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Im Zeichen des Referendums

Katalonien: Parteien positionieren sich im Wahlkampf zur Unabhängigkeit

Von Carles Solà/Mela Theurer, Barcelona *

Nachdem das katalanische Parlament in seinem letzten Plenum vorgezogene Neuwahlen beschlossen und mit großer Mehrheit für ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens gestimmt hat, ist seit vergangenem Wochenende die Vorwahlkampfphase in vollem Gange.

Die Neuwahlen am 25. November stehen ganz im Zeichen der bevorstehenden Volksbefragung. Soziale und ökonomische Wahlkampfziele treten durch den nationalen Aspekt in den Hintergrund, der bei dieser Wahl die zentrale Frage darstellt.

Bis Mitte September dieser Legislaturperiode trug die nationalkonservative Convergència i Unió (CiU) zur Regierbarkeit des spanischen Staates bei. Sie unterstützte sowohl die sozial¬demokratische PSOE als auch die rechtskonservative Partido Popular (PP), als diese keine absolute Mehrheit hatten. Doch auch als in der zweiten Regierungsperiode Aznars und aktuell unter Rajoy dazu keine Notwendigkeit mehr bestand, konnte die Regierung auf die Stimmen von CiU zählen. Als Gegenleistung unterstützte die katalanische Sektion der Partido Popular, die PPC, die Minderheitsregierung von CiU in der Region. Gemeinsam haben die beiden Parteien unter europäischem Diktat drastische Sparmaßnahmen und Beschneidungen im sozialen und arbeitsrechtlichen Bereich durchgesetzt.

Durch das bevorstehende Referendum kommt es im Vorwahlkampf zu einer Bildung zweier Blöcke mit der rechtskonservativen PPC und Ciutadans auf der einen, den links-sozialdemokratischen Kräften ERC, ICV, der nationalistischen »Solidarität für die Unabhängigkeit« (SI) und der nationalkonservativen CiU auf der anderen Seite.

Zwischen diesen beiden Blöcken befinden sich momentan die Sozialdemokraten Kataloniens (PSC), die bereits in der Vergangenheit auf ein föderalistisches Modell gesetzt hatten. Die Partei hat sich mit dem Festhalten am föderalistischen Modell, das von keiner anderen politischen Kraft getragen wird und in Anbetracht einer politischen Situation, in der die Basis die Unabhängigkeit fordert, in eine Sackgasse manövriert. Auf dem PSC-Parteitag am vergangenen Wochenende fiel die Entscheidung für Generalsekretär Pere Navarro als Spitzenkandidat. Einmal mehr konnte sich die Basis nicht von der Parteidisziplin lösen, um einen Richtungswandel einzuleiten und auf die Prozesse in Katalonien zu reagieren.Am Mittwoch haben über 100 PSC-Mitglieder in einem Manifest die Unterstützung eines souveränen Staates unter Einbeziehung sozialer Forderungen verlangt.

Unterdessen ist am Donnerstag der Versuch einer gemeinsamen Allianz zwischen ERC und SI primär an der Frage der Kandidatenreihenfolge auf der Wahlliste gescheitert. ERC ist derzeit bemüht, Bündnispartner zu finden, um einen gemeinsamen Kontrapunkt zur konservativen CiU zu setzen. Dies könnte unter Einbeziehung von Reagrupament (einer Abspaltung von ERC) passieren. Sie haben auch jenen Sozialdemokraten ein Angebot gemacht, die mit der föderalistischen Linie nicht einverstanden sind.

Falls sich die »Kandidatur für die Volkseinheit« (CUP) dazu entscheiden sollte, erstmals an einer Parlamentswahl teilzunehmen, wird sie dies voraussichtlich ohne Bündniszugehörigkeit tun, um anhand des Wahlergebnisses ihre eigene Stärke einschätzen zu können. Die CUP, deren Programm für Unabhängigkeit, Sozialismus und Ökologische Nachhaltigkeit steht, wird am 13. Oktober über eine Teilnahme an den Wahlen entscheiden. ICV zeigt sich derzeit nicht an einem Bündnis interessiert, in dem sie keine Vormachtstellung hat, und sucht ihre Verbündeten in den sozialen Bewegungen der »Empörten« und in kleineren Parteien.

Auf der anderen Seite kommen PPC und die rechten Ciutadans trotz Einigkeit in der Frage der Unteilbarkeit des spanischen Staates nicht zusammen. Allerdings wird in beiden Parteien momentan diskutiert, ob sie gemeinsam mit der faschistischen und rassistischen »Plattform für Katalonien« zur Demonstration am 12. Oktober, dem spanischen Nationalfeiertag, aufrufen wollen. Die am vergangenen Samstag in Barcelona gegründete Plattform »Spanien und Katalanen« ist Veranstalterin dieser Demonstration und hat bereits weitere Aktivitäten gegen die Unabhängigkeit angekündet.

