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Die Medien und der Krieg

Mainzer Tage der Fernsehkritik Mai 2000 - mit Rudolf Scharping

In derselben Woche, in der "Panorama" seine kritische Sendung über die Lügen des Verteidigungsministers ausstrahlte, versammelten sich Fernsehjournalisten zu ihren alljährlichen "Mainzer Tagen der Fernsehkritik". Ein Kontrastprogramm, wie einem Artikel der "jungen welt" vom 20. Mai 2000 zu entnehmen ist.

Wenn der Minister erzählt ...

Rudolf Scharping bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik.
Von Till Meyer


Anfang der Woche kam sie wieder für zwei Tage zusammen: die bundesdeutsche Elite der Fernsehjournalisten. Und wie immer bei solchen Zusammenkünften, feierten sich die gut dotierten Damen und Herren in erster Linie selbst. So war es auch bei diesen 33. Mainzer Tagen der Fernsehkritik im Kasino des ZDF.

Dabei war die Themensetzung diesmal durchaus brisant: »Krieg mit Bildern - Wie Fernsehen die Wirklichkeit konstruiert. Der Kosovo-Krieg.« Aber was sollten die Referenten Sonja Mikich oder Karin Storch, Sigmund Gottlieb oder Anne Gellinek auf einer solchen Veranstaltung anderes sagen als das, was sie schon während des Krieges live über den Bildschirm brachten? Verlautbarungsjournalismus im Dienste der NATO.

Heute, wo sich immerhin einige der gröbsten Greuelmärchen der NATO als dreiste Propagandalüge entpuppen, der sogenannte Hufeisenplan etwa oder die »Massaker« von Racak oder Rugovo, gibt man sich allenfalls nachdenklich und quält sich ein bißchen mit der Frage: Sind wir mißbraucht worden? Ja, natürlich möchte man der versammelten Propagandakompanie zurufen. Das tat dann auch mit erfrischend klaren Worten und als einziger der Marburger Medienforscher Professor Karl Prümm.

Kriegspropaganda habe das deutsche Fernsehen betrieben. Das Fernsehen als Integrations- und Konsensmaschine vom ersten Kriegstag an. Private wie öffentlich-rechtliche Sender hätten sich als Verlautbarungsorgan von Politik und Militär verstanden. Die Schelte des Professors machte die Fernsehelite wütend. »Ich weiß nicht, welches Programm Sie gesehen haben«, wehrte sich der Chefredakteur des Bayrischen Fernsehens, Sigmund Gottlieb. Man habe, so Gottlieb, mit »Kommentaren und Berichten ein der Wahrheit relativ nahe kommendes Bild erzeugt«.

Und dann kam er: Stargast Rudolf Scharping. Der natürlich auch nicht wegen seiner dreisten Lügen ausgelacht oder des Saals verwiesen wurde. Man nahm den Mann ernst. Rudolf Scharping, Verteidigungsminister der Republik, ist in zweierlei Hinsicht ein gefährlicher Mann: Zum einen, weil der Minister den Unsinn, den er erzählt, auch selbst glaubt, und zum anderen, weil er statt mit dem Kopf mit dem Bauch denkt. Auf beides ist er nach eigenem Bekunden »stolz«. In der Diskussion mit ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender wiederholte der Minister alle seine Greuelmärchen, mit denen er sich schon während des Angriffskrieges gegen Jugoslawien lächerlich gemacht hatte. Vorab wurde von Brender klargestellt, »daß es hier nicht um die völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Aspekte des Krieges gehen soll«. Thema seien die Bilder als Symbole und inwieweit diese notwendig gewesen sind, den Krieg zu legitimieren. »Wir wollten den Krieg nicht«, behauptet Scharping, und man habe verhandelt und verhandelt, um ihn zu verhindern. Aber dann kamen die »grauenvollen Bilder vom Massaker in Racak und das hat bei mir etwas ausgelöst«, gefühlsduselte der Minister.

Woher denn die Bilder stammten, die er im Bundestag immer vorgezeigt habe, wollte der Journalist wissen. Scharping: »In der Regel von westlichen Agenturen, und ich hatte keinen Grund, den Bildern nicht zu vertrauen«. »In der Regel« hatte Scharping seine Bilder und Berichte von dem US-Sender CNN, wie er einräumte. Und dann erzählt der Minister von »Massakern«, über die es zwar keine Bilder gibt und die dennoch stattgefunden haben - »das haben uns die Flüchtlinge erzählt«. Medienschelte gab es aber auch: »Ich bin am ersten Kriegstag, den 24.März, fast vor Wut geplatzt. Da hat doch das ZDF gemeldet, zwei deutsche Tornados seien über Belgrad abgeschossen worden.« Scharping läuft rot an und wird laut: »Das stimmte ja gar nicht. Mehr Sorgfalt vor Geschwindigkeit« hätte man bei so einer Nachricht walten lassen müssen. Die Medienpolitik der NATO hat auch er für falsch gehalten. »Ich habe mich darüber mehrfach beschwert« - folgenlos, wie man weiß.

Dann kommt der Minister doch noch auf die Legitimität des Angriffskrieges zu sprechen: »Unsere Verfassung sagt in Artikel eins, die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt auch für Menschen ohne deutschen Paß. Unter Friedenssicherung verstehe ich die umfassende Politik, den Schutz der Menschenrechte auch auf dem Balkan zu garantieren«. Da habe der Westen ohnehin zu lange gewartet. Scharping: »Wir haben ja zehn Jahre lang zugesehen und den Fehler gemacht, Milosevic zu vertrauen«. Schließlich gibt der Minister auch noch seine persönliche Betroffenheit zu Protokoll: »Ich will kein seelenloser Technokrat sein, und es empört mich heute noch, wenn ich weiß, daß seit 1989 auf dem Balkan Hunderttausende von Menschen nur deshalb ermordet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten«. Ob er denn da nicht zuviel Desinformation aufgesessen sei, will jetzt der Herr Brender wissen. »Niemals«, Scharping läuft wieder rot an, es gab keine Desinformation, alle Informationen haben gestimmt.

Professor Dieter Lutz vom Hamburger Friedensforschungsinstitut sieht das alles ganz anders. Er zerpflückt ein paar der so dramatisch von Scharping aufgebauten »Massaker«. Lutz: »Das Massaker von Rugovo war keine Hinrichtung von Zivilisten, wie Sie hier wieder behaupten. Nach Aussagen des deutschen OSZE- Beobachters, übrigens ein Polizist, waren die 24 Toten eindeutig Kämpfer der UCK.« Unter den Toten von Racak seien nicht Kinder gewesen, wie der Minister sagt, sondern ein Kind. Ferner wurden die Menschen nicht aus nächster Nähe hingerichtet, wie der Minister behauptet, und schon gar nicht knieend. Entscheidend aber ist die Frage, warum die Autopsieberichte von Racak sofort vom damaligen deutschen Ratspräsidenten der EU unter Verschluß genommen wurden und bis heute nicht offiziell einsehbar sind. Und dann kommt Dieter Lutz noch auf den berüchtigten »Hufeisenplan« zu sprechen. »Herr Scharping, Sie sprachen davon, daß Milosevic eine Strategie der Zerstörung unterhalb einer bestimmten Größenordnung betrieb, um die Menschen zu vertreiben. Sie sprachen hier aber nicht von der Strategie der Gegenseite, der UCK. Hierzu mal eine Aussage aus dem Lagezentrum der Bundeswehr vom 23. März 1999, also einen Tag vor Kriegsbeginn. Ich zitiere: >In den komenden Tagen ist mit weiteren örtlich und zeitlich begrenzten Operationen serbisch- jugoslawischer Kräfte gegen die UCK zu rechnen. Die UCK ihrerseits wird weiter versuchen, durch die bekannten Hit-and- Run-Aktionen die serbische Seite zu massiven Reaktionen zu provozieren in der Hoffnung, daß diese in ihren Ergebnissen hinsichtlich Zerstörungen und Flüchtlingen ein Ausmaß annehmen, das sofortige Luftschläge der NATO heraufbeschwört<«.

Den Hufeisenplan gibt es und zwar schon seit vier Jahren, behauptet Scharping unverdrossen. Ansonsten keine Fragen an den Minister. Auf seine Medien kann sich der Minister auch beim nächsten Waffengang jedenfalls verlassen.
Aus: junge welt, 20.05.2000

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