Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Baskenfrage: Madrid gegen Vermittler

Regierung weist Vorschlag der ETA zurück

Die spanische Regierung hat den Vorschlag der Untergrundorganisation ETA zurückgewiesen, den jahrzehntelangen Konflikt um ein selbstständiges Baskenland mit Hilfe von internationalen Vermittlern zu lösen.

Die ETA wisse, dass allein ein »endgültiges und vollkommenes« Ende der Gewalt zähle, sagte die stellvertretende spanische Regierungschefin Maria Teresa Fernández de la Vega am Montag vor Journalisten. So lange die baskische Untergrundorganisation nicht die Waffen niederlege, werde die spanische Regierung weiter mit Sicherheitskräften und Justizbehörden gegen sie vorgehen. Zu dem am Sonntag veröffentlichten ETA-Vorstoß sagte de la Vega lediglich, die Erklärung enthalte »nichts Neues«.

Die beiden ETA-nahen Zeitungen »Gara« und »Berria« hatten eine Erklärung der ETA veröffentlicht, in der die Gruppe die Einsetzung von internationalen Vermittlern im Konflikt zwischen der Untergrundorganisation und dem spanischen Staat vorschlägt. Am 5. September hatte die ETA bereits in einer Videobotschaft verkündet, vor einigen Monaten ein Ende der bewaffneten Aktionen beschlossen zu haben. Dabei war jedoch offen geblieben, ob die Waffenruhe zeitlich begrenzt ist. Die spanische Regierung hatte die Ankündigung als unzureichend zurückgewiesen.

Berichten zufolge nennt die ETA als mögliche Vermittler den ehemaligen Erzbischof im südafrikanischen Kapstadt, Desmond Tutu, den früheren südafrikanischen Präsidenten Frederik Wilhelm de Klerk, den nordirischen Politiker John Hume sowie die irische Ex-Präsidentin Mary Robinson. Abgesehen von Robinson sind die Genannten alle Friedensnobelpreisträger. De Klerk ließ über einen Sprecher mitteilen, dass er eine Vermittlerrolle im Falle einer offiziellen Anfrage überdenken werde. Tutu, Hume und Robinson äußerten sich zunächst nicht. Der ETA wird vorgeworfen, seit Beginn ihres Kampfes für ein unabhängiges Baskenland im Norden Spaniens und im Süden Frankreichs vor 42 Jahren mehr als 800 Menschen getötet zu haben. EU und USA stufen sie als Terrororganisation ein.

* Aus: Neues Deutschland, 21. September 2010


Antwort auf die Brüsseler Erklärung

Uschi Grandel von der "Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands" erläutert im Folgenden die Reaktionern auf Erklärung der ETA vom 5. September 2010. Im Anschluss daran folgt die Übersetzung eines Kommentars der ETA zur sog. "Brüsseler Erklärung".

Nur zwei Wochen nach Erklärung einer unbefristeten Waffenruhe meldet sich ETA (Euskadi Ta Askatasuna - Baskenland und Freiheit) erneut zu Wort, diesmal mit einer Antwort auf die Brüsseler Erklärung, die der internationale Vermittler Brian Currin im Namen verschiedener Friedensnobelpreisträger und anderer internationaler Persönlichkeiten im März 2010 veröffentlichte. In ihrer Erklärung hatten sie von ETA und von der spanischen Regierung konkrete Schritte zur Unterstützung der Friedensinitiative der baskischen Pro-Unabhängigkeitsbewegung (abertzale Linke) gefordert:

"... Wir haben die Erwartung, dass sich in den kommenden Monaten eine Situation ergeben kann, in der die Bereitschaft zu friedlichen, demokratischen und nicht-gewalttätigen Mitteln irreversible Realität wird. Um dies zu erreichen, appellieren wir an ETA, diese Willenserklärung (der abertzalen Linken) durch einen permanenten und vollständig verifizierten Waffenstillstand zu unterstützen.

Wird eine solche Erklärung von der Regierung entsprechend beantwortet, würde dies neue politische und demokratische Möglichkeiten schaffen, die es erlauben, die Differenzen zu lösen und einen dauerhaften Frieden zu erreichen.”


ETA gibt mit ihrer heutigen Botschaft (vom 19. September 2010) den Unterstützerinnen und Unterstützern der Brüsseler Erklärung und der internationalen Gemeinschaft eine Antwort. In direktem Bezug auf den Appell der Brüsseler Erklärung betont ETA, dass sie ihrer Verantwortung nicht aus dem Weg gehen werde. Sie sei

«bereit, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss».

Die positive Antwort von ETA zeigt, wie wichtig die Einmischung der internationalen Gemeinschaft angesichts der unbeweglichen Haltung der spanischen Regierung ist. Noch ist diese nämlich nicht dazu zu bewegen, den Klammergriff um das Baskenland zu lösen, Sondergesetze zu kippen, Parteienverbote aufzuheben, Verhörmethoden an rechtsstaatliche Normen anzugleichen und Menschenrechte zu achten.

