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Funkstille in Valencia

Spanien: Regierung der autonomen Gemeinschaft schließt öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Für Skandalflughafen ist genug Geld da

Von André Scheer *

Marina Albiol, linke Abgeordnete im Regionalparlament von Valencia, ist wütend auf »Diebe und Mafiosi«. Gemeint ist die von der rechten Volkspartei (PP) gestellte Regierung der Valencianischen Gemeinschaft, in der Spanisch und ein Dialekt des Katalanischen gesprochen wird. Es könne doch nicht sein, daß einerseits der öffentlich-rechtliche Rundfunk RTVV wegen angeblich fehlender 40 Millionen Euro eingestellt werden soll, während gleichzeitig 25 Millionen Euro für den Skandalflughafen Castellón (AEROCAS) bereitgestellt werden. Dieser war zwar am 25. März 2011 offiziell eingeweiht worden, hat den Betrieb aber nie aufgenommen. Einerseits fehlen Genehmigungen, weil Start- und Landebahnen zu schmal geraten sind. Zum anderen hatte die valencianische Regierung den Betreibern des Flughafens vertraglich zugesagt, in den ersten acht Betriebsjahren die Verluste zu übernehmen – sieht sich dazu heute aber nicht mehr in der Lage. Von Anfang an gab es Kritik an dem unsinnigen Großprojekt, denn die beiden nächstgelegenen Flughäfen Reus und Valencia liegen nur rund zwei Stunden Fahrzeit entfernt.

»Die Regierung hat Jahr für Jahr öffentliche Gelder für einen absurden Flughafen verschwendet, der zum größten Witz Spaniens geworden ist«, erklärte Albiol. »Ich weiß nicht, ob die Katastrophe von AEROCAS vor den Gerichten endet, aber die moralische Verurteilung der PP-Führer durch die Bürger ist klar und eindeutig.«

Gesprochen werden soll davon aber nicht, geht es nach dem Willen der Regierung der zu Spanien gehörenden Autonomen Region. Am vergangenen Mittwoch mußten die Sprecher des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTVV die Ankündigung der bevorstehenden Einstellung ihres Senders verlesen. Damit ist künftig in Valencia kein rein katalanischsprachiges Programm mehr zu sehen, nachdem die Übertragung der Kanäle aus Barcelona schon vor Jahren auf Betreiben der PP verboten wurde.

Der Präsident der Valencianischen Generalitat, Alberto Fabra, begründete die Schließung mit einem kurz zuvor gefällten Urteil des Obersten Gerichtshofs, das die Entlassung von mehr als 1000 Beschäftigten der Rundfunkanstalt untersagt hatte. Damit sei die Einstellung des Sendebetriebs unvermeidlich, weil er das Geld nicht habe, um die Gehälter der Beschäftigten zu bezahlen. »Ich werde keine Schule und kein Krankenhaus schließen, um RTVV aufrechtzuerhalten«, übte er sich in Populismus – nachdem seine Regierung in den vergangenen Jahren genau dies mehrfach getan hatte.

Tatsächlich dürfte Fabra die Schließung des Rundfunks leichtfallen. Seine von ehemaligen Ministern und Funktionären der Franco-Diktatur aufgebaute PP führt seit Jahren eine Kampagne gegen alles, was sie als Gefahr für den Bestand der »Einheit Spaniens« ansieht. Das trifft vor allem die von ihr regierten autonomen Regionen Valencia und Balearen, wo die öffentliche Benutzung der katalanischen Sprache von den Behörden immer weiter zurückgedrängt wird. Zuletzt hatten Hunderttausende in Palma de Mallorca gegen die Reduzierung des katalanischsprachigen Schulunterrichts zugunsten von Spanisch und Englisch demonstriert.

Gegen die Einstellung des öffentlichen valencianischen Fernsehens in katalanischer Sprache demonstrierten am vergangenen Wochenende Tausende Menschen in verschiedenen Städten der Autonomen Region. RTVV übertrug stundenlang live, ließ Teilnehmer der Proteste zu Wort kommen und zeigte genüßlich Transparente, auf denen die PP als »Mafia« kritisiert oder die Entlassung der Regierung gefordert wurde.

Seit der Ankündigung der Schließung haben die Beschäftigten praktisch die Kontrolle über ihre Sendungen übernommen. Verwundert bemerken die Zuschauer nun, daß die Journalisten dort auch zu einer kritischen Berichterstattung in der Lage sind. Bislang hatte RTVV eher als Sprachrohr der Regierung gegolten – und prompt ernteten die gegen ihre Entlassung protestierenden Beschäftigten neben Solidarität auch Spott. Es sei doch überraschend, wie sich nun die gleichen über Ungerechtigkeit empören, die bislang immer gegen alle Proteste der Bevölkerung gewettert hätten, notierte etwa der katalanische Parlamentsabgeordnete Quim Arrufat im Internetdienst Facebook. Doch die Zuschauer honorieren den neuen Kurs von RTVV: Die Einschaltquoten des Kanals Nou, was sowohl »Neun« als auch »Neu« bedeutet, haben sich über Nacht verdreifacht.

Doch die Regierung zeigt sich unbeeindruckt. Am heutigen Dienstag will die Exekutive beim Parlament einen nur drei Punkte umfassenden Gesetzentwurf einreichen, der in einer einzigen Lesung und ohne die Möglichkeit von Änderungsanträgen durchgepeitscht werden soll. Inhalt des Dokuments ist die Einstellung der Programme, die Entlassung aller Beschäftigten und die Auflösung der Rundfunkgesellschaft. Der offizielle Beschluß im Parlament soll noch in diesem Monat fallen.

* Aus: junge welt, Dienstag, 12. November 2013


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