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Mörder im Staatsdienst

Spanisches Innenministerium engagiert aus der Haft entflohenen neofaschistischen Verbrecher. Emilio Hellín Moro schult Polizisten und Soldaten

Von Carmela Negrete *

Emilio Hellín Moro ist verantwortlich für eines der blutigsten Verbrechen in Spanien nach dem Tod des Diktators Francisco Franco. Im Jahr 1980 ermordete er die 19jährige Studentin Yolanda González, eine Aktivistin der kleinen Sozialistischen Arbeiterpartei (PST). Hellín gehörte damals der nach dem Ende der Diktatur gegründeten Neonazipartei Fuerza Nueva an, die das Opfer des Verbrechens bezichtigte, der baskischen Untergrundorganisation ETA angehört zu haben. Yolanda González wurde in ihrer Wohnung in Vallecas in der Hauptstadt Madrid von vier Männern überfallen, in ein bereitstehendes Auto gezerrt und auf ein freies Feld gefahren, wo Hellín ihr zweimal in den Kopf schoß.

Immer wieder gab es Berichte über eine Verwicklung der staatlichen Sicherheitskräfte Spaniens in das Verbrechen. So soll einer der vier Entführer der jungen Frau Beamter der Guardia Civil gewesen sein. Als Hellín zwei Jahre nach dem Verbrechen festgenommen wurde, befand er sich gerade in der Wohnung eines Polizeiinspektors. Verurteilt wurde er zu 43 Jahren Gefängnis, doch 1987 gelang ihm die Flucht. Obwohl er zuvor bereits mehrfach versucht hatte, aus der Haftanstalt zu entkommen, wurde ihm Urlaub gewährt, den er gemeinsam mit seiner ganzen Familie zur Flucht nach Paraguay nutzte. Dort bildete er für die Diktatur Alfredo Stroessners Polizisten und Militärs aus, bis ihn ein Journalist der spanischen Zeitschrift Interviú dort entdeckte und er 1990 an Spanien ausgeliefert und wieder inhaftiert wurde.

Nach seiner Entlassung konnte er die für die Diktatur in Paraguay gesammelten Erfahrungen in einem eigenen Unternehmen umsetzen – das prompt von den spanischen Behörden engagiert wurde, wie die Tageszeitung El País am vergangenen Sonntag enthüllte. Seine New Technology Forensics bietet dem Staat kriminalistische Gutachten an und berät die Guardia Civil. Außerdem ist die Firma mit der Ausbildung von Polizisten und Soldaten in »digitaler Spionage« betraut und bietet Lehrgänge am Institut für polizeiwissenschaftliche Studien (IUICP) der Universität Alcalá an, das eine Einrichtung der Sicherheitsabteilung des spanischen Innenministeriums ist. Als Computerfachmann diente Hellín zudem der Audiencia Nacional, dem für terroristische Delikte zuständigen spanischen Sondergericht, als Sachverständiger.

Durch diese Zusammenarbeit mit den spanischen Behörden hatte Hellín Zugang zu vertraulichen Unterlagen über Ermittlungen der Justiz, und seine Firma nimmt durch ihre forensischen Gutachten Einfluß auf die Ergebnisse von Gerichtsverfahren. So war Hellín mit dem Verfahren gegen José Bretón betraut, der 2011 seine beiden kleinen Kinder ermordet haben soll und dessen Prozeß Medienberichten zufolge im Juni beginnen soll. Dabei konnte Hellín den Fluchtweg des mutmaßlichen Mörders mit Hilfe von dessen Handy nachverfolgen, obwohl dieses ausgeschaltet war.

Für das spanische Innenministe­rium räumte der für Sicherheitsfragen zuständige Staatssekretär Francisco Martínez ein, daß man das Unternehmen des Mörders unter Vertrag genommen habe. Seinen Worten nach ist es in Madrid offenbar gängige Praxis, ultrarechte Mörder mit der Ausbildung von Polizisten zu betrauen: »Es handelt sich um eine normale Auftragsvergabe an ein Unternehmen entsprechend der gewöhnlichen Verfahren. Und, nun ja, auf der Personalliste dieser Firma taucht diese Person auf.« Tatsächlich sind Emilio Hellín und dessen Sohn dem Bericht von El País zufolge jedoch die einzigen Beschäftigten bei New Technology Forensics.

Im spanischen Parlament haben die Vereinigte Linke (IU) und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) nun eine öffentliche Untersuchung der Vorgänge verlangt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. Februar 2013


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