Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Inzwischen ist bei uns jeder zweite Jugendliche arbeitslos"

Im Baskenland wurde am Wochenende ein neuer sozialistischer Jugendverband gegründet. Ein Gespräch mit Onintza Rojas Olazabal *


Onintza Rojas Olazabal ist Sprecherin des linken Jugendverbandes ERNAI, der am Wochenende im baskischen Lizarra gegründet wurde.

Sie haben am Samstag am Gründungskongreß der neuen baskischen Jugendorganisation ERNAI in Lizarra teilgenommen. Der Andrang war enorm, aus dem ganzen Baskenland waren 2 500 Jugendliche gekommen – was hat dazu geführt, daß ein neuer Jugendverband aus der Taufe gehoben wurde?

Schon seit vielen Jahren ist es so, daß die Jugend des Baskenlandes keine eigenen Organisationen hat, über die sie sich politisch artikulieren kann – die Gründung von ERNAI war somit seit langem überfällig.

Seit September 2012 wurde in allen Städten und Gemeinden darüber diskutiert, Tausende Jugendliche beteiligten sich daran. Dieser Prozeß hat nun mit unserem Kongreß von Lizarra seinen krönenden Abschluß gefunden – das Ergebnis ist die ERNAI.

Im Baskenland gab es schon die Jugendverbände HAIKA, JARRAI und SEGI – sie wurden allesamt von der spanischen Regierung verboten. Wie steht ERNAI zu diesen Organisationen ?

Wir teilen ihre politischen Inhalte zum großen Teil, allerdings haben wir weitergehende Ziele, die angesprochenen Verbände hatten hauptsächlich die nationale Frage im Focus, wir wollen allerdings die Zusammenhänge mit der sozialen Frage klarer aufzeigen. Wir müssen vermitteln, daß da ein Zusammenhang besteht. Vor unserer Gründung gab es hauptsächlich drei Themen: erstens die weltpolitische Lage, zweitens die des Baskenlandes und drittens: Wie stellen wir uns die Zukunft vor, und wie können wir dafür kämpfen? Nachdem SEGI verboten und aufgelöst wurde, war es jedenfalls dringend nötig, der engagierten Jugend des Baskenlandes eine Form der Selbstorganisation anzubieten. Selbstverständlich treten wir für die sofortige Freilassung der wegen Zugehörigkeit zu SEGI noch inhaftierten Jugendlichen ein.

Das Motto Ihres neuen Jugendverbandes lautet »Von den uns dominierenden kapitalistischen Staaten Frankreich und Spanien haben wir nichts zu erwarten, bestimmen wir unsere Zukunft selbst.« Wie stellen Sie sich dieses »Selbstbestimmen« konkret vor?

ERNAI geht natürlich in erster Linie die Probleme an, die die Jugend betreffen. Darauf konzentrieren wir uns, wobei wir andere politische Bereiche selbstverständlich nicht aus dem Auge lassen. Die vielen Schwierigkeiten, vor denen die jungen Leute im Baskenland stehen, wurden ja nicht von ihnen selbst geschaffen – es sind vielmehr die kapitalistischen Wirtschaftssysteme, die unser Leben dominieren. An diese Staaten wenden wir uns mit der Forderung, daß sie uns unsere eigenen Wege gehen lassen sollen.

Sie haben zur Genüge unter Beweis gestellt, daß ihre seit langem obsolet gewordenen sozialen Modelle nicht dazu taugen, unsere Probleme von heute und morgen zu lösen: Inzwischen ist bei uns mehr als jeder zweite Jugendliche arbeitslos. Deswegen kämpfen wir für ein alternatives Wirtschaftsmodell, ein sozialistisches. Und zwar in einem unabhängigen Baskenland.

Wie soll die Organisationsstruktur von ERNAI aussehen ?

Die Bewegung hat damit begonnen, daß sich die Jugendlichen in den Stadtteilen und Dörfern selbst organisieren. In diesem Sinne wird es auch weitergehen – unser Gründungskongreß war nur ein vorläufiger Höhepunkt. Wir denken z. B. daran, daß sich in Wohngebieten und Schulen Gruppen unseres Jugendverbandes gründen, die sich an Ort und Stelle politisch einmischen.

ERNAI definiert sich selbst als »sozialistische, feministische Jugendorganisation für ein unabhängiges und selbstbestimmtes Baskenland«. Warum stellen Sie den Begriff »feministisch« heraus, ist er nicht schon in »sozialistisch« enthalten?

Wie uns die Erfahrungen anderer linker Organisationen gezeigt haben, ist es nicht unbedingt selbstverständlich, daß bei dem Wort »sozialistisch« auch der Begriff »feministisch« mitgedacht wird.

Wir werden hier im Baskenland dreifach unterdrückt: sozial, national und geschlechtsspezifisch. Und genau das wollten wir auch mit solchen programmatischen Aussagen zum Ausdruck bringen. Natürlich ist uns völlig klar, daß eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter nur im Sozialismus verwirklicht werden kann.

Interview: Stefan Natke

* Aus: junge Welt, Dienstag, 05. März 2013


Zurück zur Spanien-Seite

Zurück zur Homepage