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Serbien kommt nicht zur Ruhe

Albanische Separatisten terrorisieren Zivilbevölkerung in Südserbien

Von Rainer Rupp haben wir am 28. November 2000 eine Einschätzung der jüngsten terroristischen Übergriffe albanischer Separatisten auf serbisches Gebiet erhalten. Vielen Dank dafür! Es scheint, dass der Krieg nach dem Muster der UCK auch über das Kosovo hinaus getragen werden soll. Die Reaktionen aus Belgrad sind - noch - sehr zurückhaltend. Eine Eskalation von Seiten der Albaner ist aber durchaus möglich, da sie offenbar das neue Regime in Belgrad herausfordern wollen und testen wollen, wie weit sie gehen können.

In seiner Rede beim OSZE-Treffen in Wien kritisierte Präsident Kostunica scharf die Rolle der NATO und der Vereinten Nationen im Kosovo. Es sei offensichtlich, dass die NATO-geführte KFOR ihrer Aufgabe, militanten Kosovo-Albanern Einhalt zu gebieten, nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Albanische Terroristen versuchten, Serben und Albaner gleichermaßen einzuschüchtern. Kostunica warnte vor einer Ausweitung der Krise auf die gesamte Region.

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) sind in den vergangenen Tagen 2.000 Menschen aus dem Presevo-Tal geflohen. Die albanische Minderheit in Südserbien, die im Presevo-Tal jedoch die Mehrheit stellt, fürchtet nach Aussage von UNHCR-Sprecher Peter Deck angeblich eine serbische Offensive. Bis zu 20.000 Menschen könnten in diesem Fall das Gebiet verlassen. Die Vereinten Nationen bereiten laut Deck Notunterkünfte in Sporthallen und anderen öffentlichen Gebäuden vor, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Déja vue? Die Strategie kommt einem bekannt vor. Ob die UCK diesmal wieder Erfolg damit haben wird, darf allerdings bezweifelt werden.

Sogar der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon drückte am Montag sein Verständnis für die Reaktion von Präsident Kostunica aus: "Ich erkenne seine legitimen Sorgen wegen der Sicherheit der serbischen Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze an. Es ist deshalb wichtig, dass wir niemandem erlauben, weder die Grenze noch das Gefühl der Sicherheit der Menschen auf beiden Seiten der Grenze zu verletzen." ("UK sees cause for Kostunica's concern over Kosovo ", Reuters, by Paul Majendie, ZAGREB, Nov 27)

Als Reaktion auf die Offensive der UCK im Presevo-Tal, der Krisenregion in Südserbien hatte die Regierung in Belgrad Panzer und Infanterieeinheiten entlang der 5 Kilometer breiten Pufferzone zwischen Südserbien und dem Kosovo verlegt. Diese demilitarisierte Zone benutzen die die Terroristen - von der KFOR weitgehend unbehelligt - als Ausgangspunkt für ihre Überfälle auf serbische Polizisten und Zivilisten. Deshalb hatte Belgrad der KFOR am Freitag ein Ultimatum gestellt, das ursprünglich am Montag um 19.00 Uhr ablaufen sollte. Wenn die NATO unfähig sei, für Sicherheit zu sorgen, dann müssten jugoslawische Soldaten das selbst tun, hieß es aus Belgrad.

Nun hat die serbische Regierung das Ultimatum jedoch auf unbestimmte Zeit verlängert. Der Diplomatie solle eine Chance gegeben werden, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Nebosja Covic während eines Besuchs in der Krisenregion. Die NATO-Truppen im Kosovo seien einzig und allein dafür verantwortlich, den Rückzug der militanten Albaner aus dem Gebiet sicher zu stellen, betonte Covic. Ein taktisch kluger Zug. Denn wenn die NATO nichts tut, dann wird ihr Ruf als sogenannte Friedenstruppe nur noch mehr diskreditiert. Kommt sie dagegen ihrer Verpflichtung nach und geht gegen die UCK-Terroristen vor, dann läuft die NATO Gefahr in den Augen der albanischen Terroristen vom "Befreier" zum "Besatzern" zu mutieren, und ebenso wie die Serben zu Zielscheiben der verschiedenen UCK-Gruppen zu werden.

Geschickt hatte Präsident Kostunica am Montag die neue Krise in Südserbien ausgenutzt, um in Wien eine gefährliche diplomatische Klippe zu umschiffen. Seit Wochen hat nämlich die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright über verschiedene Kanäle dem neuen jugoslawischen Präsidenten ihr Interesse an einem Zusammentreffen mit ihm signalisiert. Der eher EU-orientierte Kostunica hatte bisher aber kein Interesse an Frau Albright gezeigt, die als Hauptverantwortliche für den Angriff gegen Jugoslawien gilt. In Washington wurde der Krieg nach ihr benannt und heißt "Madeine´s War". Mit Spannung wurde daher das OSZE-Treffen in Wien erwartet, wo auch Frau Albright zugegen sein würde. Allerdings kamen es in Wien lediglich zu einem formellen Händeschütteln und einem kurzen Austausch von Höflichkeiten zwischen Präsident Kostunica und Frau Albright als man zur Aufnahme des bei solchen Konferenzen üblichen "Familienbildes" der teilnehmenden MinisterInnen schritt. Auf dem Foto steht Frau Albright ganz rechts außen, während Präsident Kostunica mit der gastgebenden österreichischen Ministerin im Zentrum zu sehen ist.

Auf eine amerikanische Einladung hin erklärte Kostunica, daß er keine Zeit hätte, weil er vorzeitig ins Krisengebiet nach Südserbien zurückeilen müßte. Allerdings beschwerten sich amerikanische Beobachter sofort über Kostunicas "Affront" gegenüber der einzigen Supermacht, weil er trotzdem Zeit gefunden habe, an einem Essen mit dem österreichischen Präsidenten Thomas Klestil und Jörg Haider teilzunehmen. Die Botschaft war deutlich: Eine Wiederaufnahme der Beziehungen kann warten, bis in Washington die neue Bush-Regierung an der Macht ist, von der sich Kostunica sich aus guten Gründen eine erhebliche Verbesserung der bilateralen Beziehungen verspricht.

Mitte November hatte in den USA eine Konferenz der führenden Mitglieder der republikanischen Denkfabriken unter Beteiligung ranghoher Mitarbeiter von repubikanischen Senatoren und Abgeordneten stattgefunden, bei der über die zukünftige Balkanpolitik der Bush-Regierung debattiert wurde. Dabei kam es zu im Konsens getroffenen, geradezu sensationellen Empfehlungen an die neue Regierung Kostunica in Belgrad. So forderten die Republikaner z.B. Belgrad auf, unter keinen Umständen von dem Prinzip abzugehen, dass "das Kosovo sowohl Teil des souveränen Serbiens als auch Teil des jugoslawischen Territoriums ist". Eine weitere Empfehlung an Kostunica lautete: "absolut keine Person an das Internationale Tribunal für Kriegsverbrechen in Jugoslawien (nach Den Haag) ausliefern".

Bei der Konferenz wurde auch per Video eine Grußbotschaft des jugoslawischen Präsidenten Kostunica an die Konferenzteilnehmer gezeigt, die auf lebhaften Zuspruch stieß. Auf weiten Bereichen waren die Positionen der führenden außenpolitischen Berater der Republikaner deckungsgleich mit denen Kostunicas. Das deutet auf eine gute zukünftige amerikanisch-serbische Zusammenarbeit hin. Auch gaben die Republikaner Kostunica einen guten Rat zum weiteren Umgang mit der Clinton-Regierung, die den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien entfacht hatte: auf gar keinen Fall die Beziehungen verbessern - und wenn diplomatisch nicht anders möglich, dann auf höflicher aber kühler Distanz bleiben! In Wien scheint sich Präsident Kostunica beim Umgang mit Frau Albright diesen Rat zu Herzen genommen zu haben.

Reiner Rupp, Saarburg den 28.11.00

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