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Schürffieber in Andalusien

Gips, Gold, Uran - in der Krise wird Spanien mehr denn je zum billigen Rohstofflieferanten

Von Louis Max Blank, Almería *

In der Eurokrise wird das bodenschatzreiche Spanien vor allem für Unternehmen aus Übersee interessant. Kanadische, australische und US-amerikanische Bergbaufirmen teilen derzeit Spaniens Rohstoffreichtum untereinander auf, denn aus Dollarsicht ist das Investment so lukrativ wie selten zuvor.

Wenn der Wind aus Norden weht, schließt Isabel Ramos Ramos hastig alle Fenster und Türen. Sie ruft ihre Enkelkinder herein und wischt mit dem feuchten Mob die grauen Asbestschleier von der Türschwelle. Seit gut 40 Jahren lebt das kleine Dorf nahe dem Städtchen Lubrín in Andalusiens ärmster Provinz Almería schon mit den Staubwolken seines alten Steinbruches für Serpentinit. Die Halde mitsamt den Schutteinrichtungen wurde bis in die 90er Jahre betrieben und seit dem Asbestverbot einfach ignoriert. Wer heute mit dem Auto auf der Dorfstraße aus blau-grauem Geröll entlangfährt, wirbelt jedes Mal Asbestwolken auf.

»Wir leben ja sonst gesund, rauchen nicht, trinken unseren eigenen Wein und essen viel Olivenöl«, sagt Isabel und erklärt, dass bislang alle Familienmitglieder ein stattliches Alter erreicht hätten. Selbst Bruder José Ramos Ramos, der im Steinbruch als Bergarbeiter arbeitete, wird in diesem Jahr 82 Jahre alt. »Wir sind ziemlich zähe Leute, wir Andalusier«, sagt Isabel und beschließt, an diesem windigen Tag lieber im Haus zu bleiben.

So wie in Lubrín Asbest aus den Berghängen gekratzt wurde, wird auch heute noch in weiten Teilen Spaniens Raubbau an der Natur betrieben. Mitten im Naturpark der Karstlandschaft von Sorbas wird im Tagebau Gips abgebaut, dessen Feinstaub seit Jahren die Umwelt und die Bronchien der Anwohner belastet.

Die ländliche Bevölkerung ist nur wenig aufgeklärt und fürchtet sich eher vor Steuererhöhungen als vor Gesundheitsgefahren. Arbeitsplätze sind den meisten Spaniern angesichts der Krise wichtiger als das Allgemeinwohl oder Umweltfragen.

Spanien ist für Unternehmen aus der Risikobranche ein ideales Investitionsland: Verstöße gegen Umweltgesetze werden kaum verfolgt oder nur geringe Strafmaße ausgesprochen. Vielfach werden Investoren mit großzügigen Steuernachlässen gelockt. Und nun kommt mit einem schwächer werdenden Euro auch noch eine höhere Rendite für außereuropäische Investoren. Der enorme Aufschwung der »kleinen Dollars« - des kanadischen und des australischen - lockt Investoren aus kapitalintensiven Wirtschaftszweigen an. Kanadische, australische und US-amerikanische Bergbaufirmen teilen derzeit Spaniens Rohstoffreichtum untereinander auf.

In Andalusien wiederholt sich damit ein längst abgeschlossenes Kapitel der Geschichte - schon im 19. und 20. Jahrhundert wurden extensiv in der vulkanisch geprägten Provinz Almería Silber, Gold und Diamanten abgebaut und in die USA verschifft. Heute werden die alten Goldminen wieder erschlossen. In Almería spricht man vom neu ausgebrochenen »Fiebre de Oro« - dem Goldfieber. Nicht nur der Dollar steht gut, um den teuren und aufwendigen Abbau zu finanzieren. Erleichtert wird er auch durch satelliten- und computergesteuerte Geotechnik, die völlig neue Einblicke erlaubt. Mit Hubschraubern suchen die Geologen die Berge rund um Almería nach wertvollen Bodenschätzen ab. Auch in bereits leer geräumten Minen wird heute wieder Gold, Kupfer oder Silber entdeckt.

