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Bis auf die nackte Haut

Spanien versucht sich mit Protesten gegen die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem zu wehren

Von Ralf Streck, Madrid *

Schon bevor am Donnerstagabend Demonstrationen die Innenstädte in Spanien überfluten sollten, rückte ein Generalstreik auf die Tagesordnung. In ungekannter Einigkeit demonstrieren seit Tagen breite Bevölkerungsschichten gegen Kürzungsprogramme. Ein weiteres wurde am Donnerstag vom Parlament abgesegnet.

Die Wut ist groß in Spanien: Arbeitslose gehen mit Beamten, Gewerkschaftern und linken Aktivisten auf die Straße. Spontan verlassen Beamte ihre Behörden, Gerichte und Polizeiwachen, um zu protestieren und Straßen zu blockieren. Das Parlament in Madrid gleicht einer Festung, weil es, wie die Zentrale der regierenden Volkspartei (PP), ständig von wütenden Bürgern aufgesucht wird.

Wie schon beim Generalstreik gegen die Arbeitsmarktreform im März, die den Kündigungsschutz praktisch beseitigte, sind nun erneut die Basken vorgeprescht. Sechs baskische Gewerkschaften haben, unterstützt von den anarchosyndikalistischen CNT und CGT, nun zum Generalstreik am 26. September aufgerufen. Erwartet wird aber, dass sich die großen spanischen Arbeitnehmervertretungen schnell anschließen. Sie riefen zunächst zur »Generalmobilisierung« am Donnerstag auf und erwarteten eine »massenhafte« Beteiligung - womit mehrere Millionen Menschen gemeint sind - bei Demonstrationen in 80 Städten am Abend.

Die Empörung, die längst die Mittelklasse und viele PP-Wähler erreicht hat, wollen auch die Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) in einen massiven Streik kanalisieren. Der dürfte neue Maßstäbe setzen, zumal sich die Empörten-Bewegung seit langem darauf vorbereitet. Erwartet wird, dass sich erstmals die Beamtengewerkschaft (CSI-F) anschließt.

CCOO-Chef Ignacio Fernández Toxo und UGT-Chef Cándido Méndez haben der Regierung noch einen Ausweg angeboten. Sie forderten von Ministerpräsident Mariano Rajoy, die Bevölkerung per Referendum über die Sparpläne und damit über die Bankenrettung abstimmen zu lassen. Da Spanien derweil aber das Memorandum nicht erfüllen würde, das mit den Milliarden aus dem EU-Rettungsfonds für die Stützung maroder Banken umgesetzt werden muss, kann sich Rajoy nicht darauf einlassen. Die Sparpläne wurden als Dekret eilig beschlossen, womit die parlamentarische Einflussnahme ausgehebelt wurde.

Da CCOO und UGT im März erstmals wieder gemeinsam mit den Basken gestreikt haben, schält sich deren 26. September zu dem Tag heraus, an dem es zum großen Kräftemessen kommen dürfte. Toxo und Méndez sprechen von einem »Betrug an der Demokratie«, schließlich hatte Rajoys Regierung vor den Wahlen im vergangenen November das Gegenteil dessen versprochen, was er nun durchzieht. »Es ist unglaublich, dass im Bundestag über die spanische Bankenrettung debattiert wird, aber hier nicht einmal eine Parlamentsdebatte darüber stattfindet«, empörte sich der CCOO-Chef. Rajoy nahm nicht einmal an der Debatte über die Sparpläne teil, bevor sie von seiner PP mit ihrer absoluten Mehrheit gegen die Stimmen aller Oppositionsparteien abgenickt wurden. Da Rajoy nun auch massiv im öffentlichen Dienst spart, greift er damit seine Machtbasis an.

Hatten schon die Sozialisten 2010 die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt und zudem eingefroren, wird dort nun das 14. Monatsgehalt gestrichen. Der Mittelstand sieht einer Verarmung entgegen, da die PP schon die Einkommens- und Grundsteuer massiv anhob. Alle Spanier sind zudem davon betroffen, dass die Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent und der reduzierte Satz von 8 auf 10 Prozent angehoben werden. Besonders wird aber das Arbeitslosengeld gekürzt. Da Spanien über die Sparpolitik vor allem Arbeitslose produziert, laufen die Kosten bei fast 25 Prozent Arbeitslosenquote aus dem Ruder.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Juli 2012

König Carlos spart mit

Auch König Juan Carlos will seinen Anteil zur Rettung der spanischen Banken leisten. Er und sein Sohn, Kronprinz Felipe, wollen ihr Bruttojahresgehalt freiwillig um 7,1 Prozent kürzen, teilte das spanische Königshaus diese Woche mit. Für den einstigen Olympia-Segler Juan Carlos bedeutet das eine um 20 910 Euro niedrigere Gage als spanisches Staatsoberhaupt. Sein Sohn bekommt 10 455 Euro weniger vom Staat. Der 74-jährige Monarch will damit wohl eher sein Image aufbessern als wirklich den Gürtel enger schnallen. Immerhin bleiben ihm damit noch 272 000 Euro, seinem Sohn 136 000 Euro. Das restliche Königshaus hat zwar kein festes Gehalt, insgesamt bekommt die königliche Familie in Spanien aber nach den Kürzungen noch 8,16 Millionen Euro pro Jahr.

Erst im April ist Juan Carlos in ein Fettnäpfchen getreten, oder besser gesagt: gestürzt. Damals erzürnte er Spanien, weil er in Zeiten wachsender Armut und in die Höhe schießender Arbeitslosigkeit auf Elefantenjagd in Botswana gefahren ist. Rund 34 500 Euro soll der Jagdtrip englischen Medien zufolge gekostet haben. Bekannt wurde der Luxusausflug nur, weil Juan Carlos auf dem Trip gestürzt ist und sich seine Hüfte gebrochen hat. Wenige Wochen vor der Jagd hatte er bei einer Rede gesagt, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit ihn den Schlaf kosten würde.

Wie viel dem spanischen Königshaus nach der Kürzung de facto noch für etwaige Jagdausflüge bleibt, ist ungewiss. Genaue Zahlen über das Privatvermögen Juan Carlos' gibt es nicht. Vor einigen Jahren hat die amerikanische Zeitschrift »Forbes« sein Vermögen auf über eine Milliarden Euro beziffert. Doch diese Zahl soll laut FAZ falsch sein, weil auch Schlösser in spanischen Staatsbesitz mit eingerechnet gewesen sein sollen. Vielleicht würde ja aber auch ein ehemaliger deutscher Banker nicht nur wegen der geforderten bis zu 100 Milliarden Euro, die für die Rettung der spanischen Banken ausgeben werden sollen, Juan Carlos' Beitrag als »Peanuts« bezeichnen.

Simon Poelchau

(neues deutschland, 20.07.2012)




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