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Explosive Stimmung in Spanien

In Madrid kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bergarbeitern und Polizei

Von Ralf Streck, Madrid *

Die radikale Kürzungspolitik der spanischen Regierung bringt Tausende Spanier auf die Straßen. In Madrid kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu Verletzten, nachdem sich Einwohner mit Bergarbeitern solidarisiert hatten.

Fast drei Wochen waren Hunderte spanische Bergarbeiter in mehreren Zügen aus Kohlebezirken in die Hauptstadt marschiert. In Madrid wurden die kämpferischen »Mineros« am Mittwoch so überwältigend empfangen, wie sie es nicht erwartet hatten. Zehntausende schlossen sich ihrem Protest an, mit dem die Kumpel der Regierung klargemacht haben, dass sie für ihre Jobs und ihre Zukunft kämpfen werden. Der Protest wurde noch energischer dadurch, dass die konservative Regierung die bisher härtesten Einschnitte angekündigt hat.

Während im Parlament der Chef der Vereinten Linken (IU), Cayo Lara, davon sprach, Ministerpräsident Mariano Rajoy gieße mit dem Sparplan im Umfang von 65 Milliarden Euro »Benzin auf die Straßen«, kam es am Nachmittag auf der Castellana zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. Sie verdeutlichten die explosive Stimmung, von der Lara im Parlament sprach. Tausende Mineros mit Helmen und Stöcken, ihre Familien und zehntausende Unterstützer hatten den langen Boulevard im Herzen Madrids eingenommen. Zu ersten Auseinandersetzungen kam es vor dem Ministerium für Energie, Industrie und Tourismus. Als Absperrungen niedergerissen und Feuerwerkskörper geworfen wurden, antwortete die Polizei mit Gummigeschossen und knüppelte los. Steine und Flaschen flogen zurück. Bis in die Nacht kam es im Zentrum immer wieder zu Zusammenstößen, bei denen etwa 80 Menschen verletzt und 18 festgenommen wurden.

Die Regierung hatte schon im ersten Sparpaket Subventionen für den Bergbau um 190 Millionen Euro gekürzt. Das entspricht 63 Prozent der Fördersumme. Damit habe sie den Kohlepakt aufgekündigt, bekräftigte Javier Caballé. »Wir fordern nichts, was nicht ausgehandelt wurde«, fügte der Gewerkschafter der Arbeiterunion (UGT) an.

Die 8000 Mineros wollen Rajoy zu Verhandlungen zwingen. Wegen der Kürzungen sei der Großteil der 47 Kohleminen zum Tod verurteilt - und mit ihnen ganze Regionen, in denen es keine Alternativen gäbe. »Wir verteidigen hier unsere Jobs und die Zukunft unserer Kinder«, brachte Caballé die Position der UGT auf den Punkt.

Geschätzt wird, dass weitere 30 000 Stellen verloren gehen. Die Chancen, einen neuen Job zu finden, sind bei einer Arbeitslosigkeit von fast 25 Prozent gering. »Mal sehen, was weiter passiert, denn die Leute sind heiß«, meinte Caballé. Unter den Demonstranten waren die Kürzungsmaßnahmen wie eine Bombe eingeschlagen. Das Sparpaket umfasst vor allem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent. Nur bei grundlegenden Gütern wie Brot, Medizin und Büchern bleibt sie bei vier Prozent. Das Arbeitslosengeld wird nach sechs Monaten gekürzt und soll dann nur noch 50 Prozent des letzten Lohns betragen, während der Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung gesenkt werden soll. Die einfachen Leute sollen für die Rettung von Banken bluten, war einhellig die Meinung.

Wie heiß die Lage in Spanien ist, machten am Donnerstag Beamte deutlich. Nachdem ihnen schon der Lohn gekürzt worden war, wurde auch das Weihnachtsgeld gestrichen. 200 Beschäftigte des Nationalen und Obersten Gerichtshofs blockierten aus Protest die Genova-Straße, an der die regierende Volkspartei (PP) ihren Sitz hat. Für den 19. Juli rufen die Gewerkschaften zu landesweiten Großdemonstrationen auf und sie beraten über einen weiteren Generalstreiktag. Mit der Beteiligung der Beamtengewerkschaft ist nun zu rechnen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 13. Juli 2012


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