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Merkel siegt auf Zypern

Der Konservative Anastasiadis löst den Linken Christofias als Präsidenten ab

Von Knut Mellenthin *

Personalwechsel an der Staatsspitze Zyperns: Statt des Linken Dimitris Christofias wird künftig mit dem konservativen Nikos Anastasiadis ein Mann der EU-Vormächte als Präsident über die Insel im östlichen Mittelmeer herrschen. Der 66jährige lag am Sonntag im zweiten Wahlgang erwartungsgemäß mit 57,48 Prozent der Stimmen vor dem von der Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes (AKEL) aufgestellten Stawros Malas. Christofias, ebenfalls ein Mann der AKEL, hatte auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Die Partei wird aus alter Gewohnheit immer noch oft als »kommunistisch« bezeichnet, doch darf man das nicht wörtlich nehmen. Mehr als sozialdemokratisch ist die AKEL kaum noch.

In der Amtszeit von Christofias hatten sich die Beziehungen Zyperns zu Rußland verstärkt, mit dem die griechischen Zyprioten traditionell durch das gemeinsame religiöse Band der Orthodoxie verbunden sind. Neben den zwischenstaatlichen Aspekten ist die Insel auch ein beliebter Fluchthafen für den illegalen Kapitaltransfer aus Rußland und für windige russische Briefkastenfirmen. In Anastasiadis, der beste persönliche Kontakte zur deutschen Regierungschefin Angela Merkel und anderen wichtigen EU-Politikern unterhält, sieht man in den westlichen Hauptstädten einen Garanten dafür, daß der russische Einfluß auf der Insel nicht in unerwünschter Weise weiter zunimmt. Hier und da war sogar schon die Gefahr beschworen worden, daß Zypern der russischen Flotte einen Stützpunkt zur Verfügung stellen könnte.

Der neue Präsident hat angekündigt, daß er Zyperns Mitgliedschaft in der von der NATO geleiteten »Partnerschaft für den Frieden« (PfP) beantragen wird. Diesem lockeren Verbund gehören unter anderem sämtliche frühere Sowjetrepubliken einschließlich Rußlands an. Die PfP dient aber gleichzeitig der Heranführung neuer Mitglieder an die westliche Allianz. Das zyprische Parlament hatte schon im Februar 2011 beschlossen, sich um den Beitritt zur PfP zu bemühen, aber Präsident Christofias hatte damals Gebrauch von seinem Vetorecht gemacht. Zypern ist somit das einzige Mitglied der EU, das weder der NATO noch der PfP angehört. Ein Grund dafür liegt im Programmziel der AKEL, die Insel zu entmilitarisieren.

Mit Anastasiadis als Präsident wird es dem Westen voraussichtlich sehr viel leichter als bisher fallen, zur Vereinbarung eines »Hilfspakets« für Zyperns notleidende Wirtschaft zu kommen. Diese befindet sich im schlechtesten Zustand seit rund 40 Jahren; die Arbeitslosigkeit wird offiziell mit 15 Prozent angegeben. Der unmittelbare Finanzbedarf des Inselstaates wird auf 17 Milliarden Euro geschätzt. Das entspricht fast der zyprischen Wirtschaftsleistung eines Jahres. Seit acht Monaten verhandelt die Regierung in Nikosia mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds über das »Hilfspaket«. Christofias hatte sich jedoch schwergetan, die harten Forderungen der westlichen Kapitalisten nach umfangreichen Privatisierungen und einschneidenden »Sparmaßnahmen« auf Kosten der Bevölkerung zu akzeptieren. Statt dessen hatte er die Unterstützung Rußlands gesucht, das als Soforthilfe eine Anleihe von 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellte.

Dagegen hat der neue Präsident sofort verkündet, daß er zu »allen erforderlichen Maßnahmen«, das heißt zu allen vom Westen geforderten, bereit sei. Viel Spielraum hat er ohnehin nicht, denn laut Mainstreammedien droht Zypern anderenfalls schon im April »der Staatsbankrott«. Allerdings ist dieser keine unvermeidliche Naturkatastrophe, sondern eine politische Zwangsmaßnahme, über deren Anwendung in westlichen Hauptstädten und Börsenplätzen entschieden wird.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Februar 2013


Pragmatiker am Ruder des sinkenden Schiffs

Nikos Anastasiades wird neuer Präsident der Republik Zypern

Von Christiane Sternberg, Nikosia **


Eine breite Front hat Nikos Anastasiades bei der Stichwahl das Mandat verliehen, die Republik Zypern aus der Krise zu führen.

