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"Es geht darum, Wunden zu schließen"

Im südspanischen Málaga entsteht ein Mausoleum für die Opfer der Franco-Diktatur. Identifizierung der aus Massengräbern geborgenen Toten wird noch Jahre dauern

Von Inés Benítez (IPS) *

Auf dem alten Friedhof San Rafael in der südspanischen Stadt Málaga entsteht derzeit ein Mausoleum für die Tausenden von Menschen, die im Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 und unter der Diktatur von General Francisco Franco umgebracht worden sind. Hier, wo sich die größte Ansammlung von Massengräbern Spaniens befindet, wurden die sterblichen Überreste zwar inzwischen geborgen. Doch die Identifizierung der Opfer wird noch Jahre in Anspruch nehmen.

Die Arbeiten an dem pyramidenähnlichen Mausoleum sind bereits weit fortgeschritten. An den Außenmauern sollen Marmortafeln mit den Namen der Opfer angebracht werden, der Rest des seit 1987 geschlossenen Friedhofs wird in einen öffentlichen Park umgewandelt. »Ich kann mich nur noch an die Schreie meiner Mutter erinnern, als sie ihn wegbrachten«, sagt der 79jährige José Dorado. Er war 1937 drei Jahre alt, als sein Vater Pedro Dorado, ein Eisenbahner, von Franco-Truppen in der nahegelegenen Ortschaft Bobadilla erschossen wurde. Die Leiche des 33jährigen und die weiterer Kollegen wurden danach in einem Erdaushub auf dem Friedhof verscharrt.

Dokumente belegen, daß während des Spanischen Bürgerkriegs und in den ersten Jahren der Franco-Herrschaft 4471 Menschen von rechten Falangisten ermordet wurden, vermutlich, weil sie den von den Franco-Truppen im Bürgerkrieg besiegten »Republikanern« angehörten. Von Oktober 2006 bis Oktober 2009 wurden auf dem Friedhof 2840 Skelette im Rahmen einer der größten Exhumierungen Westeuropas freigelegt. Die Leichen der übrigen Ermordeten befinden sich aller Wahrscheinlichkeit nach im Tal der Gefallenen in der Nähe von Madrid, einem Monument, das der Frankismus in den 1940er und 1950er Jahren errichtet hatte.

Kampf um Exhumierung

José Dorado, der Vorsitzende der Vereinigung, bezeichnet sich selbst gern als jemand, der nicht aufgibt. 2002 begann sein Kampf für die Exhumierung der auf dem Friedhof befindlichen Leichen. Vier Jahre später war es dann soweit. Die Universität von Málaga entnahm DNA-Proben der Skelette, um sie mit der DNA von mehr als 1000 Angehörigen von Franco-Opfern zu vergleichen. Wie Antonio Somoza, ein Gründungsmitglied der Vereinigung, erklärt, soll das neue Mausoleum die in Kisten befindlichen Leichen der Franco-Opfer aufnehmen, wenn die Angehörigen einverstanden sind.

Die Namen der 4471 Opfer sind zwar inzwischen bekannt. Doch wird es noch Jahre dauern, bis die Skelette den Namen der Opfer zugeordnet werden können. Somoza zufolge konnte bisher noch keine einzige der 2840 Leichen identifiziert werden.

Im Verlauf von vier Jahrzehnten wurden zwischen 88000 und 130000 Menschen getötet und in über ganz Spanien verteilten Massengräbern vergraben. Auch wurden unter Franco Säuglinge widerrechtlich zur Adoption freigegeben. Ihre Zahl geben Menschenrechtsorganisationen mit 30000 an.

»Wir wollen, daß die Leichen der Franco-Opfer aus den Gräbern geborgen und ordentlich beerdigt werden«, sagt der 76jährige Espinosa, der seit mehr als drei Jahrzehnten versucht, die Leiche seines ermordeten Vaters, eines Zimmermanns, zu finden. »Er starb hier«, sagt er auf dem San-Rafael-Friedhof. »Ich befand mich noch im Bauch meiner Mutter, und mein Bruder war drei Jahre alt.«

Bisher sind Versuche, die Verbrechen aufzuklären, an den Amnestiegesetzen von 1977 gescheitert, die eine strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverbrechen der Franco-Ära blockieren. Hinzu kommt, daß der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy das Büro geschlossen hat, das die landesweiten Exhumierungen koordiniert und den Fonds aus Spendengeldern zur Durchführung der kostspieligen DNA-Tests verwaltet hatte.

