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Baskenland: Mit Axt und Schlange

Von Dorothea Wuhrer *


Derzeit rätseln alle, welchen Schritt die baskische Untergrundorganisation Eta als Nächstes plant. Sicher ist nur, dass sie weiterhin Zulauf hat - vor allem von Jugendlichen.

«Bietan Jarrai» lautet auch heute noch das Motto der bewaffneten Gruppe ­Euskadi Ta Askatasuna («Baskenland und Freiheit»), kurz Eta genannt. «Vorwärts auf beiden Wegen» steht seit den siebziger Jahren auf Etas Logo, direkt unter den beiden Symbolen - der Schlange, die für die List steht, und der Axt, die Härte bezeugen soll. Und diese beiden Wege will die Organisation weitergehen, um ihr Ziel zu erreichen: ein von Spanien und Frankreich unabhängiges, eigenständiges Baskenland.

Um den politischen Kampf ist es im Moment aber nicht gut bestellt. Die ­Izquierda Abertzale, die patriotische Linke, hat wenig Chancen, an den Gemeindewahlen vom 27. Mai teilzunehmen. Dabei hatten Eta-Vertreter in einem Interview mit der baskischen Tageszeitung «Gara» vor drei Wochen die Fortsetzung des im März 2006 begonnenen Friedensprozesses an eben ­diese Bedingung geknüpft: «Wir können uns keine demokratischen Wahlen vorstellen, an denen die patriotische Linke nicht teilnehmen darf», sagten sie. Das von der spanischen Regierung geplante Verbot der Einheitspartei der Sozialistischen Patrioten (ASB) sei «Ausdruck für das Scheitern des Friedensprozesses».

Die Anfänge unter Franco

Die ASB war vor gut einem Monat eigens für die anstehenden Wahlen gegründet worden, da der politische Flügel von Eta, Batasuna, im August 2002 verboten wurde. Derzeit prüft das spanische Innenministerium, ob es zwischen ASB und Batasuna Verbindungen gibt; aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Liste der ASB zur Wahl nicht zugelassen.

Der bewaffnete Kampf hat da schon mehr Zukunft: «Erst wenn im Baskenland wirkliche Demokratie herrscht und diese ausserdem nicht bedroht ist, könnte der bewaffnete Kampf unnötig werden. Aber von einer solchen Situation sind wir noch weit entfernt», sagte Eta im «Gara»-Interview.

Dabei war für die SeparatistInnen nicht immer Waffengewalt ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele gewesen. Die StudentInnen, die 1959 Eta gründeten, weil sie im bürgerlich-nationalistischen Partido Nacionalista Vasco (PNV) keinen Platz fanden, hatten nicht den bewaffneten Kampf im Sinn. Die PNV-Spitze sass im Exil, und die baskische Bevölkerung litt unter der Diktatur von Francisco Franco (siehe «Le Monde ­diplomatique» vom April 2007), die alles Baskische unterdrückte. Selbst die Sprache sollte verschwinden. Deswegen konzentrierten sich die Gründungsmitglieder von Eta auf die Förderung der baskischen Kultur: Sie unterrichteten in geheimen Schulen die Sprache Euskara, unterstützten soziale Gruppen und Gewerkschaften und wurden so schnell zu einer Art Befreiungsbewegung.

Erst knapp zehn Jahre nach der Eta-Gründung gab es die ersten Todesopfer (vermutlich deswegen wird heute immer davon gesprochen, dass Eta den Kampf vor etwa vierzig und nicht vor rund fünfzig Jahren begann - Eta wurde erst mit den ersten Toten ernst genommen): Im Juni 1968 geriet das Eta-Mitglied Txabi Etxebarrieta in eine ­Polizeikontrolle, tötete dabei einen ­Polizisten und wurde selbst erschossen.

Etxebarrietas Tod löste im Baskenland eine grosse Solidaritätswelle aus. Selbst der baskische Klerus stellte sich hinter die Gruppe und protestierte gegen den «antibaskischen Hass» der Franco-Diktatur und die «Unterdrückung des verarmten, hungernden Volkes». Danach kam es zu der ersten geplanten Aktion. Im August 1968 erschoss ein Kommando den Polizeikommissar Melitón Manzanas González. Manzanas war ein berüchtigter Folterer und hochdekorierter Franquist gewesen, der im Bürgerkrieg mit der deutschen Gestapo kollaboriert hatte. Sein Tod wurde nicht nur im Baskenland gutgeheissen, auch die spanische Opposition begrüsste ihn.

Franco reagierte auf den Anschlag mit einem sechsmonatigen Ausnahmezustand. Viele Etarras (Eta-Mitglieder) wurden verhaftet, die Gruppe fast vollständig zerschlagen. Führungsmitglieder flüchteten ins französische Exil oder sassen im Gefängnis; die Organisation musste neu aufgebaut werden. Aber Eta erfuhr zu jener Zeit in ganz Spanien Zuspruch.

