Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lieber Bruder als Tochter

Mustafa Akinci gewinnt Präsidentschaftswahl in Nordzypern

Von Nick Brauns *

Der Sieg des Präsidentschaftskandidaten des Mitte-Links-Lagers Mustafa Akinci in der nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordzypern (KKTC) hat Hoffnungen auf Fortschritte auf dem Weg zur Wiedervereinigung der seit über 40 Jahren geteilten Mittelmeerinsel geweckt. Bei der Stichwahl am Sonntag triumphierte Akinci mit 60,5 Prozent der Stimmen über den bisherigen konservativen Amtsinhaber Dervis Eroglu. An der Wahl hatten sich lediglich 64 Prozent der rund 176.000 Stimmberechtigten beteiligt. Der 67jährige Akinci war von 1976 bis 1990 Bürgermeister des türkisch-zypriotischen Teils der geteilten Hauptstadt Nikosia (türk. Lefkosa) und hatte anschließend verschiedene Regierungsämter inne. Seit über einem Jahrzehnt war er nicht mehr in der aktiven Politik engagiert.

Anders als sein als Hardliner geltender Vorgänger auf dem Präsidentenstuhl ist Akinci, der Mitbegründer der für eine Wiedervereinigung der Insel eintretenden kleinen sozialdemokratischen Kommunaldemokratischen Partei TDP ist, kein blinder Gefolgsmann Ankaras. »Ich strebe ein eher brüderliches Verhältnis anstelle eines Mutter-Tochter-Verhältnisses« an«, hatte Akinci im Wahlkampf die Darstellung von der Türkei als »Mutterland« zurückgewiesen und für eine eigenständige türkisch-zypriotische Politik geworben. Ankara finanziert ein Drittel des Haushaltes sowie ein Großteil der Infrastruktur der unter einem EU-Embargo leidenden KKTC. Aufgrund dieser Abhängigkeit hatten insbesondere die Siedler vom Festland jahrzehntelang im Sinne der jeweiligen türkischen Regierungen abgestimmt. Doch zunehmend setzt ein Emanzipationsprozess ein, wie bereits der sozialdemokratische Wahlsieg bei den Parlamentswahlen 2013 zeigte. Mit ausgelöst wurde dieser Abnabelungsprozess durch einen straffen Sparkurs, den Ankara seit einigen Jahren der KKTC verordnet hat, wogegen es zuletzt im März zu Streikwellen der nordzypriotischen Gewerkschaften kam.

Auch griechische Zyprioten beteiligten sich an der Siegesfeier im Nordteil der Hauptstadt. Der Präsident der Republik Zypern, Nicos Anastasiades, nannte über Twitter den Wahlsieg Akincis »vielversprechend für die Entwicklung unseres gemeinsamen Vaterlandes«, da bei beiden Präsidenten der »Wunsch nach einer echten Wiedervereinigung« bestehe. Bereits für Mai werden neue Verhandlungen daüber erwartet. Die letzte Verhandlungsrunde war im Oktober 2014 abgebrochen worden, da die türkische Regierung ein Schiff zur Erkundung von Rohstoffvorkommen in ein völkerrechtlich von der Republik Zypern beanspruchtes Gewässer geschickt hatte.

Nach einem von der griechischen Militärdiktatur 1974 angezettelten Putsch in Nikosia und blutigen Auseinandersetzungen zwischen der griechisch-zypriotischen Mehrheit und der türkisch-zypriotischen Minderheit hatte die türkische Armee den Nordteil der Insel besetzt. Diese Teilung der aufgrund ihrer NATO-Stützpunkte geopolitisch wichtigen Insel war von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien und der US-Regierung provoziert worden, nachdem sich der zypriotische Präsident, Erzbischof Makarios III., der Sowjetunion angenähert hatte und nach Ansicht Washingtons »ein Kuba im Mittelmeer« drohte. Ironischerweise macht sich heute insbesondere US-Außenminister John Kerry für eine Wiedervereinigung stark. Der Grund sind riesige Gasfelder im Meer bei Zypern, die Europa energiepolitisch unabhängiger von Russland machen könnten. Der einfachste Weg ihrer Ausbeutung liefe über Pipelines in die Türkei, was aber eine Lösung der Zypern-Frage voraussetzt. Sorge bereitet den USA zudem, dass die Regierung der chronisch klammen Republik Zypern im Gegenzug für günstige Kredite der russischen Regierung im Februar Nutzungsrechte für ihre Flotten- und Luftwaffenstützpunkte eingeräumt hatte.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. April 2015


Zurück zur Zypern-Seite (auch Nordzypern)

Zur Zypern-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage