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Blockade geplant

Spanien: "Empörte" wollen Parlament umzingeln. Madrids Regionalpräsidentin Esperanza Aguirre schmeißt hin

Von André Scheer *

Esperanza Aguirre hat die Brocken hingeschmissen. Die Präsidentin der Comunidad de Madrid, der Region der spanischen Hauptstadt, erklärte am Montag ihren Rücktritt von allen politischen Ämtern und begründete dies mit »persönlichen Motiven«. Sie wolle mehr Zeit mit ihrem Mann und ihren Enkelkindern verbringen, so die Politikerin der rechten Volkspartei (PP). Sie habe schon vor der letzten Wahl im Mai daran gezweifelt, ob sie wieder antreten solle, doch nun sei der richtige Zeitpunkt, sich aus der ersten Reihe der spanischen Politik zurückzuziehen.

Der Zeitpunkt sei »zu perfekt«, um ihn nicht politisch zu interpretieren, reagierte hingegen der Parlamentsabgeordnete Gaspar Llamazares von der Vereinigten Linken (IU) auf die Erklärung Aguirres und erinnerte daran, daß in Galicien und Baskenland regionale Wahlen bevorstehen, die für die PP äußerst wichtig sind. Er vermute, daß Aguirre mit ihrem Rücktritt verhindern wolle, eine Politik mittragen zu müssen, die sie nicht teile. Tatsächlicah hatte die Politikerin, die dem rechten Flügel ihrer Partei zugerechnet wird, zuletzt unter anderem die Finanzierung der autonomen Regionen Spaniens sowie die aus Gesundheitsgründen erfolgte Haftentlassung des baskischen politischen Gefangenen Iosu Uribetxebarria kritisiert.

Ihrem bisherigen Stellvertreter und wahrscheinlichen Nachfolger Ignacio González hinterläßt Aguirre eine ganze Reihe unvollendeter Projekte, die in Madrid bereits zu Protesten geführt haben: die Einführung von Benutzungsgebühren für eine Reihe von Schnellstraßen in der Hauptstadt, die Privatisierung des regionalen Fernsehsenders Telemadrid und des für die Trinkwasserversorgung der Metropole zuständigen Unternehmens Canal de Isabel II sowie »Eurovegas«, ein 16,9 Milliarden Euro teures Monsterkasino mit 18000 Spielautomaten und zwölf Hotels. Der US-Milliardär Sheldon Adelson will ein Drittel der Kosten tragen – um die übrige Finanzierung braucht sich Aguirre nun keine Sorgen mehr zu machen.

Ihren Abgang legte die Politikerin genau zwischen die beiden großen Protestaktionen, die Madrid dieser Tage fest im Griff haben. Am vergangenen Sonnabend beteiligten sich Hunderttausende an einer Großdemonstration gegen die Kürzungspolitik der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Dort hatten die Gewerkschaften auch Aguirres Privatisierungsprojekte scharf angegriffen.

Am 25. September wollen nun Gruppen der Bewegung der »Empörten« (15-M) das Parlamentsgebäude umzingeln und – so die ursprüngliche Ankündigung – so lange blockieren, bis die Regierung zurücktritt. Das sei illegal, wetterte bereits Madrids Regierungsdelegierte Cristina Cifuentes, die Spaniens Zentralkabinett in der Hauptstadt vertritt. Zum einen sei die Demonstration bislang nicht angemeldet worden, zum anderen dürfe ohnehin an diesem Tag und an diesem Ort keine Kundgebung stattfinden, weil das Parlament tage. »Die Nationale Polizei wird die Sicherheit der Bürger und die öffentliche Ordnung garantieren«, drohte sie gegenüber der Tageszeitung El País. Schon im August hatte sie den Organisatoren der Aktion vorgeworfen, einen »verdeckten Putsch« vorzubereiten.

Llamazares wies solche Vorwürfe am Montag zurück und warf Cifuentes und andere hochrangige Regierungsvertreter vor, die Bewegung zu kriminalisieren. »In Spanien sind die Staatsstreiche immer von oben verübt worden«, stellte er klar und nannte als deren Verantwortliche die Spitzen der Wirtschaft, des Militärs und des Klerus. Obwohl seine IU zu einem »demokratischen Aufstand« zum Sturz der Regierung aufruft, mobilisiert sie öffentlich nicht für die Umzingelung des Parlaments. Demgegenüber erklärte die Kommunistische Partei Spaniens (PCE), die in dem Bündnis die stärkste Kraft darstellt, sie beteilige sich »so wie andere« an der Vorbereitung der Aktion. »Wir müssen dort sein, wo die Bewegungen sind«, erklärte die in der Parteiführung dafür zuständige Felicitas Velazquez im Internetportal La República.

Wie viele Menschen sich am kommenden Dienstag tatsächlich an der Aktion beteiligen werden, ist schwer abzuschätzen. Die Organisatoren hoffen auf »Tausende« Menschen, die nicht nur in Madrid, sondern auch vor Dutzenden weiteren öffentlichen Gebäuden in ganz Spanien protestieren werdem. Die für ihre spektakulären Kampagnen bekannte Andalusische Arbeitergewerkschaft (SAT) jedenfalls fährt nicht nach Madrid. Sie ruft gleichzeitig zu einer ähnlichen Aktion vor dem andalusischen Regionalparlament in Sevilla auf, um gegen die hohe Erwerbslosigkeit in der Region zu protestieren.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. September 2012


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