Der Prozess von Burgos

Für das Attentat auf Melitón Manzanas stellte der franquistische Staat im Dezember 1970 sechzehn Eta-Mitglieder vor das Kriegsgericht von Burgos, neun von ihnen wurden zum Tode verurteilt. Ziel des Regimes war es, nicht nur die «separatistisch-kommunis­tische Terrororganisation» zu zerschlagen, sondern gleich den gesamten baskischen Nationalismus zu diskreditieren. Die Mobilisierung gegen den Prozess und gegen das Urteil übertraf alle Erwartungen. In den meisten grösseren spanischen Städten kam es zu Streiks, und auch im Ausland forderten viele eine Amnestie für die Angeklagten. «Eta ja, Franco nein!», hiess es damals im ganzen Land.

Das Regime krebste zurück und wandelte die Todesurteile in lebenslängliche Haft um. Eta ging aus dem Verfahren gestärkt hervor - und sprengte drei Jahre später Francos designierten Nachfolger Luis Carrero Blanco in die Luft. Die Wucht des Sprengsatzes war so gewaltig, dass sein Auto über eine elf Meter hohe Mauer geschleudert wurde. Auch diese Tat traf auf Zustimmung: Allen war damals bewusst, dass mit dem Tod von Carrero Blanco das Ende des Franquismus begonnen hatte.

Spaniens Übergang zur Demokratie

Mit dem Ende der Diktatur 1975 endete jedoch Etas Rolle als antifranquistische Befreiungsbewegung. Die spanische Opposition ging davon aus, dass Eta mit Franco verschwinden würde. Doch dann kam es zu drei Ereignissen, die bis heute nachwirken:
  • Der PNV kehrt aus dem französichen Exil zurück und überzeugt mit einem sozial-progressiven Programm einen Grossteil der BaskInnen.
  • Die Mehrheit der spanischen Bevölkerung votiert 1978 für die neue Verfassung, die - in Artikel 2 - die unauflösliche Einheit der spanischen Nation festschreibt. Nach einem Boykottaufruf von Eta stimmen im Baskenland nur 35 Prozent der Wahlberechtigten für den Text. Daraus beziehen die SeparatistInnen bis heute ihre Legitimation.
  • Die Herri Batasuna («Volksunion», kurz HB) wird gegründet. Die Wahlplattform der «patriotisch-sozialistischen Koordination» KAS (bestehend aus mehreren legalen und illegalen ­Organisationen wie Eta, die Gewerkschaft LAB und die Jugendorganisation Jarrai) fordert die Anerkennung der baskischen Kultur, Amnestie für die Gefangenen, bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die ArbeiterInnen und rechtfertigt die Eta-Aktionen.
Dass die HB danach immer wieder schikaniert und dann verboten wurde, ist vielen, vor allem jungen BaskInnen Beleg dafür, dass sich seit Francos Zeiten im Grundsatz wenig geändert hat.

So falsch liegen sie damit nicht. Denn auch nach 1975 gaben Franquis­ten den Ton an: Franco-Leute sassen als Mitglieder der Volksallianz AP (heute PP) im Parlament; die alten Militärs kommandierten weiterhin die Armee und die Guardia Civil; kein Einziger der Folterer wurde je zur Rechenschaft gezogen. ­Dies und die Frustration darüber, dass ihr demokratischer Kampf nicht honoriert wurde, liess Eta in der Zeit des Übergangs zur Demokratie häufig zur Waffe greifen. Nie zuvor und nie mehr danach gab es so viele Anschläge wie von 1976 bis 1979.

Danach wandte sich die linksnationalistische Bewegung verstärkt der Schlange, dem politischen Weg, zu. Grund dafür war unter anderem das Referendum 1979 über ein Autonomiestatut. Eta lehnte die Vorlage ab, da diese die Möglichkeit einer späteren Unabhängigkeit ausschloss. Doch 53 Prozent der im Baskenland lebenden Wahlberechtigten akzeptierten das Statut, das bis heute rechtsgültig ist.

«Schmutziger Krieg»

Gleichzeitig war der politische Spielraum für bewaffnete Aktionen enger ­geworden:
  • Nach dem Putschversuch der Guar­dia Civil im Februar 1981 befürchteten viele SpanierInnen (und auch ­BaskInnen), dass Etas Akionen einen Militärputsch provozieren könnten - und begannen, Eta als Gefahr anzusehen. Daran änderten auch populäre Aktionen nichts wie beispielweise die Bomben gegen das geplante Atomkraftwerk Lemoiz und die Attentate auf das AKW-Führungspersonal (dessen Bau wurde danach eingestellt).
  • Die 1982 ins Amt gewählte sozialdemokratische PSOE-Regierung begann einen «schmutzigen Krieg». Nachdem bereits 1975 bis 1981 diverse paramilitärische und faschistische Gruppen vierzig SeparatistInnen ermordet hatten, tauchte 1983 eine neue Organisation auf: die Grupos Armados de Liberación (Gal). Diese «Bewaffneten ­Befreiungsgruppen» töteten bis 1987 insgesamt 28 Etarras, Politiker aus dem Eta-Umfeld (darunter den HB-Abgeordneten Santi Brouard) und Zivilisten. 1989 wurde zudem in Madrid der HB-Abgeordnete Josu Muguruza erschossen. Die Drahtzieher sind bis heute unbekannt. Sicher ist nur, dass die Gal vom spanischen Innenministerium finanziert wurden.
Derart unter Druck gesetzt, wechselten die Hardliner in Eta ihre Strategie. Während die Organsiation zuvor gezielt gegen die spanischen Sicherheits­kräfte (Nationalpolizei, Guardia Civil und Armee) vorgegangen war, platzierte sie 1987 eine Bombe in einem Supermarkt in Barcelona (21 ZivilistInnen kamen dabei um). Die PSOE brach daraufhin die gerade begonnenen Verhandlungen über einen Waffenstillstand ab. Viele Etarras verliessen die Organisation, die HB spaltete sich.

