Jugoslaw-Absurdistan
US-Pläne zur Verlegung ihrer Stützpunkte von Deutschland auf den Balkan
Im Folgenden dokumentieren wir einen interessanten Hintergrundbericht über möglicherweise bevorstehende Verschiebungen von US-Militärstützpunkten aus Deutschland Richtung Osten und Südosten. Der Artikel erschien am 19. Juni 2003 als Kommentar in der Internetzeitung "ZNet"
Von Andrej Grubacic*
Geht es nach Berichten mehrerer einflussreicher strategischer
US-Magazine befinden sich die US-Pläne zur Verlegung der gesamten in
Deutschland stationierten US-Militärtruppen in ihrer Endphase. Sie
sollen in neue Basen auf den Balkan verlegt werden - nach Serbien,
Montenegro, Bulgarien u. Rumänien. Ein derartiger Schritt hätte massive
politische, ökonomische u. strategische Implikationen. Vor allem würden
die politischen Dissonanzen in der Nato formalisiert, was zum einen
eine Einschränkung der Reichweite des Bündnisses bedeuten könnte oder -
im andern Fall - einen maßgeblichen Richtungswechsel bei den
Nato-Aktivitäten. Essentiell reflektiert dieser Schritt ein zunehmendes
u. sich verstärkendes Abdriften Westeuropas (das "alte Europa", wie es
der amerikanische Außenminister Donald Rumsfeld neulich nannte) von
Amerika u. dem von Rumsfeld proklamierten "neuen Europa". Dieses 'neue
Europa' besteht überwiegend aus den zentraleuropäischen Mitgliedern des
früheren Ostblock, angesiedelt an der westlichen u. südwestlichen
Peripherie des ehemaligen Warschauer Pakts. Unter strategischen
Gesichtspunkten entstünde hier also ein neuer geopolitischer Block -
eine Art "neue Nato", die sich strategisch Richtung Naher/Mittlerer
Osten u. Kaukasus ausrichtete bzw. Richtung Mittelmeer u. Maghreb
(Nordafrika).
Interessant, dass Kroatien Desinteresse an der Errichtung
amerikanischer Basen auf seinem Territorium zeigt. Ums Prinzip geht es
hier allerdings überhaupt nicht. Vielmehr spekuliert Kroatien auf
Verhandlungen für ein separates Militärabkommen mit Deutschland. Auf
Grundlage dessen würde Kroatien erstmals seit den Tagen des IRC wieder
deutschen Militärtruppen permanente Gastfreundschaft gewähren. Der IRC
- Unabhängiger Staat Kroatien (1941-1945) - war ein Faschistenstaat
(Nazis), der allerdings nur kurze Zeit existierte. Die kroatische
Regierung hat sich strategisch positioniert, sie will ihr Schicksal mit
der Europäischen Union unter Führung Deutschlands verbinden, während
Serbien, Montenegro, Bulgarien u. Rumänien sich eher Richtung USA
orientieren. Außerdem favorisieren diese Länder ein breiter angelegtes
EU-Konzept - im Gegensatz zu jener Version unter Führung Deutschlands.
Die Tschechische Republik, die bislang keine Rolle spielte bei den
politischen Verhandlungen um US-Basen, ist einer der wichtigsten
Stützpfeiler amerikanischer Interessen in Europa. Daher wird das Land
wohl demnächst Fokus amerikanischer Investmenttätigkeit und
diplomatischen Engagements.
Der Plan, über den derzeit verhandelt wird, sieht zudem eine
Umstationierung von Luft- u. Marinebasen vor. Sie sind wichtig zum
Transport von Landtruppen. Hier einige der Vorschläge, die verhandelt
werden: a) die Donau soll zur Hauptschlagader beim Transport von
Militärressourcen von West- nach Ost- Europa werden b) Bulgarien
verhandelt laut jüngsten Presseberichten über die Errichtung eines
Luftwaffenstützpunkts bei Varna - in der Nähe jenes Flughafens, den die
US-Airforce im Irakkrieg für Lufttransporte in den Mittleren Osten
nutzte. Varna ist zudem Zone Nord des Hauptquartiers der bulgarischen
Marine sowie einer seegestützten Luftstreitkräfte-Einheit. Für
Deutschland, Serbien, Montenegro, Bulgarien u. Rumänien wird diese
Umstationierung massive wirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringen.
