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Aussagen nach Folter

Spanische Kampagne gegen Venezuela basiert auf Mißhandlung baskischer Gefangener

Von Ingo Niebel *

Die Verhöre durch die spanische Justiz, in denen zwei Basken ausdesagt haben sollen, sie hätten 2008 in Venezuela eine militärische Ausbildung erhalten, waren von Schlägen und Tritten der Vernehmer und in deren Folge von Ohnmacht, Schüttelfrost und Erstickungsanfälle der Verhörten bestimmt. Sogar einer der Pflichtverteidiger protestierte deshalb gegen die Zustände, die in der fünftägigen Isolationshaft geherrscht haben und forderte, diese als »Incomunciado« bezeichnete Haft aufzuheben. Außerdem weigerte er sich, die Aussage seines Mandaten zu unterschreiben. Erst am Mittwoch, eine Woche nach ihrer Verhaftung, durften Xabier Atristain und Juan Carlos Besance mit ihren Vertrauensanwälten sprechen. Festgenommen hatte sie die Guardia Civil unter dem Verdacht, daß sie der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) angehörten. Spaniens Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba zeigte so, daß er trotz der Verhandlungsbereitschaft der ETA den »Antiterrorkampf« unvermindert fortführt, Folter inklusive. Wie die Verteidiger der beiden Basken am Mittwoch (6. Okt.) mitteilten, wurden Atristain und Besance auf der 500 Kilometer langen Fahrt nach Madrid zweimal ohnmächtig, weil die Polizisten ihnen mit Plastiktüten die Luft abschnürten. Später setzte es Tritte und Schläge. Dabei wickelten die Beamten den von der Hüfte ab nackten Besance in eine Decke, um nachweisbare Wunden zu vermeiden. Als der Häftling zu schwitzen begann, brachten sie ihn in einen eiskalten Raum. Atristain schütteten sie Eiswasser über den Körper.Außerdem begossen die Polizisten die beiden mit einer unbekannten Flüssigkeit, die bei Atristain zum Verlust der Kopfhaut geführt haben soll.

Währenddessen setzt die spanische Presse ihre Kampagne gegen Venezuelas Präsident Hugo Chávez und den venezolanischen Botschafter in Madrid, Isaías Rodríguez, fort. Beide hatten sich zwar vom Kampf der ETA distanziert, aber auch den Wahrheitsgehalt der veröffentlichten Aussagen bezweifelt. Die regierungsnahe Zeitung El País behauptet nun: »Seitdem er (Chávez) seit 1999 regiert, hat die spanische Justiz in Venezuela die Auslieferung von 21 Personen, darunter sieben Etarras, beantragt, aber keine wurde verhaftet noch ausgeliefert.« Tatsächlich hatte die venezolanische Polizei schon 2002 vier Basken rechtswidrig an Madrid übergeben. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission verurteilte Caracas deswegen zu einer Geldstrafe. Im August 2009 entließ das Oberste Gericht Venezuelas den Basken Ignacio Etxeberria nach vier Monaten aus der von Spanien beantragten Auslieferungshaft, weil die unterstellten Delikte gemäß des zwischen beiden Ländern abgeschlossenen Justizabkommens verjährt waren.

Die Madrider Kampagne zielt jetzt auf einen Basken mit venezolanischem Paß, Arturo Cubillas, weil dieser und seine Frau als Abteilungsleiter im venezolanischen Landwirtschaftsministerium arbeiten. Cubillas ETA-Mitgliedschaft ist erst seit 2006 wieder ein Thema, obwohl Madrid selbst Caracas 1989 gebeten hatte, ihn und 18 weitere Etarras aufzunehmen. Im März 2010 eröffnete das Madrider Sondergericht für Terrordelikte, die Audiencia Nacional, ein Verfahren gegen Cubillas wegen Kooperation mit der ETA und der kolumbianischen FARC. Die Anklage basiert auf Aussagen von gefangenen Guerilleros in Kolumbien und auf Dateien aus den manipulierten Laptops des 2008 ermordeten FARC-Kommandanten Raúl Reyes.

Die Madrider Aktionen gegen Caracas folgen zeitlich einer Studie des einflußreichen spanischen Think Tanks FRIDE, die seit Mai 2010 auf dessen Homepage im Internet steht. Darin kritisiert die deutsche Politologin Susanne Gratius mehrfach die Passivität der Regierung Zapatero gegenüber Chávez. Ungemach droht unterdessen aus Genf, wo die Vereinten Nationen über Folterprävention beraten. Der UN-Beobachter für Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus, Martin Scheinin, hat Madrid aufgefordert, die Audiencia Nacional und die Incomunicado-Haft abzuschaffen, weil sie grundlegende Menschen- und Bürgerrechte verletzen.

* Aus: junge Welt, 8. Oktober 2010


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