Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Das Baskenland nach der Wahl

Absage an Gewalt - Absage an Madrid

Nachfolgenden Kommentar zu den mit großer Spannung erwarteten Wahlen im Baskenland haben wir der Schweizer Wochenzeitung WoZ entnommen.

Baskenland: Kleiner Kurswechsel nach der Wahl

Neue Rolle für Linke
Von Dorothea Wuhrer


Nicht nur die gemässigten NationalistInnen, auch die Vereinigte Linke hat vom ETA-Desaster profitiert.

Mit diesem Resultat hat kaum jemand gerechnet, nicht einmal die Wahlsieger. Selbst die grössten OptimistInnen in der bisher amtierenden Koalition von PNV und der kleinen Partei EA («Baskische Solidarität») dachten nicht im Traum an einen solchen Sieg. Im Vorfeld hatten sich nämlich die meisten insgeheim schon nach einem neuen Partner umgesehen, um ein Zusammengehen der beiden grossen zentralspanischen Parteien – der konservativen Volkspartei PP und der sozialdemokratischen PSOE – zu verhindern. Zumindest die PSOE erschien vielen als das kleinere Übel. Gedankenspiele dieser Art sind nun nicht mehr nötig. PNV und EA haben zwar die absolute Mehrheit verfehlt, stellen aber die Regierung und den Präsidenten der autonomen Region Baskenland. Dennoch ist ein dritter Koalitionspartner von Vorteil: Denn PNV–EA schicken nur 33 Abgeordnete ins neue Parlament, PP– PSOE verfügen aber über 32 der insgesamt 75 Sitze.

Der alte und vermutlich neue Präsident Juan José Ibarretxe hat bereits erste Verhandlungsrunden einberufen. Bevorzugter Gesprächspartner ist die baskische Sektion der Vereinten Linken, Izquierda Unida (IU). Diese war bis vor kurzem noch eine relativ unbedeutende Kraft im Baskenland, hat aber in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen. Noch 1994 war sie im baskischen Parlament gar nicht vertreten. Danach übernahm Javier Madrazo den Vorsitz im Baskenland, stritt mit der Mutterpartei in Madrid und wurde bald auch von Intellektuellen wie etwa dem katalanischen Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán unterstützt. Am Sonntag nun hat IU es geschafft, dem ETA-nahen Wahlbündnis Euskal Herritarok (EH) mit drei Sitzen die Schlüsselfunktion in der baskischen Regierung streitig zu machen. Denn die vom Kurs der ETA-Hardliner enttäuschten EH-WählerInnen wechselten nicht alle in das Lager der NationalistInnen (PNV–EA gewannen sechs Sitze hinzu), sondern stimmten teilweise auch für die IU.

Auch wenn den Linken der baskische Nationalismus fern liegt, zeigen sie in der Konfliktregion mehr Gemeinsamkeiten mit den NationalistInnen als mit den zentralspanischen Parteien. Entgegen den Vorgaben ihrer Madrider Zentrale hatte sich die baskische IU-Sektion auch am Pakt von Lizarra beteiligt – jenem Abkommen von 1998, das Verhandlungen mit den militanten SeparatistInnen befürwortet und den Waffenstillstand von ETA überhaupt erst ermöglicht hatte. Im Unterschied zur PSOE etwa tritt der baskische IU-Vorsitzende Madrazo auch heute noch für einen Dialog mit den ETA-Militanten ein; mit rein polizeilichen Mitteln könne der Kampf um die Köpfe nicht gewonnen werden, sagt er. Auch deswegen hatte die baskische IU eine Koalition mit PP und PSOE von vornherein ausgeschlossen.

Dass die Linken nicht mit den Konservativen zusammengehen wollten, liegt auf der Hand. Für die Absage an die sozialistische PSOE gab es vor allem zwei Gründe. Da war zum einen die Erfahrung aus der spanischen Parlamentswahl im März 2000, bei der die Linken eine deutliche Niederlage hinnehmen mussten. Die Wahlabsprache der IU-Führung mit der PSOE wurde von der Basis nicht honoriert; für die meisten Linken sind die SozialdemokratInnen kein Bündnispartner mehr. Und im Baskenland konnte die dortige IU-Sektion der PSOE die enge Zusammenarbeit mit der in Madrid regierenden PP nicht verzeihen. Die sich möglicherweise anbahnende Dreierkoalition aus PNV, EA und IU könnte nun die Block-Konfrontation zwischen «espańolistas» und baskischen NationalistInnen lockern.

Weniger überraschend als die Niederlage von PP–PSOE – die «Zerschlagung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung» ist der Bevölkerung als Wahlprogramm dann doch zu wenig – waren die Verluste von EH, die die Hälfte ihrer Sitze einbüsste und das schlechteste Ergebnis seit 1980 einfuhr. Die meisten BaskInnen sind die nicht mehr nachvollziehbaren ETA-Attentate leid und haben offensichtlich auch von der schweigsamen Selbstgerechtigkeit der politischen Sprecher genug. Am Montag forderte der EH-Vorsitzende Arnaldo Otegi die WahlsiegerInnen von der PNV lediglich auf, die «geliehenen» Stimmen auch richtig zu nutzen.

Ob das Verbot der militanten Jugendorganisationen Haika drei Tage vor der Wahl einen Einfluss auf das Ergebnis hatte, lässt sich derzeit kaum feststellen. Aber auch die neue Regionalregierung wird bald feststellen, dass viele BaskInnen in den Haika- und ETA-Mitgliedern immer noch «unsere Jungs» sehen.

Aus: WoZ, 17. Mai 2001

Zurück zur "Spanien"-Seite

Zu anderen Ländern/Regionen

Zurück zur Homepage