Albaner in Serbien: Der Krieg geht weiter
Kein Tag ohne Kämpfe - Wechselt die NATO die Fronten? - Beginnen unsere Medien umzudenken?
Dass mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 kein Problem der Region gelöst werden würde, hat die Friedensbewegung und haben kluge Balkanexperten damals schon vorhergesagt. Mittlerweile ist - auch nach dem Regimewechsel in Belgrad - klar geworden, dass die Befürchtungen nur allzu berechtigt waren. Die UCK kämpft weiter: im Kosovo als einflussreiche zivile Ordnungskräfte und Berater der UN-Institutionen, im angrenzenden Südserbien als UCPMB (Albanische Befreiungsfront von Presevo, Medevedja und Bujanovac) und mittlerweile auch schon im mazedonischen Grenzgebiet als bewaffnete Banden. Für die NATO werden die provokativen Umtriebe serbischer bewaffneter Banden allmählich lästig. Zerstören sie doch nicht nur das Bild von der angeblich "befriedeten" und "stabilisierten" Region, sondern auch das Bild von den unterdrückten und um Selbstbestimmung kämpfenden Freiheitskämpfer.
In einem Kommentar vom 1. März stellt die Süddeutsche Zeitung die Frage, ob denn die NATO nun die Fronten wechseln würde? Der Kommentator (pm) lässt keinen Zweifel daran, dass die gewendeten Serben "Entgegenkommen" der NATO "verdient" hätten; den "albanischen Extremisten" müsse mit "Härte" entgegen getreten werden. Leider stellt der Kommentator keine weiteren Fragen: etwa die nach dem Verhalten der Albaner vor dem NATO-Krieg. Dennoch: Der Perspektivenwechsel, der sich in der Berichterstattung über den Balkan in dem Kommentar zaghaft andeutet, verdient dokumentiert zu werden.
Der zweite Beitrag befasst sich etwas ausführlicher mit der Situation in der Pufferzone zwischen Kosovo und Serbien (dem "corridor of contention" - "Korridor der Streitigkeiten", wie das Time-Magazin Nr. 9 vom 5. März 2001 schreibt) und bezieht auch die aktuelle Diskussion um die UN- und NATO-Politik auf dem Balkan mit ein. Diese Politik, so lautet das Fazit des Autors Norbert Mappes-Niediek (er berichtet nicht nur für den "Freitag", sondern auch für den österreichischen "Standard"), ist gescheitert. Und zwar von dem Zeitpunkt an gescheitert, da der Westen in den Serben ausschließlich die Bösen und in den Albanern ausschließlich die Guten gesehen hat. Nur am Ende, so scheint mir, verfängt sich auch der Balkanexperte Mappes-Niediek in den eigenen ideologischen Fußangeln, wenn er meint, der Westen sei Opfer seiner eigenen Propaganda geworden und habe die "Illustriertenversion der Kriegsursachen zur Grundlage seiner Politik" gemacht. Nach den vielen Enthüllungen der letzten Wochen über die Propagandalügen der NATO und insbesondere der deutschen Bundesregierung mit ihrem Erfindungsreichtum in Sachen Horrorgeschichten und Gräuelmärchen kann man so recht nicht daran glauben, dass "der Westen" irgendwelchen Zeitungsenten auf den Leim gegangen sei. Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Fischers, Scharpings, Solanas und Jamie Sheas haben selbst an den Legenden gestrickt, die von den Massenmedien fernseh- und mundgerecht einem Millionenpublikum verabreicht wurden. NATO-Sprecher Shea ist noch heute voll des Lobs, wenn er an die Regierungspropaganda von damals denkt: "Rudolf Scharping machte wirklich einen guten Job," sagte er in der viel zitierten WDR-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" (ARD, 8. Februar 2001) und fuhr fort: "Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterherrennen, sondern diese zu formen verstehen."
Die Nato wechselt die Fronten
Der Kosovo-Krieg ist Geschichte, und die Nato wechselt die Fronten. Sie versucht sich nun in einer speziellen Partnerschaft für den Frieden mit dem Feind von gestern. Partner sind die Serben, und gemeinsam geht es gegen albanische Milizionäre. Markiert wird die Wende durch die Entscheidung der Nato-Außenminister, die Pufferzone zwischen dem Kosovo und Serbien Schritt für Schritt zu verkleinern. Die neue Führung in Belgrad hat dieses Entgegenkommen verdient - und die albanischen Extremisten verdienen Härte.
