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Deutsche Brandstifter

Vor zwanzig Jahren hat die Bundesrepublik die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die EG erzwungen

Von Werner Pirker *

Die jugoslawischen Sezessionskriege sind von der BRD-Diplomatie zu einem beträchtlichen Teil mitverursacht worden. Das meinen nicht nur erklärte Gegner deutscher Großmachtpolitik. Denn erst mit der von Bonn erpreßten Anerkennung der Unabhängigkeit der jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien durch die Europäi­sche Gemeinschaft (EG) waren die Weichen für das gewaltsame Auseinanderbrechen des südslawischen Vielvölkerstaates gestellt. Die Alternative zu den einseitigen Unabhängigkeitserklärungen wäre eine Neufundierung der jugoslawischen Föderation als Konföderation oder – falls dies nicht mehr realisierbar gewesen wäre – eine konsensuelle Auflösung des gemeinsamen Staates gewesen. Die der EG aufgezwungene deutsche Anerkennungspolitik aber machte alle Bemühungen um eine friedliche Lösung der jugoslawischen Krise zunichte.

Dabei war zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens das Eintreten für den Fortbestand des Bundes noch westlicher Konsens. Auch Deutschland machte da keine Ausnahme. Einzig Österreich tanzte – mit deutlich zur Schau gestellter Lust am Untergang Jugoslawiens – aus der Reihe. Denn nicht nur Revanche für Sarajevo war angesagt. Wien hatte sich auch wegen der Nichterfüllung seiner staatsvertraglichen Verpflichtungen gegenüber der slowenischen und kroatischen Minderheit in einem Dauerkonflikt mit Belgrad befunden. Nun ließ sich der »Serbobolschewismus« für alle den Slowenen und Kroaten zugefügten Leiden verantwortlich machen. Die Lostrennung der beiden Teilrepubliken im Juni 1991 erfolgte dann auch unter der Regie des österreichischen Staatsrundfunks ORF, der ein ganzes Heer von Redaktionspraktikanten an die Karawankengrenze beorderte, wo sie einer nach dem anderen ihr Sprüchlein von der unglaublichen Brutalität, mit der die jugoslawische Armee gegen slowenische Freiheitskämpfer vorgehe, aufzusagen hatten.

Bonner Alleingang

Doch alsbald bildete sich die pangermanische Achse gegen den Fortbestand Jugoslawiens, wobei den Österreichern nur noch die Rolle der emotionalen Antreiber zukam. Bereits im Sommer 1991 nahm die deutsche Außenpolitik eindeutig Kurs auf die Unterstützung der sezessionistischen Aggression. Die ersten Politiker, die sich für das »Selbstbestimmungsrecht« der Slowenen und Kroaten stark machten, kamen nicht aus der schwarz-gelben Regierungskoalition, sondern von SPD und Grünen. Nachdem die beiden Teilrepubliken am 25. Januar ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, rief der damalige SPD-Vorsitzende Björn Engholm die Bundesregierung auch schon auf, deren Anerkennung in Erwägung zu ziehen. Natürlich machte er dafür nicht deutsche Großmachtinteressen, sondern rein ethische Gründe geltend.

Der frühere DDR-Botschafter in Belgrad, Ralph Hartmann, äußert in seinem Buch »Die ehrlichen Makler« die Vermutung, daß der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher den radikalen Kurswechsel in der deutschen Jugoslawienpolitik nicht aus eigenem Antrieb vollzogen haben dürfte, er sich vielmehr dem Druck, den die etablierten Parteien und meinungsbildenden Medien auf ihn ausgeübt haben, gebeugt habe. Auf dem Balkan sollte die deutsche Großmachtstellung neu konstituiert werden.

Am 18. Juli 1991 war der kroatische Präsident Franjo Tudjman bei Bundeskanzler Helmut Kohl zu Gast, der ihm die diplomatische Anerkennung des Sezessionsgebildes in Aussicht stellte. Der deutsche Anerkennungsaktionismus stieß innerhalb der EG teils auf Skepsis, teils auf offene Ablehnung. Zu offenkundig war das Bestreben Bonns, auf dem Balkan Fuß zu fassen und die Europäische Gemeinschaft zur Geisel seiner Expansionsgelüste zu machen. Der EG-Vermittler Lord Carrington hat in Briefen an Genscher immer wieder auf die Gefahr eines Bürgerkrieges verwiesen, den eine übereilte Anerkennung der abtrünnigen Teilrepubliken auslösen könnte. Denn das Recht auf Selbstbestimmung, das die deutsche Diplomatie den Kroaten einräumte, beanspruchten auch die Serben Kroatiens: das Recht auf Lostrennung von Kroatien, dessen Austritt aus Jugoslawien sie nicht mitvollziehen wollten.