Derzeit ist die Mehrheit der Usecom-Truppen (US-Kommando Europa) in
Deutschland stationiert. Dabei handelt es sich um insgesamt 65.000
Soldaten. Es wird davon ausgegangen, dass bis zu 40.000 demnächst auf
den Balkan verlegt werden. Für die kränkelnden Ökonomien vor Ort
sicherlich eine wirtschaftliche Kraftspritze - ganz abgesehen von den
begleitenden Investitionen zur Infrastruktur-Entwicklung (zusätzlicher
wirtschaftlicher Faktor ist das Personal der Marine- u.
Airforce-Basen). Andererseits würde die deutsche Wirtschaft natürlich
massive Einbußen erleiden. Ein ebenso wichtiger Faktor, der (für die
Balkanländer) eine Rolle spielt: Mit der Stationierung amerikanischer
Truppen auf dem Balkan will man sich ein bestimmtes Level an
politischer Unterstützung Amerikas sichern - in gewissem Sinne auch
militärischen Schutz. Andererseits soll Kompensation für die Türkei
geschaffen werden. Das Verhältnis Türkei / EU, Nato u. USA hat sich ja
verschoben, wurde sozusagen Opfer des Irakkriegs. Wenn die Amerikaner
ihre Truppen nun weiter östlich stationieren, bedeutet dies in gewissem
Maße, man macht sich weniger abhängig von der Türkei. Es bedeutet aber
auch Kostenreduzierung. Indem man durch die Truppen-Verlagerung den
hohen Preisen Deutschlands entgeht, reduzieren sich die Ausgaben der
US-Militäreinrichtungen ganz beträchtlich.
Belgrad - Hauptstadt Serbiens u. Montenegros - ist ein histoirsch
wichtiger Dreh- und Angelpunkt sowohl des Balkan als auch jenes Teils
Europas. Post-Jugoslawien (Serbien, Montenegro) ist derzeit ein Land
mit einem Namen aber zwei Pässen. Es ist ein Land, das weder
Staatswappen noch Flagge noch Nationalhymne besitzt. Die die Macht im
neuen Land innehaben, nennt man "Opposition". Wer aus der Opposition
für die Regierung arbeitet, ist derzeit ebenso unklar wie wer Präsident
der Länder-Union ist - niemand weiß es. Folge: die neue Staats-Union
(existent seit 4. Februar diesen Jahres) besitzt einen neuen, im Volk
weitverbreiteten Namen: "der Staat Absurdistan". Die führenden
Staatsköpfe dieses Absurdistan sind derzeit dabei, die serbische
Öffentlichkeit auf einen extrem unpopulären Schachzug vorzubereiten,
der in Kürze erfolgen soll. Dabei geht es um ein bilaterales Abkommen
mit den USA. Es legt fest: US-Bürger dürfen (von Serbien/Montenegro)
nicht an den permanenten internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert
werden. Bezogen auf den Balkan wurde ein derartiges Abkommen bereits
mit Rumänien geschlossen (das dafür in die Nato aufgenommen wurde), mit
Bosnien, mit Herzegowina (kein akzeptierter souveräner Staat), mit
Mazedonien u. Albanien. Kroatien u. Slowenien weigern sich noch, einem
solchen Abkommen (mit den USA) zuzustimmen. Aber in Absurdistan gibt es
keinen mehr, der Widerstand leisten könnte: Der frühere Präsident
Kostunica hielt Stand, solange er konnte (d.h., bis seine Position
durch die neue Staatsunion eliminiert wurde). Die öffentliche Meinung
gilt hier generell als unerheblich. Und die derzeitigen Regierungen
sowohl in Belgrad als auch in Podgorica scheinen einvernehmlich
entschlossen, das Abkommen mit Washington zu unterzeichnen. Der
Außenminister Absurdistans hat bereits erklärt, man könne das Ansinnen
kaum abschlagen. Der Präsident der Staatsunion formulierte etwas
vorsichtiger, aber desto suggestiver: die zu fällende Entscheidung
werde "realistisch" ausfallen. Auch die führenden Juristen im Land
wollen sich nicht mit denen anlegen, die das US-Ansinnen befürworten.
Selbst die sogenannten Menschenrechtsvertreter protestierten bislang
nicht. Die einzige öffentliche Kritik kommt vonseiten der Aktivisten
der Sozialbewegung (z.B. vom antiauthoriären Bündnis
'Eine-andere-Welt-ist-möglich').
Bislang unterzeichneten 34 Länder ein derartiges Abkommen mit den USA.