Der fünf Kilometer breite Streifen entlang der Grenze auf serbischer Seite war nach dem Krieg entmilitarisiert worden. Das diente damals dem Schutz der Kosovo-Albaner vor möglichen Angriffen der Serben. Die albanische Befreiungsarmee von Presevo, Medevedja und Bujanovac (UCPMB) jedoch kehrte das Prinzip um und nutzt die Zone, um von dort aus ungehindert die Serben anzugreifen. Mit Gewalt will sie den Anschluss albanisch besiedelter Gebiete in Südserbien an den Kosovo erzwingen. Bislang hat Belgrad darauf recht besonnen reagiert. Das wird nun von der Nato honoriert.
Doch natürlich steckt der Teufel im Detail. Eine sofortige Aufhebung der Pufferzone und ein dadurch erlaubtes Einrücken der jugoslawischen Armee würde blutige Kämpfe mit der UCPMB zur Folge haben. Deshalb hat die Nato zunächst nur einen Grundsatzbeschluss gefasst und Einzelheiten bewusst offen gelassen. Damit wird ein Signal an beide Seiten ausgesendet: Die Serben sollen wissen, dass sich der Verzicht auf Gewalt lohnt, und die Albaner klar sehen, wo der Westen steht. Sie haben nun die Chance, die Waffen niederzulegen und zu verhandeln, bevor es zu spät ist.
pm
Aus: Süddeutsche Zeitung (Kommentar), 1. März 2001
Mit Gewalt in die Sackgasse
MORDE AN SERBEN - Jeder Anschlag verringert die Macht der Regierung Djindjic
Von Norbert Mappes-Niediek
Dreizehn Tote an einem einzigen Wochenende, und selbst wenn es 130
oder 1.300 gewesen wären, wüsste niemand, was nun zu tun wäre: Die
Kosovo-Politik der westlichen Staatengemeinschaft ist am Ende. Die
Albaner sollten nach der Besetzung der Provinz durch die KFOR-Truppen
und nach der Wende in Belgrad erst einmal Normalität in den Alltag
einkehren lassen, demokratische Institutionen aufbauen, dann werde man
weiter sehen. Das war die Formel, die bis zum vergangenen Wochenende
regierte. Sie ist gescheitert. Die Albaner wollen die Unabhängigkeit, und
zwar bald, bevor Belgrad wieder zu einem wichtigen Faktor der
Balkanpolitik wird. Deshalb distanzieren sich die gemäßigten Politiker nur
so lau und widerstrebend von den Terrorakten der Extremisten. Täten sie
es entschlossener, so würden sie nur Arm in Arm mit ihren internationalen
Verwaltern tiefer in die Sackgasse marschieren.
Der Westen kann in dieser Lage den Albanern nachgeben, er kann die Partei
Belgrads ergreifen, oder er kann einfach so weitermachen wie bisher: Jedes
Mal droht alles nur noch schlimmer zu werden. Baldige Wahlen im Kosovo,
ein energisches Zusteuern auf die Unabhängigkeit und den Abzug der
westlichen Truppen würde die Provinz den Extremisten ausliefern und im
Süden des Balkan einen Unruheherd schaffen. Die letzten serbischen
Enklaven würden gewaltsam ausradiert; Vertreibung wäre noch das
gelindeste Schicksal ihrer Bewohner. Zwar will die Mehrheit der Albaner im
Kosovo bloß Ruhe und Wiederaufbau - das haben die Kommunalwahlen im
Herbst deutlich gezeigt. Aber gegen die Entschlossenheit und die Waffen
der Extremisten kommen die Gemäßigten nicht an. Einschüchterung und
politische Morde an demokratischen Politikern lassen daran zweifeln, dass
ein Ibrahim Rugova sich über Prishtina hinaus durchsetzen könnte, und
selbst wenn es ihm gelänge, würden ihm bewaffnete Konflikte in
Südserbien oder in Mazedonien das Heft sofort wieder aus der Hand
nehmen. Die Banden und das paramilitärische "Zivilschutzkorps" wären in
jedem Fall stärker.
Angst ist Schuld daran, dass die internationalen Truppen und die
UN-Verwalter nicht hart gegen die Extremisten durchgreifen. Vor allem die
Amerikaner, die sich in der Balkanpolitik immer so gern als die "tough
guys" dargestellt haben, fürchten sich panisch davor, dass ihre eigenen
Truppen Ziel von Terroranschlägen werden könnten: Das ist der tiefere
Sinn ihrer Komplizenschaft mit dem früheren UÇK-Führer Hashim Thaci,
der die politische Kontrolle über die radikale Befreiungsarmee für Presevo,
Medvedja und Bujanovac (UCPMB) in Südserbien ausübt. Griffen sie hart
durch, müssten sie bald die ersten der berüchtigten Zinksärge nach
Washington schicken. Morde an US-Soldaten wären für die neue
Administration das Signal, ihr Engagement rasch zu beenden. Die Europäer
blieben ratlos zurück. Gingen sie jetzt, ein Jahr und acht Monate nach der
Besetzung des Kosovo, endlich scharf gegen die Radikalen vor, würde es
ihnen als Parteinahme für Belgrad und gegen die Unabhängigkeit gedeutet.
