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Hollande weicht den Problemen aus

Frankreichs Präsident beschönigt die Militärintervention in der Zentralafrikanischen Republik

Von Ralf Klingsieck, Paris *

An den Militärinterventionen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) kam Präsident François Hollande bei seiner Neujahrsansprache nicht vorbei. In der ZAR läuft es alles andere als rund.

Frankreich hat im vergangenen Jahr in Mali und Zentralafrika militärisch eingegriffen, weil dies »unsere Pflicht und eine Frage der Ehre« ist, erklärte Präsident François Hollande am Dienstagabend in seiner Neujahrsansprache. In Mali gehe es vor allem um die Abwehr des islamistischen Terrorismus, in Zentralafrika gelte es, den inneren Frieden wiederherstellen zu helfen und »zu verhindern, dass weiterhin Kinder in Stücke gehauen werden«. Welche konkreten Konsequenzen das für die französischen Truppen hat, deutete er nur mit einem Hinweis an: 2013 hätten neun französische Soldaten bei diesen Interventionen ihr Leben verloren.

Was Hollande nicht aussprach, worüber aber die Medien Tag für Tag berichten: Die französischen Truppen in der Zentralafrikanischen Republik können nicht verhindern, dass die Lage außer Kontrolle geraten ist. Täglich gibt es Ausschreitungen der Milizen der muslimischen Bevölkerungsminderheit. Einst stand den Rebellen der jetzige Übergangspräsident Michel Djotodia vor, der sich mit deren Hilfe im März 2013 an die Macht geputscht hat. Inzwischen hat er aber keinen durchdringenden Einfluss mehr auf die mordenden und brandschatzenden Teile der Seleka-Rebellen. Die überfallen Siedlungen der christlichen Mehrheit und morden vor allem Frauen, Kinder und Greise. Umgekehrt rächen sich »Selbstverteidigungskräfte« der Christen durch Mordzüge gegen muslimische Dörfer und die hilflosen Bewohner.

Die französischen Truppen vor Ort sind 1600 Mann stark, aber in einem Land, das so groß ist wie Frankreich und Belgien zusammen, und wo es weder eine funktionierende Polizei, Armee oder Administration gibt, sind ihre Möglichkeiten begrenzt. »Wir demonstrieren vor allem militärische Macht und versuchen so, die verfeindeten Seiten zu trennen und die Lage zu beruhigen. Aber wir können nicht überall gleichzeitig sein«, räumt Oberst Vicent Tassel ein. »Kaum haben wir einem Stadtviertel den Rücken gekehrt, fangen die blutigen Auseinandersetzungen wieder an. So müssen wir oft mehrmals am Tag in dieselben Viertel zurückkehren, um einen länger anhaltenden Effekt zu erzielen.« Doch außerhalb der Hauptstadt Bangui und abseits der großen Straßen zu den Nachbarländern Tschad und Kamerun fehlt es völlig an französischer Militärpräsenz. Hier gibt es regelrechte Feldzüge mit unbeschreiblichen Ausschreitungen. Wo die französischen Truppen wie angekündigt die Milizen entwaffnet haben, war die Folge nur, dass jetzt mit Dolchen und Macheten getötet wird. Jeden Tag gibt es Meldungen zu Überfällen mit Dutzenden oder Hunderten Toten und täglich werden neue Massengräber entdeckt. Die Kirchen oder die Moscheen, in die sich die traumatisierte Bevölkerung zunächst geflüchtet hat, sind kein Schutz. Nur zu oft wurden sie angegriffen und in Brand gesteckt. Viele Einwohner von Bangui suchen jetzt Schutz in der Nähe der französischen Truppen. Auf dem Flugplatz, wo sie ihr Hauptquartier haben, haben Tausende Familien ihre Zelte aufgeschlagen. Die bisher erst 4000 Soldaten der im Aufbau befindlichen Afrikanischen Eingreiftruppe sind kaum eine Hilfe und Entlastung für die Franzosen. So sind die 850 Soldaten aus dem Tschad eher ein zusätzliches Problem. Da von dort zahlreiche der Söldner des muslimischen Putschistenpräsidenten kamen, sind sie bei der christlichen Bevölkerung verhasst. Wo sie auftauchen, werden sie mit Steinen beworfen. Mehrfach haben sich Soldaten aus Tschad mit Schüssen oder Handgranaten in die feindselige Menge gerächt, was inzwischen schon mehr als hundert Todesopfer forderte.

Wenn Präsident Hollande ursprünglich ankündigte, dass das Eingreifen in Zentralafrika – immerhin schon die elfte Intervention in 45 Jahren in der ehemaligen Kolonie – »auf wenige Monate begrenzt« sein würde, so hat er sich gründlich getäuscht. Vorläufig ist die Lage völlig verfahren und eine Lösung ist nicht absehbar.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Januar 2014


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