Nicht nur EG-Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Spanien (wegen des Basken-Problems) und die Niederlande meldeten ihre Bedenken gegen die deutsche Anerkennungspolitik an, sondern auch die jugoslawischen Republiken Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Dort hatte man die Austrittsoption noch nicht wirklich ins Auge gefaßt und fürchtete deshalb eine verstärkte serbische Dominanz in einem kleiner gewordenen Jugoslawien. Die BRD-Diplomatie mußte vorerst leiser treten. Als sich im August 1991 der französische Präsident François Mitterrand mit Bundeskanzler Kohl traf, war in der abschließenden gemeinsamen Erklärung von einer völkerrechtlichen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens noch nicht die Rede. Umso stärker war die veröffentlichte Meinung in Deutschland auf einen Aggressionskurs gegen Jugoslawien und die legitimen Bestrebungen seiner Armee, den sezessionistischen Angriff abzuwehren, eingeschwenkt.

Und wiederum war es die Opposition, die den Anerkennungsdiskurs befeuerte. Am 15. Oktober gab die SPD-Bundestagsfraktion eine Erklärung ab, in der es hieß, daß Jugoslawien aufgehört habe zu existieren und die Voraussetzungen für die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens geschaffen seien. Abgesehen davon, daß deutsche Sozialdemokraten den Vielvölkerstaat noch bei lebendigem Leibe zu Grabe trugen, waren die Voraussetzungen für eine Anerkennung Kroatiens in keiner Weise gegeben. Gemäß den Bestimmungen des Völkerrechts muß das nach staatlicher Anerkennung strebende Gebilde die Kontrolle über den Großteil des von ihm beanspruchten Territoriums ausüben, was zum Zeitpunkt der Sezession nicht der Fall war.

Bürgerkrieg ausgelöst

Am 6. November 1991 verkündete Kohl, daß in der Anerkennungsfrage keine Zeit mehr zu verlieren sei. Genscher plädierte für eine Ausweitung der Sanktionen auf ein umfassendes Handels- und Ölembargo. Die Schuld an den Kriegsgreuel wurde einzig der die Einheit des Gesamtstaates verteidigenden Seite, der jugoslawischen Volksarmee und Serbien, zugewiesen, während die sezessionistischen Kräfte zu Opfern des »großserbischen Expansionismus« stilisiert wurden.

Am 7. November platzte auf dem NATO-Gipfel in Rom eine diplomatische Bombe. Kohl und Genscher gaben bekannt, daß man die Präsidenten Sloweniens und Kroatiens, Milan Kuan und Franjo Tudjman nach Bonn eingeladen habe, um die diplomatische Anerkennung vorzubereiten. Der deutsche Alleingang stand in einem krassen Gegensatz zu den internationalen Bemühungen um eine Entspannung des jugoslawischen Konflikts. In der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. Dezember wurde ausdrücklich vor einer voreiligen Anerkennung der beiden abtrünnigen Republiken gewarnt.

Einmal in Fahrt gekommen, war der deutsche Balkan-Express nicht mehr aufzuhalten. Auch nicht von den USA, die mit äußerstem Unbehagen die deutschen Aktivitäten in Südosteuropa verfolgten – »Bonn läßt in der Jugoslawien-Frage die Muskeln spielen, und das ist uns gar nicht recht«, hieß es aus dem US-Außenministerium. Die Schelte aus Übersee war zu verschmerzen, zumal Deutschland auf dem EG-Außenministertreffen am 17. Dezember der Durchbruch gelang. Man kam überein, bis zum 15. Januar 1992 jene jugoslawischen Republiken diplomatisch anzuerkennen, die die dafür vorgesehenen Bedingungen erfüllen.

Der Grund für die Unterordnung der Europäischen Gemeinschaft unter das Bonner Großmachtdiktat lag in der deutschen Wirtschaftskraft. Die BRD hatte ihre Bereitschaft zur Beschleunigung der europäischen Integration, vor allem die Schaffung einer gemeinsamen Währung, von der Durchsetzung ihrer Linie in der Jugoslawienfrage abhängig gemacht.

Der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens folgte die gegen den Willen der serbischen Volksgruppe verabschiedete Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas, was einen grausamen Bürgerkrieg auslöste. So hat die deutsche Jugoslawien-Politik maßgeblich zur kriegerischen Eskalation des Konfliktes beigetragen. Als Brandstifter in weltmeisterlicher Form war die deutsche Diplomatie völlig überfordert, als die Befriedung des Konflikts anstand. Washington übernahm und verwies die deutschen »Partner in leadership« wieder in die zweite Reihe.

* Aus: junge Welt, 14. Januar 2012


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