Die Wahllokale hatten am Sonntag gerade erst geschlossen, da machten die Anhänger von Nikos Anastasiades ihrer Vorfreude über den Sieg schon Luft. Kurz nach 18 Uhr waren Salutschüsse in einigen Dörfern zu hören, in den Städten kurvten hupende Autos durch die Straßen. Andere äußerten sich zurückhaltender: »Er ist das kleinere von zwei Übeln«, sagte eine Frau in die Fernsehkameras. Am Ende siegte Anastasiades mit 57,5 Prozent über den linken Präsidentschaftskandidaten Stavros Malas (42,5 Prozent).

Für die kommenden fünf Jahre nimmt der neue Präsident aus den Reihen der konservativen DISY das Schicksal aller Zyprer in die Hand. Der 66-jährige Anastasiades ist bekannt als ein Mann, der bereit ist, auch unpopuläre Meinungen zu vertreten. Beim Referendum zur Wiedervereinigung 2004 war er der einzige Parteichef, der die griechischen Zyprer dazu aufrief, mit Ja zu stimmen. Mit dieser Haltung schwamm er gegen den Strom von 76 Prozent der Bevölkerung, sie brachte ihm den Ruf eines »Verräters« ein. Sein politischer Tod schien damals besiegelt, aber neun Jahre später vertrauen die Zyprer auf seine Standfestigkeit.

Eines seiner vornehmlichen Anliegen sei es, strukturelle Veränderungen und Reformen in Staat und Wirtschaft vorzunehmen, sagt Anastasiades. Es heißt, er wolle den zyprischen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Christopher Pissarides, als Kopf eines neu zu schaffenden Rates für Wirtschaftspolitik ins Boot holen. »Wir werden Zyperns Glaubwürdigkeit wieder herstellen!«, rief er der jubelnden Menge in der Wahlnacht zu. Vorwürfe der Geldwäsche und des Steuerdumpings hatten das Land in jüngster Zeit in Misskredit gebracht und die Entscheidungen der EU-Gremien über einen Hilfskredit hinausgezögert. Ohne rund 17 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsfonds aber ist die Republik Zypern bald nicht mehr handlungsfähig.

Anastasiades machte deutlich, dass er Bedingungen für den Kredit akzeptiert: »Wir werden all unsere Verpflichtungen Europa gegenüber erfüllen.« Seine Einstellung war den Zyprern von Anfang an bekannt. Sie haben mit seiner Wahl auch einem strengen Sparprogramm zugestimmt. Der Wahlverlierer Malas, der von der kommunistischen AKEL als Nachfolger des bisherigen Präsidenten Dimitris Christofias aufgestellt wurde, hatte dagegen dafür geworben, die absehbaren Sparmaßnahmen zu entschärfen. Nach der Wahl sicherte er Anastasiades Unterstützung bei allen Maßnahmen zu, »die unserem Volk dienen«.

Nicht nur ein Berg ökonomischer Herausforderungen wartet auf Anastasiades, sondern auch die Fortführung der Bemühungen um ein geeintes Zypern. Während der letzten Monate lagen die Verhandlungen mit den Zyperntürken auf Eis. Im Wahlkampf geriet der seit fast 50 Jahren schwelende Konflikt in den Hintergrund. Dervish Eroglu, Präsident der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, äußerte sein Verständnis, dass Anastasiades zunächst brennende wirtschaftliche Aufgaben zu lösen habe. Doch ab April erwarte er die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Anastasiades' Äußerungen vor der Wahl, er unterstütze eine »lockere Föderation«, lässt Raum für neue Lösungsansätze. Kritiker dagegen fürchten, dass die EU Zyperns wirtschaftliche Schwäche ausnutzen könnte, um die Zyperngriechen zu Zugeständnissen bei einem neuen Vereinigungsplan zu zwingen.

Das Gesicht Zyperns wird sich verändern. Der Wirtschaftsboom ist vorbei, das Land sieht sich mit unbekannten sozialen Problemen wie steigender Arbeitslosigkeit und Armut konfrontiert. Der neue Präsident will neue Wege beschreiten. Fraglich, ob ihn immer Jubel begleiten wird.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. Februar 2013


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