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Wahlkampf im Gerichtssaal

Friedensdialog bringt baskischen Regierungschef auf die Anklagebank

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Im spanischen Baskenland stehen wenige Wochen vor der Regionalwahl die beiden Hauptkonkurrenten um einen Wahlsieg gemeinsam vor Gericht: der baskische Regierungschef Juan José Ibarretxe und der Chef der baskischen Sozialisten, Patxi López. Der Vorwurf: Gespräche mit der verbotenen Partei Batasuna. Es dürfte ein einmaliger Vorgang sein, dass ein Regierungschef auf der Anklagebank Platz nimmt, weil er durch Dialog eine Lösung für einen gewaltsam ausgetragegen Konflikt gesucht hat. In Spanien ist das möglich. Deshalb begann am Donnerstag am Obersten Baskischen Gerichtshof der Prozess gegen den baskischen Regierungschef Juan José Ibarretxe von der gemäßigt nationalistischen PNV. Wie der ebenfalls angeklagte Chef der baskischen Sozialisten, Patxi López, und andere soll er gegen das Parteiengesetz verstoßen haben, weil er 2006 und 2007 mit Vertretern der baskischen Partei Batasuna (Einheit) verhandelte. Batasuna war 2003 verboten worden, weil sie die Anschläge der Untergrundorganisation ETA nicht ausdrücklich verurteilt.

Ende 2004 hatte Batasuna auf einen Vorschlag zur friedlichen Beilegung des seit Jahrzehnten ausgetragenen Konflikts unterbreitet. Der Vorschlag führte zu einer Waffenruhe der ETA und zu offiziellen Verhandlungen der spanischen Regierung mit der ETA.

Dass der Gerichtsprozess absurd ist, darüber sind sich in Spanien fast alle einig. Denn obwohl die Zentralregierung unter dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero direkt mit der ETA verhandelte, wurde gegen sie kein Verfahren eingeleitet. Anderseits sitzen neben Ibarretxe und den Batasuna-Führern Arnaldo Otegi, Pernando Barrena, Rufi Etxeberria, Olatz Dañobeitia und Juan Joxe Petrikorena auch die baskischen Sozialistenchefs Patxi López und Rodolfo Ares auf der Anklagebank. Den Sozialisten fällt das repressive Parteiengesetz also selbst auf die Füße. Im Schnellverfahren hatten sie es gemeinsam mit der konservativen Volkspartei (PP) durch die Instanzen gepeitscht, um Batasuna zu verbieten.

Patxi López will nach den Regionalwahlen am 1. März baskischer Regierungschef werden. Auch ihm wird nun vorgeworfen, dass er durch den Dialog mit Batasuna gegen das Gesetz verstoßen habe.

Den in Madrid regierenden Sozialisten passt der Prozess nicht. Es war auch nicht die Staatsanwaltschaft, die Anklage erhob. Das Verfahren wurde vielmehr aufgrund von Anzeigen zweier rechtsextremer Organisationen eröffnet. Doch ohne Anklage der Staatsanwaltschaft hatte der Oberste Gerichtshof Spaniens solche Verfahren bisher stets für nichtig erklärt. Deshalb forderten die Sozialisten auch die sofortige Einstellung. Batasuna argumentierte ähnlich, die Verteidigerin forderte aber die Aussetzung des Prozesses, um sich korrekt auf ein Hauptverfahren vorbereiten zu können. Anders als die übrigen Angeklagten sitzen die Batasuna-Führer fast alle bereits in unterschiedlichen Gefängnissen, weshalb die Verteidigung ihre Zusammenlegung beantragt hatte – erfolglos. Die spanische Regierung hatte die gesamte Parteiführung nach dem gescheiterten Friedens-prozess inhaftieren lassen, nur Otegi kam im vergangenen August frei.

Für eine Überraschung sorgte Ibarretxe. Dessen Verteidiger forderte, das Hauptverfahren zu eröffnen, um einen Freispruch zu erwirken. Sonst komme es einer Strafe gleich, wenn ein baskischer Regierungschef vor Gericht sitze. Das »legitime Recht zum Dialog« über eine Friedenslösung müsse verteidigt werden. »Haft für Dialog«, dürfe nicht weiter im Raum schweben. Ibarretxe, der im März im Amt bestätigt werden will, versucht so die PP anzugreifen, die den Friedensprozess mit allen Mitteln torpediert hatte. Sie besetzte in ihrer Regierungszeit bis 2004 zentrale Stellen der Justiz mit Anhängern, die dieses Verfahren vorantrieben. Sie will den Friedensprozess aburteilen, und es ist kein Zufall, dass das Verfahren mitten im Wahlkampf zelebriert wird. Am Montag werden die Richter bekannt geben, ob dasVerfahren eingestellt oder das Hauptverfahren eröffnet wird.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2009


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