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Nordzypern: Die Rückkehr der Rechten

Mit Eroglus Präsidentschaftswahlsieg haben die türkischen Nationalisten wieder das Sagen

Von Jan Keetman, Istanbul *

Nachdem der bisherige Premier Dervisch Eroglu die Präsidentenwahl in der »Türkischen Republik Nordzypern« am Sonntag mit 50,4 Prozent klar gewonnen hat, bricht für die Insel eigentlich keine neue Zeit an, sondern die alte ist zurückgekehrt. Der 1983 im türkisch besetzten Nordteil gegründete und nur von Ankara anerkannte Staat wurde fast immer von der nationalistischen Rechten geführt.

An der Spitze der »Türkischen Republik Nordzypern« stand bis 2005 der Nationalist Rauf Denktasch, nun ist ein solcher mit Dervisch Eroglu zurückgekehrt. Der Sozialdemokrat Mehmet Ali Talat, der bekannte, er habe geweint, als der eigene Staat ausgerufen wurde, war die Ausnahme.

Etwas Dramatisches ist zunächst nicht zu erwarten. Eroglu wird die von Talat und dem griechischen Präsidenten Dimitris Christofias begonnenen Gespräche über die Wiedervereinigung der Insel fortsetzen. »Derjenige, der den Tisch verlässt, werde ich nicht sein«, sagt Eroglu. Auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erwartet, dass die Gespräche »in der gleichen Weise« weitergehen.

Trotzdem klingt Eroglus Erklärung mehr danach, als ginge es lediglich darum, vor den Augen der Welt nicht die Schuld an einem Abbruch der Verhandlungen zu haben. Kein Wort vom Ziel einer Einigung.

Im Denken des 72-jährigen Politikers hat die Kooperation mit den Griechen auf der Insel keinen Platz. Seine Partei heißt Partei der Nationalen Einheit (UBP), und dies bezieht sich nicht auf Zypern, sondern auf die Türkei oder das »Mutterland«. Übrigens hapert es nicht nur an der Kooperation mit den Griechen bei der Lösung des Zypernkonflikts, sondern auch an der Kooperation mit der Regierung in Ankara. Nicht zufällig betonte Erdogan, auf das Wahlergebnis angesprochen, dass Eroglu ihn noch nie aufgesucht habe.

Die Rechte auf Zypern hat vor allem Beziehungen zu ultranationalistischen Kreisen in der Türkei, denen Erdogans gemäßigt islamische AKP nicht geheuer ist und von denen nicht wenige wegen angeblicher Verschwörungen vor Gericht stehen. Involviert ist zwar vor allem der ehemalige türkische Bevölkerungsgruppenführer Rauf Denktasch, nicht Eroglu, doch Denktaschs Sohn Serdar war mit seiner Wahlkampfunterstützung für Eroglu dessen Steigbügelhalter.

Ob daraus ernste Schwierigkeiten entstehen werden, ist indes fraglich. Das Projekt EU-Mitgliedschaft rückt immer mehr aus dem Blickwinkel Ankaras, woran die Europäer mit ihrer schwankenden Haltung nicht ganz schuldlos sind. Entsprechend kann Erdogan derzeit mit einem für die Beruhigung des Publikums ziellos vor sich hin plätschernden Zypern-Dialog ganz gut leben. Die sinkende Europabegeisterung der Türken auf dem Festland mag denn auch einer der tieferen Gründe für Eroglus Erfolg gewesen sein.

* Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010


Verlierer im Süden

Von Uwe Sattler **

Die Warnungen kamen sogar aus dem »Mutterland«. Mehr oder minder offen hatte Ankara im Wahlkampf um die Präsidentschaft in der allein von ihr anerkannten »Türkischen Republik Nordzypern« den bisherigen Amtsinhaber Mehmet Ali Talat unterstützt. Schließlich hatte jener gemeinsam mit seinem südzypriotischen Konterpart Dimitris Christofias vorsichtige Schritte der Annäherung auf der geteilten Insel unternommen. Dass nun Dervis Eroglu das Rennen machte, bringt die türkische Regierung in die Bredouille: Der Hardliner hatte die Verhandlungen mehrfach abgelehnt. Und die nach seinem Wahlsieg ausgegebene Vision einer »Partnerschaft zweier souveräner Staaten« bedeutet nichts anderes als die Absage an eine Wiedervereinigung.

Die Beunruhigung in Ankara ist berechtigt. Schließlich ist die Zypern-Frage neben der Menschenrechtsproblematik das größte Hindernis für den von der Türkei seit über 50 Jahren angestrebten Beitritt zur EU. Ohne Lösung des Konflikts auf der Insel keine Aufnahme, lautete die klare Ansage in den 2005 begonnenen Verhandlungen. Die Aussöhnungspolitik Talats, der im selben Jahr sein Amt antrat, diente Ankara stets als Beleg der Kompromissbereitschaft - auch wenn man selbst wenig dazu beitrug.

Ebenso dürfte Zyperns Präsident Christofias um die Konsequenzen fürchten. Die Sympathie, die der von der linken AKEL gestellte Staatschef bei der Mehrheit der Süd-Zyprer genießt, basiert zu einem großen Teil auf dessen Kurs gegenüber dem Nordteil der Insel und Ankara. Sollten die Gespräche nun in die Sackgasse führen, könnte Christofias zum eigentlichen Verlierer des Machtwechsels im Norden werden.

** Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010


Hardliner vorn

Im türkisch besetzten Nordzypern setzt sich der Vertreter der rechten UBP durch. Rückschlag für Bemühungen um Wiedervereinigung

Von Karin Leukefeld ***

Durch die Wahl des Hardliners Dervis Eroglu zum neuen Führer des türkisch besetzten Nordens der Mittelmeerinsel Zypern dürfte eine Wiedervereinigung des Landes in weite Ferne gerückt sein. Eroglu ist Vorsitzender der rechtsgerichteten Nationalen Einheitspartei (UBP) Nordzyperns und plädiert für eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Mittelmeerinsel. Mit 50,38 Prozent und nur wenigen Hundert Stimmen Mehrheit entkam Eroglu einer Stichwahl mit der bisherigen Nummer Eins Nordzyperns, Mehmet Ali Talat, der Eroglu mit 42,9 Prozent klar unterlag. Bei einer Stichwahl hätte Talat, der Mitglied der Türkisch-Republikanischen Partei in Nordzypern ist, möglicherweise noch eine Chance gehabt.

Annäherung in Gefahr

Schon bei den Wahlen 2005 waren Dervis Eroglu und Mehmet Ali Talat gegeneinander angetreten. Damals war Eroglu mit 22,7 Prozent der Stimmen unterlegen, während Talat mit 55,6 Prozent die politische Führung übernahm. Danach hatte er sich mit Dimitris Christofias, dem Präsidenten der Republik Zypern, auf eine neue Verhandlungsrunde für die Wiedervereinigung der Insel geeinigt, die seit 2008 unter der Aufsicht der Vereinten Nationen beide Seiten erheblich aneinander angenähert hatte. Zusätzliche Kontrollpunkte zwischen dem besetzten Norden und dem Süden des Landes wurden geöffnet, wovon vor allem viele Arbeitssuchende aus Nordzypern profitieren.

Die Wahlen am Sonntag zeigen, daß sich der Wind in Nordzypern gedreht hat. Mit Eroglu hat sich ein eindeutiger Vertreter der türkischen Besatzungsmacht durchgesetzt. Die geringen Fortschritte bei den Verhandlungen, die von den Zyprioten im Norden und denen im Süden sehr unterschiedlich gesehen werden, dürften erheblich zu Talats Niederlage beigetragen haben. Weiterhin unterschiedlich sind die Sichtweisen über die Sicherheit des Landes und die Eigentumsverhältnisse. Während die Regierung der Republik Zypern eine föderale Lösung mit zwei Föderalstaaten, aber einer nationalen Regierung anstrebt, will die Führung des besetzten Nordens, in Absprache und auf Anweisung der türkischen Regierung, zentrale Regierungshoheiten nicht aufgeben. Gleichwohl kündigte Eroglu noch in der Wahlnacht an, er werde die Friedensgespräche mit der Republik Zypern fortsetzen. Sein »Traum von einer Lösung auf Zypern« bestehe weiter, sagte er und fügte hinzu: »Unser Volk wird in diesem Land ehrenvoll leben.« Dabei werde er im »engen Kontakt mit dem Vaterland bleiben«, sagte Eroglu weiter und meinte damit die Türkei.

Der Norden Zyperns wurde 1974 von türkischen Truppen besetzt, um einen Putsch griechischer Generäle im Süden der Insel niederzuschlagen, die für einen Anschluß Zyperns an Griechenland kämpften. Der Putsch war nur von kurzer Dauer, während die Besatzung der Türkei bis heute anhält. 40000 türkische Soldaten sind im Norden stationiert, griechische Ortsnamen wurden türkisiert, neue Moscheen wurden mit Geld aus Saudi-Arabien gebaut. 1983 erklärte sich Nordzypern einseitig zur »Türkischen Republik Nordzypern«, die allerdings nur von der Türkei anerkannt wird.

Streit um Eigentum

Den knapp 100000 türkischen Zyprioten stehen heute mehr als doppelt so viele aus der Türkei eingewanderte Siedler gegenüber. Viele wohnen in Häusern und auf Land, das einst Zyprioten gehörte, die von den Türken vertrieben wurden oder flohen und weiterhin Anspruch auf ihr Eigentum geltend machen. 2004 war ein von den Vereinten Nationen ausgearbeitetes Referendum über die Wiedervereinigung der Insel gescheitert, weil die Bevölkerung der Republik sich mehrheitlich dagegen entschied. Grund war damals vor allem die ungeklärte Eigentumsfrage.

Während ein Regierungssprecher der Republik Zypern das Wahlergebnis als »negative Entwicklung« bezeichnete, betonte Präsident Christofias, er werde bei den Verhandlungen weiter Druck machen. Der türkische Präsident Tayyip Erdogan hingegen reagierte erfreut und erklärte im Fernsehen, die Türkei wolle die Zypern-Frage bis Ende 2010 klären. Für die Verhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union um eine Vollmitgliedschaft ist die Lösung der Zypern-Frage entscheidend. Die jüngste Absage von Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Türkei, vollwertiges EU-Mitglied zu werden, dürfte jedoch nicht dazu beigetragen haben, die eiserne Faust Ankaras in Nordzypern zu lockern.

*** Aus: junge Welt, 20. April 2010


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