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Andalusischer Aufstand

Spanien: Landlose Bauern besetzen Sperrgebiet des Militärs. Brachliegende Flächen sollen von Kooperative bewirtschaftet werden

Von André Scheer *

Im Süden Spaniens halten seit Dienstag rund 100 landlose Bauern ein 1200 Hektar großes Grundstück besetzt, das dem Verteidigungsministerium des Landes gehört. Da das spanische Militär nur etwa 20 Hektar der Finca »Las Turquillas« nutzt und die übrigen Flächen weitgehend brachliegen, fordern die in der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) zusammengeschlossenen Besetzer, ihnen das ungenutzte Land, knapp 100 Kilometer von Sevilla entfernt, zur Bestellung zu übergeben.

Am Dienstag morgen waren insgesamt rund 1000 Landarbeiter unter der sengenden Sonne Andalusiens den rund einen Kilometer langen Feldweg von der Straße zur Finca marschiert, unter ihnen der Bürgermeister des nur gut 30 Kilometer entfernten »kommunistischen Dorfes« Marinaleda, Juan Manuel Sánchez Gordillo, der für die Vereinigte Linke auch im andalusischen Regionalparlament sitzt. Am Ziel ihres Marsches angekommen, ließen sich die Demonstranten nicht von den großformatigen Warnschildern beirren, auf denen der Beginn des militärischen Sperrgebiets verkündet wird, und überkletterten die Absperrungen. Im inneren und besonders umzäunten Bereich des Landguts wartete ein Großaufgebot von Aufstandsbekämpfungseinheiten der paramilitärischen Guardia Civil. Die Landarbeiter verzichteten jedoch darauf, gewaltsam in dieses Sperrgebiet einzudringen. Statt dessen ließen sie sich auf den umliegenden Ländereien nieder, errichteten aus Planen und Zelten erste provisorische Unterkünfte und begannen, das Gebiet für einen längeren Aufenthalt vorzubereiten. Eine Delegation der Gewerkschaft suchte unterdessen das Gespräch mit den Befehlshabern der dort stationierten Militärs.

Der Generalsekretär der SAT, Die­go Cañamero, kritisierte gegenüber Journalisten, daß die Gemeindeverwaltung von Osuna lediglich 300 Hektar bebauen dürfe, was ihr Anfang 2009 auch erst nach langen Auseinandersetzungen mit den Militärbehörden eingeräumt worden war. Die übrigen Ländereien sind bis heute ungenutzt. Zugleich leide die landwirtschaftlich geprägte Region jedoch unter einer »deprimierenden wirtschaftlichen Situation«, deren markantestes Merkmal eine Arbeitslosenquote von rund 40 Prozent sei, so Cañamero. Ziel der Besetzung sei deshalb, daß Grund und Boden den Arbeitern übergeben werden und die Finca, die den Streitkräften bislang in erster Linie zur Aufzucht von Pferden dient, zu einer Kooperative der Beschäftigten wird. »Wir wollen das Land nicht als Eigentum, sondern zur Nutzung«, unterstrich der Gewerkschafter, »damit der Boden Arbeit gibt und Wohlstand schafft«. An »Subventionen aus Europa« seien seine Kollegen hingegen nicht interessiert.

Es ist nicht das erste Mal, daß die SAT zu einer solchen Aktion greift. Bereits seit dem 4. März halten Landarbeiter die Finca Somonte, rund 65 Kilometer von Córdoba entfernt, okkupiert, um dadurch den Verkauf des bislang im Staatsbesitz der Junta de Andalucía befindlichen Gebiets an Großgrundbesitzer und Konzerne zu verhindern. Nach einer Räumung durch die Polizei am 26. April kehrten sie am folgenden Tag direkt wieder auf die Finca zurück. Erfolgreich: Vor wenigen Tagen kündigte die Regionalregierung an, auf eine Veräußerung des Gebiets zu verzichten. Das sei bereits ein großer Erfolg, so Cañamero, jedoch erst das halbe Ziel. Nun müsse die von den Bauern gegründete Kooperative von den Behörden anerkannt werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Juli 2012


"Die Unternehmen haben sich das Geld eingesteckt"

Bergarbeiterstreik in Spanien. Subventionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze meist zweckentfremdet. Ein Gespräch mit Maria Gonzales **

Maria Gonzales ist Bergarbeiterin aus der Grube »María Luisa« in der ­spanischen Region Asturien.


Seit Wochen streiken Bergarbeiter in Spanien gegen die Kürzung von staatlichen Subventionen um zwei Drittel in deren Folge Minen geschlossen und Tausende Kumpels entlassen wurden. An dem Arbeitskampf in Asturien sind nicht wenige Frauen beteiligt. Wie viele arbeiten unter Tage?