Von Aznar zu Zapatero

Die Ruhe, die danach herrschte, wurde erst wieder von der Franco-Nachfolgepartei PP gestört, die 1996 (auch aufgrund des Gal-Skandals) die Wahl gewann. Für PP-Chef José María Aznar und seine Leute gab es nur eine militärische Lösung des «Baskenproblems» - und dies mobilisierte eine neue Generation von jungen Etarras.

1997 entführte ein Kommando den baskischen PP-Kommunalpolitiker ­Miguel Angel Blanco Garrido, um die sofortige Verlegung aller Eta-Gefangenen in Haftanstalten im Baskenland durchzusetzen. Schon ab 1982 hatte die PSOE - gegen geltendes Recht - alle Eta-Gefangenen in ganz Spanien ver­teilt und damit Familienbesuche erheblich erschwert. Aznar lehnte die Eta-Forderung ab. Nach zwei Tagen wurde Blanco Garrido erschossen. Die Welle der Empörung ging weit über Spanien hinaus.

In der Öffentlichkeit waren Eta und die HB isoliert wie nie zuvor, und ­Aznar ging in die Offensive. 1998 wurde die baskische Tageszeitung «Egin» geschlossen und deren RedaktorInnen verhaftet. 2002 verbot die Regierung mit Unterstützung der PSOE das Wahlbündnis HB. 2003 wurde die baskischsprachige Tageszeitung «Euskaldunon Egunkaria» zugemacht.

Gegen diese Massnahmen regte sich jedoch Widerspruch. Der PNV schloss einen Pakt mit anderen baskischen Parteien (unter ihnen die politische Vertretung von Eta), mit Gewerkschaften und sozialen Gruppierungen. Der politische Weg schien wieder offen, 1998 erklärte Eta einen Waffenstillstand - den sie ein Jahr danach allerdings wieder aufhob, da das Baskenland «der Unabhängigkeit nicht näher gekommen» sei.

2004 änderten sich dann die politischen Rahmenbedingungen. Zwei Jahre nach dem Wahlsieg des PSOE-Politikers José Luis Rodriguez Zapatero verkündete Eta im März 2006 einen «permanenten Waffenstillstand». Bis auf den Anschlag im Dezember 2006 in einem Parkhaus am Madrider Flug­hafen (der als Warnschuss gegen die «leeren Versprechungen von Madrid» gedacht war, aber verheerende Folgen hatte) hat die Organisation ihre Waffenruhe bisher auch eingehalten.

Dass Eta - anders als die nordirische IRA - nicht an eine Abgabe ihrer Waffen denkt, hat mit der Geschichte des Konflikts zu tun. Und auch damit, dass die repressive Strategie Madrids trotz ihrer Erfolge wenig gebracht hat: Viele erfahrene Etarras verschwanden in den Gefängnissen, darunter auch die, die nachdenklich geworden waren. An die Stelle der Alten rückten jeweils jüngere BaskInnen, die es noch mal probieren wollen.

Die Struktur von Eta

Bis vor wenigen Jahren gliederte sich Eta in vier Bereiche: Die politische Abteilung war für die interne Schulung und die Propaganda zuständig; die ökonomische Sektion (unter anderem zuständig für die «Revolutionssteuer», die bei Unternehmen erhoben wird) musste Kapital beschaffen; die kulturelle Abteilung förderte die baskische Kultur und war zugleich wichtigstes Rekrutierungsorgan; und das militärische ­Kommando.

Dieses offene, basisorientierte Konzept bestand trotz all der vielen Verhaftungen bis in die späten neunziger Jahre hinein. Erst in den letzten Jahren hat sich Eta in elf weitgehend autonom agierende Abteilungen aufgeteilt: Logis­tik, Politik, internationale Beziehungen, Militär, Unterkünfte, Gefangenenkollektiv, Kapitalbeschaffung, Information, Rekrutierung, Verhandlung und Finanzen. Die Direktion besteht aus sieben bis elf Personen. Die Abteilung Kapitalbeschaffung (ihr obliegt auch die Bestrafung all jener, die die «Revolutionssteuer» nicht zahlen wollen) hat eine ­eigene Truppe, die unabhängig von den militärischen Kommandos operiert.



* Aus: Die Wochenzeitung WOZ, 26. April 2007


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