Europäische Abgeordnete des Freundeskreises für einen Frieden im Baskenland haben indess mit einer Erklärung vom 15. September 2010 die Waffenruhe der ETA "auf das Wärmste begrüßt" und bitten alle Akteure, ihrer besonderen Verantwortung gerecht zu werden. Insbesondere wenden sie sich an:

"1- die Regierungen von Spanien und Frankreich: historisch verantwortlich zu reagieren und die Sondertribunale, sowie alle anderen Anklagen und Maßnahmen gegen baskische politische Parteien und Repräsentanten auszusetzen. Um den nötigen Dialog und Verhandlungen zwischen den Parteien zu ermöglichen, muss das Recht jeder Partei gleichermaßen respektiert werden. Wir bitten die spanische und die französische Regierung, bürgerliche und politische Rechte, sowie Menschenrechte, für alle baskischen Bürgerinnen und Bürger ohne Ausnahme zu respektieren. Die Verpflichtung der Abertzalen Linken auf ausschließlich friedliche, politische und demokratische Methoden und auf die Mitchell Prinzipien als Richtlinie für Mehrparteiengespräche verlangt notwendigerweise die Aufhebung des Verbots ihrer politischen Bewegung.

2- alle baskischen politischen und sozialen Akteure, sich an einem inklusiven Friedensprozess zu beteiligen und basierend auf Dialog und Verhandlung die für die Lösung des baskischen Konflikts nötigen Vereinbarungen zu treffen.

3- unter Berücksichtigung der Resolution, die das Europäische Parlament im Oktober 2006 zum baskischen Friedensprozess beschlossen hatte, bitten wir das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und den Europäischen Rat entsprechend zu handeln, sich zu beteiligen und einen solchen Prozess zu fördern, um ihn zum Erfolg zu führen. Dieser Prozess sollte das Recht der Basken beinhalten, ihre Zukunft frei zu entscheiden. Der Respekt der spanischen, französischen und europäischen Institutionen für diese Entscheidung ist der Schlüssel für einen stabilen Frieden und für Demokratie im Baskenland.

4- Unter Berücksichtigung der Brüsseler Erklärung bitten wir die internationale Gemeinschaft, auf konstruktive Art und Weise bei der Schaffung eines friedlichen und demokratischen Szenarios im Baskenland zu helfen."


Die deutsche Übersetzung einer Übersicht über die Erklärung von ETA finden Sie im Anhang. Sie ist - wie auch die Übersetzung der Erklärung der europäischen Abgeordneten - auf folgender Website zu finden:
http://www.info-baskenland.de/328-0-info-baskenland.html (Startseite)

ETA antwortet auf die Brüsseler Erklärung

19.09.2010 **

Bereitschaft zur gemeinsamen Definition der weiteren Schritte

ETA wendet sich in ihrer Stellungnahme vom 19. September 2010 an die internationale Gemeinschaft und insbesondere an die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Brüsseler Erklärung. Sie erklärt «ihre Bereitschaft, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss». Die Brüsseler Erklärung (s.u.) vom März dieses Jahres hatte ETA um einen dauerhaften und verifizierbaren Waffenstillstand und die spanische Regierung um eine adäquate Antwort gebeten. Die bewaffnete Organisation zeigt hierfür «Respekt und Dankbarkeit».

In einer an GARA übermittelten Botschaft antwortet ETA auf die Brüsseler Erklärung, die im März von etwa zwanzig international führenden Persönlichkeiten mit großer Erfahrung in Konfliktlösungsprozessen, unter ihnen einige Friedensnobelpreisträger, präsentiert wurde.

ETA nimmt explizit zur „konkreten Bitte“ an die Organisation Stellung und betont, dass sie ihrer Verantwortung nicht aus dem Weg gehen werde. Sie sei «bereit, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss».

Zuvor ruft ETA in Erinnerung, dass «der Konflikt Euskal Herrias (des Baskenlandes) mit dem spanischen und dem französischen Staat tiefe politische Ursachen besitzt. Um den Konflikt zu überwinden, ist über einzelne Schritte hinaus eine umfassende Lösung nötig, die die Ursachen des Konflikts benennt und ihre Knoten löst».

«Die Lösung muss zwangsläufig verbindlich sein»

Um den Konflikt «tatsächlich» zu überwinden, «muss die Lösung zwangsläufig verbindlich sein, sich aus multilateralen Verpflichtungen zusammensetzen und durch Dialog und Verhandlungen zustande kommen», bekräftigt ETA im Anschluss und unterstreicht, «es hier und jetzt möglich ist, den Konflikt zu lösen, wenn der demokratische Wille dazu existiert.»

In den letzten Monaten haben verschiedene Politiker auf die fehlende direkte Antwort von ETA auf die Brüsseler Erklärung hingewiesen. Die Organisation macht in ihrer Botschaft klar, welch großen Wert sie dieser Initiative beimisst. Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern seien zum einen «Persönlichkeiten mit großer Erfahrung in der Lösung schwieriger Konflikte», zum anderen habe sie sich im Baskenland «zu einer unstrittigen Referenz entwickelt». Als Konsequenz drückt ETA «den Männern und Frauen, die die Erklärung unterzeichnet haben, ihren Respekt und ihre Dankbarkeit aus».