In der Grube »María Luisa« arbeiten 2000 Bergarbeiter, darunter 200 Frauen. Ich fing mit 29 Jahren an. Zuvor haben wir einen langen Kampf dafür geführt, daß Frauen in den Minen arbeiten können. Jeden Tag fahre ich 689 Meter unter die Erde, in einem »Käfig«, wie wir es nennen. Wir wissen, zu welcher Uhrzeit wir reinfahren, aber nicht, ob wir wieder rauskommen. Es ist eine sehr harte Arbeit in der Mine, für Männer und für Frauen. Deswegen sind wir aber auch so entschlossen und kämpferisch. Mein Großvater arbeitete in der Mine und mein Vater auch, dort starb er im Alter von 47 Jahren.

Was für Jobs machen Frauen in den Minen?

Wir machen die gleiche Arbeit wie die Männer. Aber natürlich ist es schwieriger für eine Frau, zum Beispiel wegen der fehlenden Toiletten unter Tage. Für das Recht, in der Mine zu arbeiten, mußte ich zunächst vor dem Verfassungsgericht klagen und gewinnen. 1985 begehrten Frauen, unter Tage zu arbeiten, nachdem eine Firma etwa 1000 neue Stellen ausgeschrieben hatte. Das Urteil kam im Dezember 1992, bis dahin durften Frauen nicht im Bergbau arbeiten.

Wie sind die Arbeitsbedingungen?

Für beide Geschlechter sind sie unmenschlich. Wir müssen aufpassen, daß unser Brot nicht von Kakerlaken und Ratten aufgefressen wird. Es ist sehr feucht und sehr heiß unten, so daß wir nach acht Stunden naßgeschwitzt sind. Ein Unfall im Bergwerk ist nicht das Gleiche wie bei einer anderen Arbeit. Als ich anfing hatte ein Kumpel einen Unfall, und ich mußte ihn allein fast 300 Meter schleppen. Ich rettete ihm das Leben. Am nächsten Tag mußte ich um sechs aufstehen und zur Arbeit gehen, wie an jedem anderen Tag.

Wir sind fast 700 Meter in der Tiefe, in der Dunkelheit. Wir sehen kein Licht und merken nur an den Gerüchen, ob es draußen Sonne oder Regen gibt.

In den Medien heißt es, die Bergarbeiter seien privilegiert, mit relativ hohen Löhnen und Rentenansprüchen ...

Wieso redet man nicht über die Polizisten, die mit 52 in Rente gehen? Es kann doch kein Privileg sein, die Gesundheit oder das Leben in der Grube zu lassen. Die harte Arbeit vereint uns. Deswegen sind wir stolz darauf, daß wir jetzt kämpfen.

Die Unternehmen haben nach der Schließung von Minen Subventionen für das Schaffen anderer Arbeitsplätze in der Region bekommen. In der Regel haben sie damit Scheinfirmen aufgebaut, wieder geschlossen und so ein Vermögen gemacht. Die Mehrheit der Unternehmen hat sich das Geld einfach eingesteckt.

Wie organisieren sich die Frauen im Streik?

Im Laufe des Arbeitskampfes organisierte sich eine »Plattform der Bergarbeiter-Frauen«, darin haben sich sowohl Frauen von Bergarbeitern als auch Bergarbeiterinnen selbst zusammengeschlossen. Wir organisieren uns, um die Demonstrationen zu unterstützten und damit man uns hört.

Wie reagiert der Staat auf den anhaltenden Protest?

Die Nationalpolizei dringt in die Häuser ein und greift alle an, auch alte Menschen und Kinder. Sie notieren Nummernschilder von Autos. Wenn jemand seinen Wagen stehen läßt, um zu protestieren oder eine Barrikade zu bauen, werden die Reifen durchstochen. Die Regierung tut alles, um unseren Streik zu stoppen. Aber nicht einmal die Hälfte von dem, was passiert, kommt in den Nachrichten.

In allen Bergbau-Dörfern Spaniens gibt es Proteste. In Asturien ist der Bergbau besonders stark verwurzelt, hier gibt es die meisten Minen, und der Arbeitskampf ist gewaltig. Die Regierung hatte zunächst 300 Polizisten aus Madrid hierher geschickt, dann weitere 400. Nun sind schon mehr als 1000 Angehörige der Nationalpolizei in Asturien, neben der Zivilgarde. Sie versuchen unseren Widerstand zu brechen.

Interview: Wladek Flakin

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Juli 2012


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