* Aus: junge Welt, Samstag, 06. Oktober 2012


Krise schreckt Militär

Spanischer Stabsoffizier warnt Katalanen vor »Hochverrat«: Krise läßt Riß aufbrechen, der nach Tod des Putschistenführers und Diktators Franco mühsam gekittet worden war

Von Rainer Rupp **


Europa bleibt Krisenregion. Das trifft nicht nur für Griechenland und Portugal zu, wo nach Protesten gegen die »Rettungspolitik« der nationalen Regierungen und der EU zuletzt das gesellschaftliche Leben zeitweise fast zum Erliegen kam. Insbesondere in Spanien fokussieren sich derzeit die Probleme. Auch dort hat die – von der Politik zum Schutz der großen Vermögen bewußt herbeigeführte – Umwandlung der Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise die reale Wirtschaft einbrechen lassen. Die Verwerfungen in der Europäischen Währungsunion (»Euro-Schuldenkrise«) haben den Zusammenbruch des vermeintlichen iberischen Wirtschaftswunders zusätzlich beschleunigt. Das häuft sozialen Sprengstoff auf – und hat zu einer hochgefährlichen politischen Situation geführt. Sowohl Spaniens staatliche Integrität als auch seine sozio-politischen Strukturen werden zunehmend in Frage gestellt. Wurde früher von Griechenland als dem Zünder und von Spanien als der Bombe gesprochen, welche die Euro-Zone sprengen würden, so sieht es jetzt eher danach aus, daß Spanien beides sein könnte, und die Lage ist unberechenbar geworden.

Der Boom ist vorbei. Es war eine Zeit, in der eine schnell wachsende, von extrem billigen Euro-Krediten finanzierte Wirtschaft den materiellen Wohlstand erhöht und die Klassengegensätze weitgehend verdeckt hatte. Auch der »Pakt des Schweigens« wurde nicht gebrochen, mit dem sich die politischen Kräfte des Landes nach dem Tod des Diktators Franco 1975 darauf geeinigt hatten, die Massenmorde und Verbrechen der faschistischen Diktatur im kollektiven Gedächtnisloch zu entsorgen. Mit dem rabiaten Sozialabbau zur vermeintliche Krisenbekämpfung hat sich das geändert.

Das unverarbeitete Trauma des Bürgerkriegs und der Diktatur des Putschistenführers Franco ist wieder gegenwärtig. Klassengegensätze treten so deutlich hervor wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor allem aber werden sie von vielen Menschen auch zunehmend als solche erkannt. Dies hat sich in vielfältigen Formen geäußert: Massenproteste gegen die Herrschenden in Politik und Wirtschaft und deren institutionalisierte Korruption, Straßenkämpfe, bei denen beispielsweise uniformierte Staatspolizei auf ebenfalls uniformierte Feuerwehrleute eindrischt, ein weitverbreiteter ziviler Ungehorsam, und nicht zuletzt der große Zulauf für separatistische Bewegungen in den wichtigsten Regionen des Landes. Und immer öfter werden auf beiden Seiten der Barrikaden wieder Symbole, Begriffe und Bilder aus dem Krieg 1936–1939 wiederbelebt.

Seit einiger Zeit schwebt über jeder Diskussion zu Spanien die Frage, ob die sich ausweitende Finanz- und Wirtschaftskrise zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen kann. Sie wurde nicht offen ausgesprochen, das Thema galt als tabu. Gebrochen wurde es jetzt von einem Vertreter der Offizierskaste.

Francisco Alaman, Oberst der spanischen Armee im aktiven Dienst, verglich kürzlich die aktuelle Krise mit jener von 1936, in deren Folge Franco und weitere Generäle putschten. Einziger Unterschied sei, daß bisher »noch kein Blut geflossen« ist. In einem Interview mit dem Onlineportal Alerta Digital erklärte der Obrist, daß diese Entwicklung anhalten werde, denn »die Zahlen zeigen, daß sich die Lage in den kommenden Monaten und Jahren weiter verschlechtern wird.« Anlaß der Empörung des Stabsoffiziers waren vor allem die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens, der wirtschaftlich zweitstärksten Region Spaniens. Für dieses Ziel hatten im September in Barcelona 1,5 Millionen Menschen demonstriert.

Alaman platzte heraus, was offenbar viele im großteils reaktionären Offizierskorps denken: »Unabhängigkeit für Katalonien wird es nur über meine Leiche und die vieler anderer Soldaten geben. … Auch wenn der Löwe schläft, sollte man ihn nicht provozieren (…).« Die katalanischen »Nationalisten« seien »Geier« die es »zu vernichten« gelte.

Weder die militärische noch die politische Führung des Landes haben sich bisher von Oberst Alaman distanziert, geschweige denn ihn diszipliniert. Im Gegenteil. Der pensionierte Armeechef General Pedro Pitarch erklärte öffentlich, daß Alamans Ansichten »in weiten Teilen der Streitkräfte tief verwurzelt sind«. Wie zum Beweis richtete die Vereinigung ehemaliger spanischer Offiziere (Asociación de Militares Españoles, AME) eine Warnung an die demokratisch gewählten Mitgliedern des katalanischen Regionalparlaments. Die Streitkräfte würden die Integrität des Landes verteidigen und jeden, der sich an der Vorbereitung zum Auseinanderbrechen Spaniens beteiligt, »wegen Hochverrats vor ein Kriegsgericht stellen«, hieß es in El Mundo.

Doch nicht nur die Offizierskaste verbreitet Drohungen. Inzwischen hat auch der spanische Europaabgeordnete und stellvertretende Präsident des Europäischen Parlaments, Alejo Vidal Quadras, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die spanische Regierung aufgefordert, paramilitärische Polizei in Divisionsstärke nach Katalonien zu entsenden. Dort müsse die Regionalregierung entmachtet und die Region zukünftig von Madrid aus kontrolliert werden – um die Sezession zu verhindern, so der Parlamentarier.

** Aus: junge Welt, Samstag, 06. Oktober 2012


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