Emilio Silva, der 47jährige Enkel eines weiteren Opfers aus Malaga, traf am 23. September in Madrid mit zwei Experten der UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen zusammen, die vor Ort die Maßnahmen der spanischen Regierung zur Prävention und zur Bekämpfung solcher Verschleppungen sowie den staatlichen Umgang mit den Opferfamilien untersuchten. Zu diesem Anlaß forderten die Opferangehörigen die UN-Arbeitsgruppe auf, ihre Entscheidung zu überdenken, die Fälle von Verschwindenlassen vor 1945, vor der Gründung der UN, außer acht zu lassen.

»Wir haben aus der Zeit davor Hunderte gut dokumentierter Fälle, und Verschwindenlassen ist ein Verbrechen, das nicht verjährt«, betont Silva, dessen Großvater Emilio Silva im Oktober 1936 in Priaranza del Bierzo in der nordspanischen Provinz León erschossen worden war. »Er gehörte zu den ersten Opfern der Franco-Repression in Spanien, die durch einen DNA-Test identifiziert wurden«, sagt das Mitglied der Vereinigung für die Wiedererlangung der historischen Erinnerung. »Er konnte an der Seite meiner Großmutter beerdigt werden.«

»Sollten es die UN-Experten an der nötigen Flexibilität fehlen lassen und die Fälle von Verschwindenlassen vor 1945 nicht berücksichtigen, wird die Mehrheit der Fälle von Opfern der Unterdrückung ignoriert«, sagte der Gewerkschaftler Cecilio Gordillo, der die Webseite »Todos los Nombres – Alle Namen« betreibt, auf der fast 78000 Opfernamen aufgeführt sind.

Es gibt eine Chance, daß die Arbeitsgruppe ihre Entscheidung tatsächlich überdenkt, wenn sie dem UN-Menschenrechtsrat im nächsten Jahr ihren Abschlußbericht vorlegt. Sie hat die spanische Regierung aufgefordert, die Amnestiegesetze von 1977 zu widerrufen. Die Wahrheitskommissionsplattform – »Truth Commission Platform« – hat kürzlich die Kampagne »­#DiseloalaONU« (»Sag das der UNO«) gestartet, um darauf hinzuweisen, daß es in Spanien noch 2500 Massengräber gibt, aus denen die Leichen noch nicht geborgen wurden.

Universelle Gerichtsbarkeit

Dorado hofft, die sterblichen Überreste seines Vaters in Bobadilla beisetzen zu können, wo auch seine Mutter Pilar Cubero begraben ist, die im Alter von 29 Jahren zur Witwe wurde. »Wenn ich dann noch lebe, werde ich ihn dort beerdigen. Ich habe bereits ein Grab gekauft«, sagt er.

Am 24. September hat sich ein spanischer Staatsanwalt der Festnahme von vier ehemaligen Schergen der spanischen Diktatur widersetzt. Die Richterin María Servini de Cubría untersucht auf der Grundlage der universellen Gerichtsbarkeit die in Spanien unter Franco begangenen Verbrechen. Danach können Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Terrorismus überall und jederzeit geahndet werden. Servini de Cubría untersuche auch Fälle von Zwangsarbeit, die politische Gefangene in Spanien ableisten mußten, erklärte Gordillo, der am 27. September mit den Vertretern der UN-Arbeitsgruppe in der südspanischen Stadt Sevilla zusammengekommen war. »Der Staat hat Gefangene an Privatunternehmen ›ausgeliehen‹. Auf diese Weise wurden rund 250000 Zwangsarbeiter für den Bau von Straßen, Flughäfen und Kanälen eingesetzt.«

Emilio Silva zufolge sind die landesweiten Exhumierungen vor allem dem Einsatz der spanischen Opferfamilien und Freiwilligen zu verdanken. Miguel Alba, ein weiteres Gründungsmitglied der Opfervereinigung von Málaga, ist der Großneffe von fünf Onkeln, die zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen wurden. Acht Jahre lang hat er sich mit dem Verschwindenlassen von Menschen in 31 Dörfern und Städten in Axarquía, einer Region östlich von Málaga, befaßt. »Es geht nicht darum, alte Wunden zu öffnen«, so Alba. »Es geht darum, sie zu schließen.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Oktober 2013


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