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Schritt zum Frieden

Verfeindete Rebellengruppen in Zentralafrikanischer Republik vereinbaren Waffenstillstand

Von Simon Loidl *

Vertreter der verfeindeten Milizen in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) haben am Mittwoch in der Hauptstadt der benachbarten Republik Kongo, Brazzaville, ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Wie mehrere Nachrichtenagenturen am Donnerstag berichteten, kam die Einigung zwischen den mehrheitlich islamischen Séléka- und den prochristlichen Anti-Balaka-Milizen nach drei Verhandlungstagen zustande. Séléka nahm im Verlauf der Unterredungen die Forderung nach einer Spaltung des Landes in einen muslimischen und einen christlichen Teil zurück. Eine Entwaffnung der Milizen ist nicht vorgesehen, weshalb Beobachter bereits unmittelbar nach der Unterzeichnung des Abkommens daran zweifelten, ob der Waffenstillstand lange anhalten werde. Die jeweiligen Leiter der Delegationen von Séléka und Anti-Balaka bekräftigten indessen gegenüber Medienvertretern ihren Willen, die bewaffneten Auseinandersetzungen zu beenden. Der Verhandlungsleiter der prochristlichen Miliz, Patrick Edouard Ngaissona, kündigte laut BBC an, daß jeder, der den Waffenstillstand bricht, umgehend festgenommen werden würde. Der kongolesische Präsident Denis Sassou-Nguesso sagte nach der Unterzeichnung, daß auch »die längste Reise mit dem ersten Schritt beginnt«. Brazzaville sei dieser »erste Schritt« auf dem Weg zur Lösung des Konflikts.

Die aktuellen Auseinandersetzungen haben eine lange Geschichte. In der ehemaligen französischen Kolonie ZAR gab es während der vergangenen Jahrzehnte immer wieder Staatsstreiche und Aufstände. In der Regel mischte die frühere Kolonialmacht mit, die mehrere Präsidenten der ZAR einsetzte. Im März 2013 stürzte die Rebellenallianz Séléka den Präsident François Bozizé. Séléka-Anführer Michel Djotodia erklärte sich zum neuen Staatsoberhaupt. Die Séléka vereinigt islamistische Kämpfer und Veteranen früherer Auseinandersetzungen – auch Bozizé war 2003 durch einen Putsch an die Macht gekommen. Beobachtern vor Ort zufolge ging die von Djotodia offiziell aufgelöste Séléka während der nachfolgenden Monate vor allem gegen den christlichen Teil der Bevölkerung vor. Daraufhin formierten sich die überwiegend christlichen Anti-Balaka-Milizen. Im Dezember verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution, die einen französischen Militäreinsatz zur Unterstützung von Einheiten der Afrikanischen Union legitimierte. Im Januar dieses Jahres gab Djotodia nicht zuletzt unter dem Druck des benachbarten Tschad und Frankreichs sein Amt auf. Seither regiert ein Übergangskabinett die Zentralafrikanische Republik.

Kritiker des Militäreinsatzes wiesen darauf hin, daß die ausländischen Soldaten weitere Gewalt zwischen den verfeindeten Gruppen nicht verhindern konnten. Französische Politiker wiederum betonten nach entsprechenden Vorwürfen, daß der Militäreinsatz ausschließlich »humanitären« Maßgaben folge. Allerdings versuchte Paris nach der Entkolonisierung in den 1960er Jahren in der gesamten Region, seinen politischen und militärischen Einfluß aufrechtzuerhalten. In Tschad, Côte d’Ivoire und anderen »frankophonen« Ländern sind dauerhaft französische Soldaten präsent, französische Konzerne beanspruchen exklusive Zugriffsrechte auf Rohstoffe in der Region. In der ZAR etwa gibt es große Vorkommen von Uran, Diamanten, Gold und anderen Mineralien. Der französische Energiekonzern Areva betreibt eine Uranmine.

Eines der Ergebnisse der Einmischung Frankreichs und der vielen Putsche ist, daß sich in der ZAR nach der Entkolonisierung kaum funktionierende staatliche Strukturen bilden konnten. Bei den daraus resultierenden Konflikten spielten auch ethnische und religiöse Zugehörigkeiten immer eine Rolle. Die in vielen Medien zu hörende Bezeichnung der Auseinandersetzungen zwischen Séléka- und Anti-Balaka-Milizen als »religiöser Konflikt« greift allerdings zu kurz. Eine derartige Beschreibung verschleiert die unmittelbaren ökonomischen und machtpolitischen Motive der Beteiligten ebenso wie strategische Interessen, die den Hintergrund der Konfliktsituation bilden.

* Aus: junge Welt, Freitag 25. Juli 2014


Lange Reise zum Frieden

Martin Ling über die Waffenruhe in der Zentralafrikanischen Republik **

Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt ... Viel mehr Optimismus als diese Worte des Vermittlers Denis Sassou-Nguesso kann der vereinbarten Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) schwerlich abgerungen werden. Nach mehr als einem Jahr blutiger Auseinandersetzungen zwischen den »christlichen« Anti-Balaka-Milizen und den »muslimischen« Séléka haben sich die Verhandlungsführer in der benachbarten Republik Kongo auf ein Ende der Auseinandersetzungen geeinigt, doch wer sich in der ZAR daran gebunden fühlt, ist offen. Die Tinte in Brazzaville war noch nicht trocken, als aus der ZAR bereits wieder Kämpfe gemeldet wurden.

Dem ersten Schritt werden viele ernsthafte folgen müssen, um das faktisch bereits in einen von der Séléka beherrschten Norden und von der Anti-Balaka beherrschten Süden geteilte Land zusammenzuhalten und eine Aussöhnung zwischen Christen und Muslimen einzuleiten. Das Verhältnis zwischen den jahrzehntelang friedlich miteinander lebenden Glaubensgemeinschaften ist durch Massaker auf beiden Seiten zutiefst zerrüttet. Von einer Entwaffnung der Milizen ist beim jetzigen Abkommen noch nicht die Rede. Wird sie nicht schnell in Angriff genommen, wird die lange Reise nicht lange dauern. Ein Versuch ist die Waffenruhe jedoch allemal wert.

** Aus: neues deutschland, Freitag 25. Juli 2014 (Kommentar)


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