auf wen Zapatero in seiner zweiten Amtszeit als Ministerpräsident bauen kann. Vieles läuft wieder auf das Modell einer Minderheitsregierung hinaus, aber noch ist nicht entschieden, ob Zapatero allein regieren, sich von Fall zu Fall die fehlenden Stimmen im Parlament suchen oder doch eine formale Koalition bilden wird. Unterstützung könnte er von den gemäßigten katalanischen Nationalisten oder von den baskischen Nationalisten erhalten. Doch beide werden für eine Zusammenarbeit harte Bedingungen stellen, die vor allem auf eine Ausweitung der Autonomie ihrer Regionen zielen. Ganz davon abgesehen, dass eine Friedenslösung mit der ETA in den Sternen steht und Spanien in die Niederungen einer Konjunkturkrise treibt. Viel Zeit zum Feiern bleibt Zapatero nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2008

"Sehenswerte Bilanz"

(...)
Spanien ist heute, nach vier Jahren Regierung Zapatero, ein Staat mit mehr Bürgerrechten, Freiheiten und Sozialleistungen als je zuvor. Ein gastfreundliches Einwandererland, das bisher fünf Millionen Fremde als Arbeitskräfte ziemlich problemlos integrieren konnte. Ein Urlaubsparadies, das jedes Jahr 60 Millionen ausländische Touristen anzieht.
Und ein berechenbarer außenpolitischer Partner, der wieder in Europa seine Zukunft sieht. Ganz im Gegensatz zur Großmannssucht des konservativen Ex-Premiers Aznar (1996-2004), der lieber die USA umschmeichelte und die EU vor den Kopf stieß. Zapatero empfiehlt sich also mit einer sehenswerten Bilanz für die Zukunft.

Auszug aus: Lausitzer Rundschau, 10. März 2008

Weitere Kommentare:

EL PAIS (Spanien):
"Der Wahlsieg von José Luis Rodríguez Zapatero vor vier Jahren war weder ein Zufall noch eine Zwischenlösung. Er war auch nicht die Folge der Madrider Anschläge vom 11. März 2004, wie die radikalen Gruppen der Rechten immer wieder behaupteten. Die Wähler haben Zapatero, wie das in Spanien seit 1977 üblich ist, die Chance gegeben, eine zweite Legislaturperiode zu regieren. Anders als die Vorgänger Felipe González und José María Aznar erhielt Zapatero allerdings im zweiten Anlauf nicht die absolute Mehrheit. Er versprach, 'Fehler' zu korrigieren. Davon hat er viele begangen, und sie verhinderten einen deutlicheren Sieg. Ein zweites Mal darf Zapatero sie nicht machen".

LA REPUBBLICA (Italien):
"Insgesamt haben die beiden größten Parteien im Vergleich zu den Ergebnissen von vor vier Jahren hinzugewonnen. Damit verstärkt sich der Trend zu einem Zweiparteiensystem in der spanischen Politik. Der Regierung Zapatero wird das Regieren mit diesem Ergebnis erleichtert: Auch wenn sie nicht die absolute Mehrheit erhalten hat, so braucht sie künftig nur noch die Unterstützung von sieben Abgeordneten anderer Parteien, um Gesetze zu verabschieden".

SALZBURGER NACHRICHTEN:
"Spaniens künftige Regierung hat schwierige Zeiten vor sich: Das sympathische Urlaubsland treibt in eine Konjunkturkrise. Ziemlich rasch könnte aus dem südeuropäischen Musterschüler ein Sorgenkind werden. Auch steht es um den politischen Zusammenhalt nicht zum Besten. Im nordspanischen Baskenland, wo die Terrorgruppe ETA operiert, wird der Ruf nach Unabhängigkeit immer lauter. Das Kosovo gilt vielen Basken als nachahmenswertes Beispiel. Die Zwietracht zu überwinden, die Nation zusammenzuhalten und die Wirtschaft zu stabilisieren, dürfte Spaniens große Herausforderung der nächsten Jahre sein".