Die Metapher eines Schiffes

ETA erklärt in ihrer Botschaft mehrfach ihre «Bereitschaft», eine Lösung zu finden. Mit einem Bild weist sie auf den unilateralen Charakter ihrer Initiative hin: «Trotz der Unbeweglichkeit von Spanien und Frankreich hat ETA erneut die Anker gelichtet. Auf dem Schiff der Möglichkeit für eine demokratische Lösung des Konflikts haben wir die erste Entscheidung getroffen, ohne die Anker zu werfen, mit der Bereitschaft, in tiefe Gewässer zu steuern.» Eine Lösung sei möglich, wenn es den Willen gäbe. Als Beispiel nennt ETA die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, in denen «nicht wenige neue Staaten im Herzen Europas entstanden sind, die international anerkannt wurden». Sie zitiert Grönland und Schottland als Beispiel für «Völker, die ihre Souveränität in Abhängigkeit vom Willen ihrer Bevölkerung erlangen können». Obwohl für ETA der Schlüssel für eine Lösung im Baskenland liegt, hält sie den internationalen Beitrag für «sehr wichtig». In diesem Sinn ruft sie internationale Akteure und Institutionen dazu auf, «Impulse für die Gestaltung eines demokratischen Prozesses für eine dauerhafte, gerechte und demokratische Lösung dieses alten politischen Konflikts zu geben und mitzuwirken».

Sechs Monate

Die Erklärung bietet auch neue Einsichten. So hatte ETA bereits vor zwei Wochen bestätigt, dass sie bereits seit Monaten keine bewaffneten Angriffe durchführe. Diesmal konkretisierte sie, dass sie zur Zeit der Veröffentlichung der Brüsseler Erklärung bereits eine Waffenruhe einhielt: «Seit der Brüsseler Erklärung im März 2010 sind sechs Monate vergangen (…) Wie bekannt ist, hat ETA in diesen sechs Monaten keine bewaffneten Aktionen durchgeführt. Schon zuvor hatte ETA den Befehl an ihre operativen Einheiten erteilt, alle geplanten Aktivitäten einzustellen». Als die BBC vor zwei Wochen die damalige Erklärung der Waffenruhe von ETA verbreitete, gab der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba öffentlich zu, dass er schon länger wusste, dass ETA ihre Anschläge eingestellt habe und dass diese Entscheidung mehr oder weniger im Verlauf des Februar erfolgt sei. Dies bestätigt ETA nun. Öffentlich hatte die spanische Regierung bisher immer nur von der Gefahr drohender Anschläge gesprochen.

«Verpasste Gelegenheiten»

ETA kommentiert auch auf die Haltung der spanischen Regierung und ihrer Vorgänger bezüglich ihres bewaffneten Kampfes: «als Entschuldigung haben sie immer vorgeschoben, es könne keine Lösung geben, solange es den bewaffneten Kampf gebe». Allerdings sei jedes Mal durch den Abbruch von Verhandlungen «eine Gelegenheit verpasst worden. Es scheint, als ob (eine Lösung) mit bewaffnetem Kampf nicht möglich, und ohne bewaffneten Kampf nicht nötig sei». ETA sieht darin den «alten Weg» des Stillstandes.

ETA sieht die gewalttätigen Auseinandersetzungen als Folge der historischen Wurzeln des politischen Konflikts. Sie wirbt für eine umfassende Lösung: «die Geschichte hat Euskal Herria eine wichtige Lehre erteilt: die Pseudo-Lösungen von heute sind die Quelle künftiger Konflikte». ETA benennt ihre eigenen bewaffneten Aktionen, aber auch den «Staatsterrorismus», die Folter, die Existenz von aktuell über 700 Gefangenen oder die Tatsache, dass einer von ihnen, Joxe Mari Sagardui Gatza, bereits 30 Jahre im Gefängnis verbringt. ETA erinnert an ihre zahlreichen Initiativen zur demokratischen Überwindung des Konflikts: die Alternative KAS (1976), die Verhandlungen von Argel (1989), die Demokratische Alternative (1995), der Waffenstillstand von 1998 oder der letzte Verhandlungsversuch von 2006.

«Es ist schwer, den bewaffneten Kampf in Europa zu verstehen», gibt ETA in ihrem Kommuniqué zu und richtet eine Gegenfrage an die internationale Gemeinschaft: «Ist es nicht schwerer zu verstehen, warum man den baski-schen Bürgerinnen und Bürgern das Recht verweigert, ihre Zukunft frei und demokratisch zu entscheiden?»

** Quelle: Anlehnung an GARA, 19. September 2010 (deutsche Übersetzung)
www.info-baskenland.de



Zurück zur Spanien-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage