Milosevic hinter Gittern und die Selbstgerechtigkeit der Sieger
Warum die Friedensbewegung keinen Grund hat, ihre Meinung zu ändern
Beim Gezerre um den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic fühlt man sich an Gangstergeschichten aus dem Chicago der 20er und 30er Jahre erinnert. So mancher Gangsterboss landete damals hinter Gefängnismauern. Allerdings nicht wegen der von ihnen begangenen Kapitalverbrechen - die konnten die Ermittlungsbehörden in den seltensten Fällen nachweisen, weil oft genug die dafür notwendigen Zeugen rechtzeitig umgelegt wurden. Zum Verhängnis wurden ihnen vielmehr vergleichsweise kleine Gesetzesübertretungen wie etwa Steuervergehen oder Verstöße gegen das Alkoholverbot oder die Straßenverkehrsordnung. Milosevic ist vielfacher Kriegsverbrechen, ja sogar des Völkermords angeklagt - nicht in Jugoslawien, wohl aber beim Internationalen Sondertribunal in Den Haag. Das Problem besteht nun aber darin, dass der Arm des Tribunals nicht bis Belgrad reicht und die ihm zur Last gelegten Verbrechen von der jugoslawischen Justiz wohl kaum als Verbrechen eingestuft würden. Schließlich hat Milosevic jahrelang als gewählter Präsident und Vollstrecker der Staatsräson in Übereinstimmung und mit Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung die territoriale Integrität Jugoslawiens - und nach Dayton vor allem Serbiens - zu verteidigen gesucht. Selbst die Wahl seiner politischen und militärischen Mittel entsprach in den Augen vieler seiner Landsleute durchaus der kriegerischen Gesamtsituation.
Nach dem im Oktober letzten Jahres herbeigeführten Regimewechsel in Belgrad, der einen verhalten nationalistischen Präsidenten Kostunica und einen haltlos prowestlichen Ministerpräsidenten Djindjic an die Schalthebel der politischen Macht brachte, verlor dieses kollektive Einverständnis an Zugkraft. Der Westen, der die Auflösung Jugoslawiens und den Sturz Milosevics seit Jahren auf seine Fahnen geschrieben hatte, legte sich mächtig ins Zeug, um den wenig überzeugenden militärischen Sieg 1999 nun doch noch in einen vollständigen politischen Sieg zu verwandeln. Dazu musste Belgrad nur noch die ehemalige Staatsführung mit Milosevic an der Spitze an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausliefern. Um dies zu erreichen, zeigte man Belgrad die gängigen Folterwerkzeuge, die der Westen unterhalb der Schwelle der Kriegsdrohung anzuwenden beliebt: Finanzielle und ökonomische Erpressung. Die US-Administration hatte der serbischen Führung ein Ultimatum gestellt: Entweder Milosevic wird bis zum 1. April verhaftet, oder die in Aussicht gestellte Finanzhilfe von 100 Millionen US-Dollar wird nicht überwiesen. Ministerpräsident Djindjic drohte seinen eigenen Landsleuten damit, die Regierung würde stürzen und das Land in Chaos versinken, wenn die amerikanische Finanzhilfe nicht käme.
In den frühen Morgenstunden des 1. April gelang es der neuen Staatsmacht, Milosevic in seiner Villa festzusetzen und ins Zentralgefängnis zu überführen. Der Verhaftung war eine 26-stündige Belagerung voran gegangen, in dessen Verlauf sich Leibwächter und Anhänger des ehemaligen Präsidenten mit Sondereinheiten der Polizei einen Schusswechsel lieferten. Unbestätigten Meldungen zufolge ist die Kommando-Operation der Polizei durch die jugoslawische Armee verhindert worden, die Soldaten zur Bewachung der "Residenz" abgestellt hatte. Die Zeitung Politika berichtete, Generalstabschef General Nebojsa Pavkovic selbst habe damit die Festnahme Milosevics vereitelt. Fest steht jedenfalls, dass Milosevic erst nach langen Verhandlungen zur Aufgabe bereit war und sich der Justizbehörde schließlich selbst gestellt hat. Präsident Kostunica soll zuvor das Versprechen abgegeben haben, Milosevic nicht an das Haager Tribunal auszuliefern.
Damit befolgt Kostunica nur die Verfassung Jugoslawiens, die eine Auslieferung von Staatsbürgern nicht vorsieht. Hinzu kommt, dass die gegen Milosevic erhobenen Anklagepunkte einen Prozess im eigenen Land erforderlich machen, geht es doch um ihm zur Last gelegte Delikte wie "Amtsmissbrauch" und "Wirtschaftskriminalität" bzw. Korruption. Sollte Milosevic verurteilt werden, droht ihm dafür eine Höchststrafe von fünf Jahren. Nicht genug in den Augen des serbischen Innenministers Dusan Mihajlovic, der die martialische Aktion maskierter Sicherheitskräfte in der Nacht vom 30. auf den 31. März angeordnet hatte. Nicht genug natürlich auch in den Augen des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, der schon immer den Standpunkt vertrat, Milosevic gehöre als Hauptkriegsverbrecher vor das Sondertribunal in Den Haag. "Djindjic, der Pragmatiker", so kommentierte die Süddeutsche Zeitung, "sucht die Nähe zum Westen. Er weiß um die Abhängigkeit seines Landes von internationalen Aufbaugeldern, und er ist bereit, diese Finanzhilfe auch als Kopfgeld auf Milosevic zu akzeptieren. Deshalb scheute er sich nicht einmal vor der Pikanterie, die seinem serbischen Innenministerium unterstellten Polizeikräfte just an dem Tag zuschlagen zu lassen, an dem ein an Washingtoner Hilfsgelder geknüpftes Ultimatum ablief. Djindjic selbst dürfte, auch wenn er das nicht offen zu sagen wagt, kein Problem damit haben, Milosevic wie gefordert an das Haager Tribunal auszuliefern." (SZ, 02.04.2001)
Auch die Vereinigten Staaten und die deutsche Bundesregierung dürften sich mit dem bisherigen Verlauf der Staatsaktion nicht zufrieden geben. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien vor zwei Jahren war schließlich nicht um den Kosovo geführt worden, sondern um den widerspenstigen Machthaber in Belgrad endgültig los zu werden. Die bürgerkriegsähnliche Situation im Kosovo diente als Vorwand, um das letzte "sozialistische" oder sagen wir besser: "nicht westliche" Regime in Europa zu beseitigen. Auch um von den eigenen Kriegsverbrechen abzulenken (und der Krieg selbst war schon ein Verbrechen gegen das Völkerrecht), musste das ideologische Kesseltreiben gegen den zum "Hitler des Balkan" dämonisierten Milosevic aufrecht erhalten werden. Ein Prozess gegen Milosevic - und nur gegen Milosevic - könnte auch das dem Westen ungelegene Auftreten der terroristischen UCK in Makedonien vergessen machen. Dabei dürfte es unerheblich sein, ob der Prozess ausschließlich in Belgrad oder - wie es Djindjic verspricht - "zunächst" in Belgrad und "später" in Den Haag stattfinden wird. In ersten Reaktionen haben Kroatien und die Vertreter der Kosovo-Albaner eine sofortige Auslieferung an das Kriegsverbrecher-Tribunal gefordert. Russland warnt dagegen vor einem solchen Schritt. Die Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, und Vertreter von EU und Nato werteten die Festnahme als ersten Schritt hin zu einer Auslieferung Milosevics nach Den Haag und als wichtigen "Beitrag für die Stabilität" auf dem Balkan. Auch Bundesaußenminister Fischer, Frankreichs Staatspräsident Chirac und der britische Außenminister Robin Cook begrüßten die Entwicklung in Belgrad. Außenminister Fischer machte in Berlin deutlich, dass Deutschland weiterhin auf einer Überstellung von Milosevic an das Kriegsverbrechertribunal besteht. Ihnen allen scheint es allein auf das Ergebnis anzukommen: Ein Schuldspruch nicht nur wegen Amtsmissbrauch und Korruption, sondern auch wegen "Vertreibung" und "Völkermord" muss es sein! Die Welt am Sonntag formulierte ihre Erwartung folgendermaßen: "Wenn es der jugoslawischen Justiz gelingt, die jüngste Vergangenheit mit Hilfe rechtsstaatlicher Maßstäbe aufzuarbeiten, kann sie damit der ganzen Welt beweisen, dass das Land auf dem Weg nach Europa vorangekommen ist und in der Gemeinschaft der Rechtsstaaten einen berechtigten Platz hat." (Die Welt am Sonntag, 01.04.2001) Wir dürfen das doch dahingehend interpretieren: Jugoslawien ist erst dann in Europa angekommen, wenn es begreift, das Kriegsgeschehen auf dem Balkan und den Zerfall des eigenen Staates mit den Maßstäben der Sieger zu beurteilen. Diese Maßstäbe sind beileibe nicht dem Recht, schon gar nicht dem Völkerrecht entnommen.
Anlässlich des zweiten Jahrestags des Beginns des NATO-Kriegs haben zwei bekannte Hamburger Friedensforscher in einem
offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten vom Parlament verlangt, dass der Krieg endlich "aufgearbeitet" werden müsse. Der gängigen "selbstgerechten Betrachtung" des Krieges, die zwar das von Milosevic verantwortete Unrecht anprangert, dabei aber die eigenen Rechtsbrüche übersieht, stellen Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz die Forderung entgegen, endlich eine umfassende völker- und verfassungsrechtliche Prüfung der deutschen Kriegsteilnahme einzuleiten. "Die Stärke des Rechts muss - so unser Anliegen - wieder an die Stelle des Rechts des Stärkeren treten!" Die Friedensbewegung hat den NATO-Krieg von Anfang an als eindeutigen Bruch des Völkerrechts bekämpft, obwohl sie sich insgesamt nie mit der Politik Milosevics identifiziert hat. Sie täte gut daran, sich auch heute nicht mit der pauschalen Verurteilung Milosevics als dem "schlimmsten Kriegstreiber in Europa seit Hitler" (so die Hessische Allgemeine -Sonntagszeit - am 01.04.2001) gemein zu machen, sondern nach den internen und externen Ursachen der Balkankonflikte der 90er Jahre sowie nach den Verlaufsformen der Gewaltspirale in den Kriegen und Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien zu fragen. Diese Kriege hatten weit mehr als nur einen Vater. Ein Tribunal, vor dem sich nur Milosevic zu verantworten hätte, nicht aber die Befehlshaber jener NATO-Bomber, die gezielt zivile Ziele in Jugoslawien angesteuert haben, die Brücken, Fabriken und Krankenhäuser bombardieren ließen und die die Parlamente und die Bevölkerung mit Lügen und Gräuelmeldungen zur Kriegsbereitschaft hin manipuliert haben - ein solches Tribunal würde wohl kaum der Gerechtigkeit dienen.
Peter Strutynski
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