"Die Bundesrepublik Jugoslawien ist de facto eine Fiktion"
Wie funktionieren die zwei serbischen Regierungen? - Ein Brief aus Belgrad von Laslo Sekelj*
Unabhängig von der neuesten Krise im Verhältnis zwischen DOS (Demokratisches Oppositionsbündnis) und SNP (Sozialistische Volkspartei in Montenegro) ist die Bundesrepublik Jugoslawien de facto eine Fiktion. Seit dem 5. Oktober letzten Jahres existiert sie zwar de iure, was aber nur so viel bedeutet, dass sie international anerkannt ist. Innerhalb der eigenen Grenzen kann von einer solchen Anerkennung nicht gesprochen werden. Staat und Regierung von Montenegro erkennen kein Bundesgesetz, keine Regierungsentscheidung und keinen Erlass aus Belgrad an. Montenegro hat eine eigene Polizei, einen eigenen Zoll, eine eigene Währung und Zentralbank, erlässt eigene Visumregelungen und führt keinen Pfennig an den Bundesetat ab.
Serbien dagegen finanziert diesen anderen serbischen Staat und überweist auch die Renten an einen Teil der montenegrinischen Rentner. Die Kompetenzen, die wirkliche Macht und der Einfluss dieses zweiten serbischen Staates sind allerdings begrenzt: etwa in der Außenpolitik oder durch die faktische Anerkennung der jugoslawischen Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zu internationalen Organisationen (Resort von Miroljub Labus). Hinzu kommt, dass auch die Armee (aber nur innerhalb Serbien ohne den Kosovo) direkt dem jugoslawischen Staatspräsidenten unterstellt ist. Gleiches gilt für den Bereich der Luftkontrolle und den wichtigen und überdies lukrativen Bereich der Kommunikation (Minister Boris Tadic, ein Mann von Djindjic).
Alles andere ist Schein. Es gibt eine ganze Reihe von Ministern und Ministerien für dieses und jenes. Z.B. das Innenministerium, das außerhalb der Regelung der Staatsangehörigkeit keinerlei Kompetenzen mehr hat. Der derzeitige Innenminister Zivkovic hat keine Hochschulbildung und keine Fremdsprachenkenntnisse. Er ist aber Vizepräsident der DS und möglicher Konkurrent von Djindjic. Er gilt als aggressiv und unverschämt, ist dabei aber total ungebildet und meint er sei sehr wichtig. Andere Ministerien wie das für Gesundheit, für Wirtschaft, Handel und Industrie, das Kultusministerium und andere Ministerien und Sekretariate haben so gut wie nichts nicht zu tun. Das Justizministerium bzw. die Bundesgesetzgebung wären unter normalen Umständen natürlich enorm wichtig, aber deren Zuständigkeit ist ausschließlich auf Serbien beschränkt. Aber wie im Fall der Auseinandersetzung mit dem Internationalem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag für das ehemalige Jugoslawien zeigt, können die montenegrinischen Abgeordneten (die von 23 % der Wahlberechtigten gewählt worden sind) alles blockieren und zu Fall bringen. Dagegen - und das ist die Ironie der Geschichte - erhält ein in Belgrad verabschiedetes Gesetz in Montenegro keine Gültigkeit.
Von allen Ministerien ist das Auswärtige Amt das kostbarste. Zur Zeit unterhält die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) 81 Botschaften mit ebenso vielen Botschaftern. Fast 50 sind nach dem 5. Oktober ausgewechselt worden und - mit ganz wenigen Ausnahmen - mit Parteileuten und Freunden von verschiedenen DOS-Parteien besetzt worden. Kaum einer von ihnen verfügt über einschlägige Fachkenntnisse. Dies gilt auch für die Situation im Auswärtigen Amt selbst. Hinzu kommen noch 20 Botschafter, die nach der Koalitionsvereinbarung der SNP angehören. Auch diese 20 Montenegriner vertreten ausschließlich Serbien unter dem Namen "BRJ". Dieses "Unternehmen" existiert also weiter. Jeder Botschafter verfügt über ein Team, das er sich selbst ausgewählt hat. Dieser Luxus kostet jährlich 200 Millionen Dollar - sehr viel für ein Land, das unfähig ist, fünf Millionen Dollar jährlich für Insulin zu besorgen.
Der Staat ist seitens DOS als Kriegsbeute aufgefasst und übernommen worden. Das DOS-Parteienbündnis hat bisher mehr als 20.000 Menschen ihrer staatlichen Posten enthoben und mit Parteigängern ersetzt. Ansonsten ist aber das alte System - sieht man vom Bereich der Privatisierung ab - im Grunde genommen nicht angetastet worden. Der starke Mann Serbiens heißt Zoran Djindjic. Er kontrolliert fast alles und diese Kontrolle ist sehr persönlich: Überall wo es um Geld und Macht geht, hat er seine Leute sitzen. Das alte System ist also im vollen Glanz geblieben, jedenfalls das alte System ohne die Ökonomie. Djindjic kontrolliert auch die Medien. Alles funktioniert ohne sichtbare und spürbare Repression. Djindjic macht es nicht so offesichtlich und so brutal wie Milosevic, dafür aber viel effektiver. Djindjic kontrolliert auch den Staatssicherheitsapparat, der nicht abgeschafft wurde und weder unter parlamentarische noch unter gesetzliche Kontrolle gestellt worden ist. Das eigentliche Machtzentrum ist das engere Kabinett; das Parlament nickt dessen Entscheidungen ab und zeigt keinerlei Lust die Regierung in ihrer Willkür zu stören. Djindjic trägt schon den Spitznamen "der König".
Lediglich die Armee und das Gesundheitsministerium unterstehen nicht der Kontrolle Djindjics. Bundespräsident Kostunica weigert sich daher auch, Veränderungen in der Armee vorzunehmen, was eigentlich aber dringend notwendig wäre. Überhaupt mischt er sich kaum in die Tagespolitik ein. Er befasst sich stattdessen gern mit metaphysischen Themen und Problemen. Kein Wunder, dass Djindjic der einzige Herr im Hause ist, obwohl er nicht zum serbischen Ministerpräsidenten gewählt worden ist. Der Listenträger und der einzige Name auf der Liste war Vojislav Kostunica. Djindjic usurpierte auch die Funktionen die nach der Verfassung der serbische Präsident und der Bundeskanzler innehaben.
Der unter Milosevic konstruierte privatisierte und kriminalisierte Staat ist völlig intakt geblieben. Die alte Symbiose zwischen organisierter Kriminalität, Politik und Wirtschaft funktioniert wie eh und je.
Die Inflation beträgt heute schon offiziell mehr als 25 Prozent. Die Lohne haben sich kaum erhöht, sie werden aber wenigstens regelmäßiger ausbezahlt. Im Mai oder Juni gibt es keinen Strom - das ist beispiellos in der Geschichte Jugoslawiens. Die Menschen leben unter sehr schlechten Bedingungen. Ein Alternative ist aber auch nicht in Sicht. Wir erwarten den serbischen Simeon.
* Laslo Sekelj, Belgrad, ist jugoslawischer Politikwissenschaftler und hatte 1998 bis 2000 eine Gastprofessur an der Universität Gesamthochschule Kassel.
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