Die amerikanische Botschaft in Zagreb warnte Kroatien vor kurzem offen,
das Land würde $19 Millionen an Ausrüstungs- u. Trainingsgeldern
verlieren, sollte es den Vertrag bis zum 1. Juli nicht unterzeichnet
haben. Kein Zufall, dass Absurdistan das letzte Land auf der Liste
jener Balkan- Staaten ist, denen die USA die Garantie abverlangen,
US-Bürger nicht an den internationalen Gerichtshof (dessen Jurisdiktion
die USA übrigens auch nicht anerkennen) auszuliefern. Die USA haben
solange es ging, gewartet, bevor man in dieser Sache auch auf Belgrad
Druck ausübte. Schließlich war man sich bewusst, wie peinlich u. plump
ein derartiges Ansinnen auf ein Land wirken muss, das man vor wenigen
Jahren bombardiert hat - ganz abgesehen davon, dass die meisten
Menschen hierzuland der Meinung sind, die USA hätten bei ihren
Bombardierungen Kriegsverbrechen begangen. Und nicht zu vergessen: von
diesem Land verlangt man unausgesetzt, die eigenen Bürger an einen
internationalen Gerichtshof auszuliefern, dessen Jurisdiktion
wesentlich eingeschränkter und exzeptioneller ist: Den Haag. Hört man
sich die jüngsten Worte US-Präsident George Bushs zu US-Waffenverkäufen
an Belgrad an, könnte man glauben, Belgrad sei inzwischen endgültig von
der Liste jener Länder gestrichen, von denen angenommen wird, sie
gefährdeten die nationalen Interessen der USA und man könnte auch
glauben, der Militärkooperation beider Länder stünde nichts mehr im
Weg. Aber kaum war die Erklärung abgegeben, tauchte ein noch existentes
'Hindernis' auf: der internationale Strafgerichtshof. Worin besteht das
Problem bei Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens dieser Art?
Erstens, es wird die EU verstimmen - das "alte Europa" - von dem
Absurdistan irgendwo immer geglaubt hatte, man sei strategisch daran
angebunden. Sämtliche Länder der EU riefen kürzlich sämtliche Länder
des Westbalkan öffentlich auf, das bilaterale Abkommen mit den USA
(US-Bürger und internationaler Strafgerichtshof) nicht zu unterzeichnen
- "wenn irgend möglich" (sie riskierten damit ihre potentielle Chance
auf einen EU-Beitritt).
Gibt es ein generelles Leitprinzip, das auf dieses Dilemma anzuwenden
ist und auf das sich Belgrad fest berufen könnte? In Bezug auf
Menschenrechte u. Kriegsverbrechen eine schwer zu beantwortende Frage.
Man bombardierte Absurdistan im Namen des post-westfälischen Prinzips,
demgemäß Menschenrechte wichtiger sind als das Prinzip der staatlichen
Souveränität - dieses sei nicht absolut. Und nun fordert Amerika also
von demselben Absurdistan eine schriftliche Bestätigung, dass
amerikanische Souveränität oberstes Prinzip sei - mit der Souveränität
Absurdistans ging man damals genau umgekehrt um. Wie werden
Absurdistans Staatsmänner sich in den kommenden Monaten verhalten? Die
Verhandlungen mit den Amerikanern setzen sich fort. Die Zeichen für ein
positives Schlussabkommen stehen extrem gut. Welche diplomatischen
Kalkulationen aufseiten Absurdistans dahinterstecken, wird allerdings
erst nach bestimmten Schlüsselterminen klarwerden: Erster Termin: 15.
Juni - Deadline für Weißes Haus u. US-Außenministerium. Dann müssen sie
gegenüber dem US-Kongress erklären, ob wir deren Vorbedingungen für
weitere US-Finanzhilfe restlos erfüllt haben oder nicht - anschließend
wird man klarer sehen. Zweiter Termin: 21. Juni, EU-Treffen in
Thessaloniki. Dort wird sich herausstellen, ob Absurdistan tatsächlich
Chancen hat, auf schnellstem Wege EU-Mitglied zu werden - womöglich
schon 2007. Danach wird allerdings wenig Zeit bleiben, noch vor der
Deadline am 1. Juli letzte Hand an das jüngste bilaterale Akommen
zwischen USA u. Balkan zu legen.
* Andrej Grubacic, ist Historiker u. Sozialkritiker. Er lebt
im post-jugoslawischen Belgrad.
Übersetzt von: Andrea Noll
Orginalartikel: "Yugoslav Absurdistan"
http://www.zmag.de/article/article.php?print=true&id=686
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