Verhaftungen würden die Albaner im Kosovo in dieser Lage in die
Solidarität mit den Extremisten treiben. Mit Unterstützung einer Mehrheit
der Bevölkerung ist das Kosovo schon schwer genug zu administrieren,
ohne sie wäre es völlig unmöglich. Zurückziehen können die internationalen
Verwalter sich nicht, hart durchgreifen auch nicht - sie sind dazu
verdammt, alles schleifen zu lassen.
Symptom für die Ausweglosigkeit der westlichen Politik ist das Zögern der
NATO, die Pufferzone zwischen dem Kosovo und dem eigentlichen
Serbien zu reduzieren. In dem entmilitarisierten Streifen von fünf
Kilometern Breite hat sich die UCPMB breitgemacht. Wird die Pufferzone
einfach aufgehoben oder drastisch verkleinert, wie Belgrad es verlangt,
würde die jugoslawische Armee das Territorium sofort besetzen. Es käme
zu einer kriegsförmigen Auseinandersetzung mit den vielleicht 2.000
uniformierten Albanern, gleichzeitig aber zu einer enormen Solidaritäts- und
Mobilisierungswelle im angrenzenden Kosovo. Ließe sich die NATO darauf
ein, in dem Gebiet gemeinsame Patrouillen mit jugoslawischer Armee und
serbischer Polizei einzurichten, so wäre sie für alle erkennbar der Komplize
Belgrads und Ziel von Angriffen. Geschieht dagegen nichts, werden bald
auch die außerhalb der Zone gelegenen, mehrheitlich albanischen Städte
Presevo und Bujanovac Ziel von Operationen.
Ein Kleinkrieg im Süden Serbiens könnte auch den Erfolg der
demokratischen Opposition in Belgrad erodieren lassen. Zwar ist eine
Rückkehr des alten Regimes ausgeschlossen, aber nicht nur Einzelne, auch
wichtige Institutionen wie die Armee, der Geheimdienst und die
Spezialpolizei kämpfen um ihren Bestand und ihre Legitimation. Für die
konservative Armeeführung um Generalstabschef Nebojsa Pavkovic ist der
Konflikt ein willkommenes Geschenk: Er führt den Serben die Bedeutung
einer starken Armee vor und rechtfertigt im Nachhinein deren Vorgehen im
Kosovo. Mit jedem Anschlag auf serbische Polizisten verringert sich die
Macht der Regierung Djindjic. Vizepremier Nebojsa Covic, der die
südserbischen Albaner nun, fünf Minuten nach zwölf, mit politischen
Rechten und wirtschaftlicher Hilfe ins Boot holen will, verliert in Belgrad
täglich an Einfluss.
In Deutschland fällt das Scheitern der westlichen Kosovo-Politik zusammen
mit einer Debatte über die Rechtfertigung des NATO-Bombardements
1999. Die Gegner des westlichen Eingreifens von damals fühlen sich zu
Recht bestätigt: Man hat die Probleme des Kosovo schwarz-weiß gemalt
und weit unterschätzt. Es ist die Zeit der klammheimlichen Schadenfreude.
Aber die Emotion führt nicht nur nicht weiter, sie ist auch im Rückblick
fehl am Platze. Denn Frieden würde im Kosovo gewiss auch dann nicht
herrschen, wenn die NATO einfach draußen geblieben wäre. In
Wirklichkeit stand das "Fenster der Gelegenheit" - wenn überhaupt je -
dann nur nach dem Einmarsch der NATO im Juni 1999 für ganz kurze Zeit
offen. Hätten die Truppen sich damals als Besatzer aufgeführt, statt sich in
selbstverliebtem Taumel als Befreier feiern zu lassen, hätten sie von Anfang
an die Extremisten bekämpft und den Fähigen und Verantwortlichen unter
den Albanern vertraut, stünden sie heute besser da. Aber im Juni 1999
kannte die Welt nur böse Serben und edle Albaner. Der Westen hat es
vorgezogen, an seine eigene Propaganda zu glauben und die
Illustriertenversion der Kriegsursachen zur Grundlage seiner Politik zu
machen. Das rächt sich jetzt.
Aus: Freitag, 23. Februar 2001
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