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"Wir wollen in derselben Liga spielen"

Echte Unabhängigkeit kann es in einer globalisierten Welt nicht geben. Aber Katalonien will nicht von Madrid regiert werden. Ein Gespräch mit Marti Estruch *


Marti Estruch ist Pressesprecher der katalanischen Regierung, zuständig für internationale Angelegenheiten.


In Katalonien prägt zur Zeit die Diskussion um eine Unabhängigkeit von Spanien die politische Debatte. Die Regierung selbst vermeidet diesen Begriff aber im offiziellen Sprachgebrauch ...

Präsident Artur Mas spricht lieber über Souveränität und einen eigenen Staat. Ob Unabhängigkeit mehr ist, als wenn man einen eigenen Staat verlangt, weiß ich nicht. Seine Position ist, daß man heutzutage sowieso nicht unabhängig sein kann. Man kann sich von einem Land, einem Staat trennen, aber man bleibt abhängig von der globalisierten Welt.

Dieses souveräne Katalonien soll nach Ansicht der Regierung Mitglied der EU bleiben. Kann es innerhalb dieser EU überhaupt Souveränität geben?

Wahrscheinlich nicht, aber wir wollen dieselbe Souveränität wie sie die anderen auch haben. Wenn wir uns alle einig sind, daß es keinen Sinn hat, dann können wir gerne unsere Grenzen und Staaten auflösen und eine einzige Regierung in Brüssel haben. Aber solange das nicht der Fall ist, will Katalonien in derselben Liga spielen. Wir haben schon zu oft gemerkt, daß man nur als Staat auf eine bestimmte Weise behandelt wird. Ein Beispiel: Wir wollen, daß Katalanisch Amtssprache in der EU wird. Das scheitert daran, daß Madrid kein Interesse daran hat. Dabei gibt es mehr Menschen, die Katalanisch sprechen, als einige nördliche Sprachen Sprecher haben.

Bislang stellt sich die spanische Regierung auf den Standpunkt, die Verfassung lege fest, Spanien sei unteilbar und eine Loslösung Kataloniens komme nicht in Frage. Welche Möglichkeiten sehen Sie?

Katalonien hat seit der Diktatur für Verständigung und für ein föderales Spanien gekämpft, es hat viel Aufklärungsarbeit geleistet. Man kann nicht behaupten, daß die verschiedenen Präsidenten nicht immer wieder den Dialog angeboten hätten. Von der anderen Seite fühlen wir uns aber nicht in gleicher Weise behandelt. Wir spüren einen Mangel an Bereitschaft zu Dialog und Verständigung. In der Verfassung steht zwar, Spanien sei unteilbar – aber 60 oder 70 Prozent der Katalanen wollen unabhängig werden. Also muß man eine Lösung finden.

Man hört oft die Meinung, daß die Forderung nach Unabhängigkeit Kataloniens von Madrid selbst provoziert wurde. Wie sehen Sie das?

Ich kann da nur zustimmen. Die Zahl der Unabhängigkeitsanhänger ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Traditionell waren sie eine Minderheit, aber die Erfahrung hat das geändert, daß wir immer nur wirtschaftlich, finanziell und in anderer Weise in Anspruch genommen werden.

Wenn Madrid bereit gewesen wäre, einzusehen, daß es in Spanien zwei, drei Nationen gibt, die auch historisch gesehen andere Rechte haben, und wenn Katalonien ein Finanzmodell wie die Basken bekommen hätte, dann stünden wir heute vermutlich nicht einen Schritt vor dem Referendum.

Wenn die Unabhängigkeit einmal erreicht ist – wie sehen die nächsten Schritte aus?

Dann fängt ein Abenteuer an, dann bauen wir einen neuen Staat auf. Natürlich laufen die Vorbereitungen dafür schon. Es gibt schon Experten, die diskret Fragen wie Energiesysteme, Sicherheit, die NATO und andere Themen studieren. Wir vergleichen uns gerne mit den Niederlanden. Wegen der Größe und auch ein wenig wegen unserer Eigenarten könnten wir – so sagt man – ein Holland in Südeuropa werden.

Bisher ist sich ein breites politisches Spektrum einig über den gemeinsamen Nenner »Unabhängigkeit«. Wenn diese einmal erreicht ist, gehen dann die Katalanen aufeinander los?

Nein. Es wird sicher viele Leute geben, die in den vergangenen Jahren in ihrem Privatleben sehr viel Engagement aufgebracht haben. Viele von ihnen sind meiner Meinung nach ziemlich müde, sie würden dann wieder Briefmarken sammeln oder ein anderes Hobby pflegen. Politisch gesehen glaube ich, daß es sehr gesund ist, wenn sich die Menschen wie im Moment so viel mit Politik beschäftigen. Ich möchte auch daran glauben, daß die Leute weiterhin die Politik nicht als das Geschäft von ein paar Profis sehen. Sie sollen mitwirken.

Interview: André Scheer

* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. Oktober 2013


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