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Karten liegen auf dem Tisch

Katalonien wählt am 25. November ein neues Regionalparlament

Von Carles Solà und Mela Theurer, Barcelona *

Am Freitag ist der Wahlkampf zu einer der bedeutendsten Abstimmungen in der Geschichte Kataloniens offiziell eröffnet worden. Bereits im Vorfeld kam es täglich zu Polemiken um den zentralen Punkt dieser Wahl, dem Referendum über die Unabhängigkeit des Landes.

Katalonien steht am Scheideweg. Die Parteien haben ihre Karten auf den Tisch gelegt und sich pro oder contra Referendum positioniert. Dabei unterscheiden sich die Vorstellungen über die Zukunft des knapp acht Millionen Menschen zählenden Landes erheblich. Die bisherige Mitte-Rechts Regierungspartei Convergència i Unió (CiU) hat gute Chancen, die Wahlen zum Regionalparlament der Autonomen Gemeinschaft am 25. November zu gewinnen. In zwei veröffentlichten Prognosen kann sie laut den Umfrageergebnissen des katalanischen Meinungsforschungsinstituts (CEO) sogar die absolute Mehrheit erreichen, laut Umfrage des der spanischen Regierung unterstehenden Instituts (CIS) würden ihr dazu vier bis fünf Abgeordnete fehlen. CiU hat sich dem zunehmenden Druck der Basisorganisationen gebeugt und sich deren Forderung nach Unabhängigkeit Kataloniens zu eigen gemacht. Sie sieht die Zukunft Kataloniens als neuen Staat innerhalb der Europäischen Union. Die Kontinuität radikaler »Sparpolitik« unter europäischem Diktat mit extremen Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich wird dabei nicht zur Disposition gestellt.

Es gibt drei weitere Parteien, die sich ebenfalls für die Durchführung eines Referendums aussprechen. Die links-sozialdemokratische Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) steht für ein unabhängiges Katalonien mit emanzipatorischen Veränderungen im sozialen Bereich und gleichzeitiger Mitgliedschaft in der EU. Im Unterschied zur ERC spricht sich Solidaritat per la Independència (SI) dafür aus, eine einseitige Unabhängigkeit zu erklären, falls der spanische Staat ein Referendum verhindern würde. Die links-ökologische Iniciativa per Catalunya (ICV) mit einem intern breit gefächerten Meinungsspektrum will die Entscheidung über ein unabhängiges oder föderalistisches Katalonien in die Hand der Wähler legen.

Auf der anderen Seite konzentrieren sich gegen ein Referendum die rechten Parteien Partit Popular (PP), die momentan im spanischen Staat die Regierung stellt und die Ciutadans (C’s). Beide sind absolut gegen eine Loslösung vom spanischen Staat. Einen Volksentscheid zu diesem Thema bezeichnen sie als verfassungswidrig und lehnen ihn radikal ab. Dabei schrecken sie auch nicht vor dem Versuch zurück, mit ihren politischen Kontrahenten Allianzen einzugehen und sich mit Falangisten in eine Reihe zu stellen. So haben sie die katalanischen Sozialdemokraten (PSC) –vergeblich – aufgefordert, auf von einer faschistischen Plattform organisierten Demonstration gemeinsam Front gegen die Unabhängigkeit zu machen.

Die PSC hat sich als einzige Partei offen für ein föderalistisches System ausgesprochen. Damit steht sie jedoch allein auf weiter Flur, da sie sogar in ihren eigenen Reihen auf nationaler Ebene keine Unterstützung findet. Die Voraussetzung für ein Referendum sieht sie in einer Verfassungsänderung, utopisch hinsichtlich der Haltung von PP und Sozialistische Partei (PSOE), die sich hinter die Verfassung stellen, welche die Unteilbarkeit des spanischen Staates proklamiert.

Zum ersten Mal hat sich die Candidatura d’Unitat (CUP) entschlossen, an den Parlamentswahlen teilzunehmen. Die CUP ist eine emanzipatorische Basisbewegung, die politische Entscheidungen in Vollversammlungen trifft und die einen unabhängigen katalanischen Staat unter Einbeziehung Gesamtkataloniens fordert, wozu auch Nordkatalonien, die Balearen, das Principat und das Land Valencià gehören. Als linke Partei steht sie für Unabhängigkeit und Sozialismus.

Es scheint, daß der Ablösungsprozeß in Katalonien nicht mehr aufzuhalten ist. Laut Umfrage von CEO würden inzwischen 57 Prozent der Bevölkerung für die Unabhängigkeit stimmen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 10. November 2012


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