Das meistversprechende Goldprojekt hat das börsennotierte kanadische Unternehmen Renaissance Gold (RenGold) im Vorgebirge der Sierra Nevada nahe der Stadt Baza (Provinz Almería) gestartet. Vier alte Gold- und Kupferminen wurden gekauft und weitere 130 Quadratkilometer gesichert, wo man an 84 Stellen Gold vermutet. Der spanische Geologe Fernando de la Fuente, der mit seiner Firma die Machbarkeitsstudie durchführt, hat für diverse Interessenten die Geodaten ausgewertet. Zunächst hatte sich die aus Vancouver stammende Western Uranium Company für das Gold interessiert, dann wurde das Projekt an RenGold verkauft. De la Fuente hofft, dass es bald losgeht. »Wenn mit dem Abbau begonnen wird, können wir bis zu 600 Menschen Arbeit geben. Wir haben die volle Unterstützung der Gemeinde.«

Die Gewinnung von Gold ist ein höchst aufwendiges Unternehmen. Da die Edelmetalle nur als Konzentrat aus dem Gestein geborgen werden können, müssen große Mengen abgebaut werden. Aus einer Tonne Gestein können nur zehn bis 20 Gramm Gold extrahiert werden.

Während früher mit hochgiftiger Zyanidlösung Goldquarze aus dem Gestein gelöst wurden, will RenGold in Baza per Flotationsmethode Kupferkonzentrat mit Goldanteil aus den Steinen waschen. Zwar soll die moderne Goldgewinnung geringere Umweltschäden verursachen, doch müssen beträchtliche Gesteinsmengen abgebaut, Staub aufgewirbelt und vor allem große Mengen Wasser verbraucht werden.

Schon jetzt herrscht Wassermangel in der Region. De la Fuente versichert jedoch, dass man nach eigenen Wasserquellen bohren und ein Reservoir anlegen wolle, um dem öffentlichen Trinkwassernetz nicht kostbares Wasser entnehmen zu müssen.

Doch nicht nur das Goldfieber hat ausländische Investoren in Spanien erfasst. Für die Big Player der Nuklearindustrie ist das Land als Uranlieferant ins Zentrum des Interesses gerückt. So hat das australische Unternehmen Berkeley Resources nach etlichen Verhandlungsrunden seit Juli 2012 alle Schürfrechte für die staatlichen Uranlagerstätten bei Salamanca erwerben können. Bislang waren die Minen im Besitz des Staatsunternehmens ENUSA, das zwischen 1975 und 2000 Uran vor allem für den eigenen Gebrauch und den Export nach Frankreich fördern ließ.

Jetzt gehören die auf 450 000 Hektar verteilten Uranvorkommen zu 100 Prozent den Australiern. 2014 sollen zu der alten Mine in Saelices El Chico neue Lagerstätten großflächig im Tagebau erschlossen werden - ein in Europa einmaliges Vorhaben.

Für die Umweltschützer von Ecologistas en Accion (EEA) stellt das Projekt eine enorme Gefahr für das Leben der Menschen - Bewohner wie Minenarbeiter - dar. Der Abbau des Uranoxids (U3O8) ist mit schwerwiegenden Eingriffen ins Ökosystem verbunden - für ein Kilogramm Uran müssen rund 33 Kilogramm strahlendes Gestein aus der Erde gebrochen werden. So sollen zwischen 2013 und 2023 insgesamt 20,5 Millionen Tonnen gefördert werden. Die Kosten für diesen Abbau beziffert Berkeley mit rund 6,86 Euro pro produzierter Tonne.

»Diesen Aufwand und das Risiko lassen unsere Politiker zu, nur um ein paar Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist der reinste Wahnsinn«, schimpft Felipe Yuste von der EEA-Regionalgruppe Salamanca. Rund 88 Jobs sollen im Uranabbau bei Salamanca entstehen - doch zugleich werden Existenzen vernichtet. In Retortillo befindet sich ein traditionsreiches Kurhotel, in dem 70 Angestellte das ganze Jahr über beschäftigt sind. Wird der Uranabbau ab 2014 gestartet, kann das Heilbad für immer seine Türen schließen.

Schon jetzt wird rund um Salamanca eine erhöhte Strahlenbelastung in der Luft, der Erde und im Ökosystem gemessen. Leukämie, Lungenkrebs und eine Häufung spezieller Tumorfälle des Nervensystems sind bei Bewohnern nahe der alten Mine Saelices de Chico aufgetreten.

Werden nun noch weitere Uranminen geöffnet, fürchten die Umweltschützer die weitflächige Verbreitung des radioaktiven Gases Radon, das durch Bewegen der Gesteinsmassen frei wird. Felipe Yuste blickt mit Sorgen in die Zukunft: »Ich nehme an, es läuft wie immer. Am Ende bleibt der vor der Pleite stehende Staat auf den Kosten sitzen und das Volk muss mit den Folgeschäden leben.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 05. Oktober 2012


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