Quelle: Pressespiegel des Deutschlandfunks, 10. März 2008


Zapatero regiert weiter

Parlamentswahlen in Spanien: Vereinigte Linke verliert Fraktionsstatus. Wahlenthaltung im Baskenland liegt über dem Durchschnitt

Von Ingo Niebel, Donostia (San Sebastián) **


Im Südwesten Europas nichts Neues: Der spanische Sozialdemokrat José Luis Rodríguez Zapatero hat am Sonntag die Parlamentswahlen gewonnen. Seine Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) erhielt 43 Prozent der Stimmen. Das bringt ihr fünf neue Parlamentssitze. Mit ihren 169 Abgeordneten hat sie aber eindeutig die absolute Mehrheit von 176 Sitzen verfehlt. Auf Platz zwei kam die postfranquistische Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy mit 40 Prozent. Auch das bedeutet einen Zuwachs von fünf Mandaten auf 153.

Rückzug aus der Politik

Zu den großen Wahlverlierern gehört die Izquierda Unida (IU, Vereinigte Linke). Sie erreichte 320000 Stimmen weniger. Drei von fünf Parlamentarier wurden nicht wiedergewählt. Die verbleibenden zwei Abgeordneten können keine Fraktion mehr bilden. Der IU-Generalkoordinator Gaspar Llamazares kündigte am Wahlabend seinen Rückzug aus der Politik an. Wenige Tage vor der Wahl hatte er noch von einer Koalition mit der PSOE und einem Ministerposten geträumt.

Ähnlich katastrophal schnitten Regionalparteien ab. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) verlor 350000 Stimmen, die christdemokratische Baskische Nationalpartei (PNV) 12000 Stimmen. Die ERC muß fünf ihrer acht Sitze abgeben, die PNV verliert einen ihrer sieben Sitze. Ihre katalanische Schwesterpartei Convergència i Unió (CiU) aber gewann einen Sitz hinzu und ist jetzt mit elf Abgeordneten im spanischen Parlament vertreten. Die drei Parteien gelten als potentielle Koalitionspartner der PSOE.

Zapatero kündigte an, er werde »mit fester Hand und mit ausgestreckter Hand« regieren. Was er damit konkret meint, ließ er offen. Dank seines Politikstils wird es Zapatero leichter haben als Rajoy, Koalitionspartner zu finden. Offen ist zur Zeit, ob das Wahlergebnis bei seinem rechten Herausforderer zu personellen Konsequenzen führen wird. Rajoy hatte sein Wahlkampfteam mit den Hardlinern seiner Partei bestückt. Das führte zu innerparteilichen Kontroversen mit dem als »gemäßigt« geltenden Madrider Oberbürgermeister Alberto Ruiz-Gallardón.

Protest mit Wahlboykott

Im Mittelpunkt des Interesses stand die Wahlbeteiligung im Baskenland. Die linke Unabhängigkeitsbewegung und die Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Sie protestierten so gegen den Ausschluß der baskischen Linksparteien vom Urnengang. Die Situa­tion spitzte sich am Freitag weiter zu, als Unbekannte den ehemaligen sozialistischen Ratsherrn von Arrasate (Mondragón), Isaías Carrasco, erschossen. Die spanischen und baskischen Parteien machten die ETA für den Anschlag verantwortlich und riefen zur massiven Wahlbeteiligung auf. Nach Bekanntgabe des amtlichen Wahlergebnisses wurde klar, daß nicht sie, sondern die Unabhängigkeitsbewegung in diesem Punkt gewonnen hatte. Spanienweit ist die Wahlbeteiligung um 0,3 Prozent auf 75,3 Prozent gesunken. Im Baskenland kam sie nur auf 65 Prozent. Die Enthaltung stieg somit von 25 auf 35 Prozent. In der Provinz Gipuzkoa, der Hochburg der Unabhängigkeitsbewegung, sank die Wahlbeteiligung sogar auf 48 Prozent. In Arrasate gingen nur 60 Prozent der Berechtigten zur Wahl.

Die baskische Tageszeitung Gara hat die Enthaltung in 187000 Stimmen für die linke Unabhängigkeitsbewegung umgerechnet. Ihrer Meinung nach hat sich diese politische Kraft trotz des Verbots konsolidiert. Neu ist, daß es der PSOE erstmals seit 1980 gelungen ist, in allen drei Provinzen der Autonomen Baskischen Gemeinschaft die PNV als stärkste Partei zu überrunden.

** Aus: junge Welt, 11. März 2008


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