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Paradies für Kriegsverbrecher

Unzählige Nazis flohen nach dem Faschismus nach Spanien. Der Autor Joan Cantarero beleuchtet einige von ihnen

Von Florian Osuch *

Nach dem Sieg über den Faschismus flüchteten deutsche Nazis, Kriegsverbrecher und Angehörige der SS und Wehrmacht tausendfach nach Lateinamerika. Unterstützung erhielten sie dabei insbesondere durch die katholische Kirche sowie das Internationale Rote Kreuz. Netzwerke wie »Die Spinne« oder ODESSA – die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen – schleusten die Nazis vor allem über Italien oder Spanien ins Ausland. Weitgehend unbehelligt ließen sie sich in Chile oder Argentinien nieder, waren meist als Kaufleute tätig und genossen teilweise hohes Ansehen.

Unzählige Nazis zog es auch nach Spanien, insbesondere an die Mittelmeerküste, in die heutigen Touristenstädte um Barcelona, Valencia, Alicante und Málaga. In Madrid erschien Anfang des Monats ein Buch, das die Thematik der untergetauchten Nazis mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen neonazistischen Bewegung in Spanien verbindet. Der Enthüllungsjournalist Joan Cantarero kommt zu dem Fazit, daß Spanien »weiterhin ein Zufluchtsort für Nazis« ist. Deutsche Nazis haben sich dort niedergelassen und trugen dazu bei, daß das Land zum Touristenmagnet aufstieg. Gleichzeitig waren einige Nazis unter dem Schutz des Franco-Regimes weiter tätig. In eigenen Siedlungen, wie etwa im Anwesen der Familie Bremer in Dènia, soll es zu Veteranentreffen ehemaliger Angehöriger der SS und Gestapo gekommen sein. Gerhard Bremen, Offizier der Waffen-SS und Ritterkreuzträger siedelte 1954 nach Spanien über und starb 1989 in Alicante.

Der Autor Cantarero zeigt detailliert wie ungestört die Nazis in Spanien lebten. So etwa der belgische SS-Offizier León Degrelle. Obwohl wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt, arbeitete er später in Màlaga, wo er 1994 verstarb. Degrelle pflegte enge Kontakte zu Otto Skorzeny, einem Offizier der Waffen-SS, der maßgeblich die Fluchtorganisation ODESSA aufgebaut haben soll. Skorzeny leitete zahlreiche Geheimkommandos für die SS-Führung und flüchtete 1948 aus alliierter Haft nach Spanien, wo er 1975 verstarb. Skorzeny gehörte der 1966 gegründeten Organisation »Cedade« an, dem Spanischen Zirkel der Freunde Europas. Die »Cedade« war bis zu ihrer Auflösung 1994 die einflußreichste Naziorganisationen in Spanien und sammelte Anhänger des Diktators Franco, Militaristen sowie ehemalige Angehörige der SS und Gestapo. Langjähriger Präsident der »Cedade« war Pedro Valera, Betreiber der neonazistischen »Buchhandlung Europa« in Barcelona. Valera publiziert seit Jahrzehnten Naziliteratur, rassistische Hetzschriften sowie glorifizierende Bücher über die SS und andere NS-Organisationen. Erst im März diesen Jahres wurde er wiederholt wegen Verbreitung von NS-Schriften zu einer Haftstrafe verurteilt.

Mit Unterstützung deutscher Altnazis verlegt Pedro Valera auch Bücher und Zeitschriften in deutscher Sprache, darunter die Zeitschrift »Sieg«. NS-Schriften in Deutschland herzustellen war und ist vergleichsweise schwierig – in Spanien wird erst seit 1995 die Leugnung des Holocaust überhaupt als Straftat geahndet. Das Projekt »Sieg« wurde seinerzeit von Theodor Soucek vorangetrieben, einem ehemaligen Offizier der Waffen-SS. Nach Angaben des Autors Cantarero wurde Soucek in Österreich zum Tode verurteilt, konnte jedoch über Südamerika nach Spanien flüchten. Dort soll er bis heute leben. Soucek soll Handbücher zum Untergrundkampf übersetzt haben, wie sie von der SS zum Ende des Zweiten Weltkrieges für sogenannte Wehrwolf-Gruppen bestimmt waren. Die Anleitungen für Sabotageakte, darunter Sprengstoffanschläge, werden heute von den spanischen Ablegern der internationalen Nazinetzwerke Blood & Honour und Hammerskins verwendet.

Cantarero verweist auch auf den österreichischen Nazi Gerd Honsik, der im Jahr 1993 nach Spanien flüchtete, um einer Inhaftierung zu entgehen. Vierzehn Jahre lebte er unter der Sonne Spaniens bis er 2007 nach Österreich ausgeliefert wurde. Der Fall Honsik sei bezeichnend, da er in die Amtszeit der drei Präsidenten fällt, die Spanien ein viertel Jahrhundert prägten: Felipe Gonzáles (sozialdemokratisch), José María Aznar (konservativ) sowie der amtierende Präsident José Luis Rodríguez Zapatero, ebenfalls sozialdemokratisch.

Die extreme Rechte in Spanien gilt heute als weitgehend zerstritten. Zudem grenzt sich die konservative Volkspartei Partido Popular nur schwach nach rechts ab und spricht Teile der ehemaligen Franco-Elite aus Militär, Wirtschaft und der ehemaligen Staatspartei Falange an.

Joan Cantarero: La Huella De La Bota, Madrid, 2010

* Aus: junge Welt, 17. März 2010


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