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Unschuldig angeklagt

Prozeß gegen zwei deutsche Aktivisten im baskischen Bilbo. »Es sollte ein Exempel statuiert werden«

Von Martin Dolzer, Bilbo *

Am Mittwoch fand in der baskischen Metropole Bilbo (Bilbao) ein Prozeß gegen die zwei deutschen Aktivisten Flo­rian W. und Rafael H. statt. Nach der auf Betreiben eines Bauunternehmens durchgeführten Räumung des Kulturzentrums Kukutza am 21. September 2011 waren die Aktivisten von Zivilpolizisten festgenommen, brutal zusammengeschlagen und neun Tage lang in Untersuchungshaft festgehalten worden. Nachdem Polizeibeamte bei der Erstürmung des seit 13 Jahren besetzten Kukutza mehrere Menschen mit Gummigeschossen zum Teil schwer verletzten, kam es zu tagelangen Protesten. Vorgeworfen wird den Aktivisten, daß sie im Rahmen der Proteste Müllcontainer angezündet hätten. Die Staatsanwaltschaft forderte dreieinhalb Jahre Haft wegen Landfriedensbruch und Sachbeschädigung.

»Offensichtlich handelt es sich bei dem Vorgehen gegen die beiden jungen Männer um den gezielten Versuch der Kriminalisierung von internationaler Solidarität. Die Vorwürfe sind haltlos. Bereits durch die Art der Festnahme und die Untersuchungshaft wurden die Aktivisten gezielt diskriminiert. Es sollte ein abschreckendes Exempel statuiert werden«, erklärte Carlos Alonso, der Anwalt der beiden. »Ihnen werden Taten zugeschrieben, die faktisch nicht begangen wurden.« So sagte ein Beamter der Stadtverwaltung von Bilbo im Rahmen der Verhandlung aus, daß die Feuerwehr zur Zeit des Tatvorwurfs keine brennenden Müllcontainer registriert hatte.

»Die Aktivisten hatten die Telefonnummer eines Rechtsanwalts auf ihrem Arm notiert. Das wurde im Prozeß von der Staatsanwaltschaft als ein wesentliches Indiz für eine vermeintliche Täterschaft gewertet. Verletzt wird dadurch das in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Recht einer jeden Person, zu jeder Zeit einen Verteidiger kontaktieren zu können«, erklärt Katharina Gamm, die für den Republikanischen Anwaltsverein (RAV) den Prozeß beobachtete. Aktion "Ich lese die junge Welt, weil ich die Wahrheit erfahren möchte." Gabriele Prüß, Schwerin

»Mit allen Mitteln wird offensichtlich auch in Bilbo wie in weiteren europäischen Metropolen versucht, die Gentrifizierung, die Neuordnung der Städte im Sinne einer ausgeweiteten kapitalistischen Verwertungslogik, durchzusetzen. Der Konflikt um das Kukutza hätte in einem Dialog und nicht durch die brutale Räumung und juristische Verfolgung des Widerstands gelöst werden sollen«, kommentiert die Bundestagsabgeordnete der Linken, Heidrun Dittrich, das Geschehen. »Wir lassen uns durch Repression und Justizwillkür nicht abschrecken und werden auch weiter solidarisch zusammenarbeiten«, so Rafael H.

In dem sozialen Zentrum Kukutza hatten sich die Menschen in einem Stadtteilrat organisiert und selbstbestimmte Kultur gelebt. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren hatten dort die Möglichkeit, sich zu entfalten. Von dieser demokratischen Selbstorganisation waren auch Florian W. und Rafael H. begeistert. »Für mich ist es schockierend, daß Rafael und Florian nicht sofort freigesprochen wurden, obwohl es Beweise für ihre Unschuld gibt. Ich möchte, daß mein Sohn und jeder Mensch auf der Welt überall seine Meinung vertreten und sich solidarisieren kann, ohne daß er kriminalisiert wird, erklärte die Mutter von Rafael H., die den Prozeß beobachtete. »Wir waren überwältigt von der Solidarität der vielen Menschen die vor dem Gericht für die Freiheit der beiden demonstrierten«, ergänzt Gunnar Z., der Vater des Aktivisten. Mehr als hundert Menschen hatten sich versammelt um gegen Polizeigewalt und Justizwillkür zu protestieren. Die Urteilsverkündung soll in einigen Wochen schriftlich erfolgen.

* Aus: junge Welt, Freitag 8. Juni 2012


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