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Keine Unabhängigkeit für Westsahara

Das Land bleibt von Marokko besetzt - Polisario fühlt sich von UNO im Stich gelassen

Marokko hält Kurs

Rabat will rohstoffreiche Region kontrollieren

Von Alfred Hackensberger, Tanger

Das Königreich Marokko hält seit 1975 die ehemalige spanische Kolonie Westsahara besetzt. Mehr als Autonomie wird Rabat kaum zugestehen.

Über 30 Jahre dauert der Konflikt um die Westsahara zwischen Marokko und der von Algerien unterstützten Befreiungsbewegung »Polisario«. Unzählige Friedensinitiativen hatten im Lauf der Jahre vergeblich versucht, den Streit um das südlich von Marokko gelegene Gebiet zu schlichten. Das Königreich hatte die an Bodenschätze reiche Westsahara 1975 annektiert, nachdem die spanischen Kolonialtruppen abgezogen waren.

In seinem neuen Bericht plädiert UN-Generalsekretär Kofi Annan nun für direkte Verhandlungen zwischen beiden Parteien, um »eine faire und beiderseitige, tragende Lösung zu finden«. Gleichzeitig wurde das Mandat der UN-Friedenstruppen um weitere sechs Monate verlängert. Der »Baker-Plan«, der ein Referendum in den umstrittenen Gebieten über die Staatszugehörigkeit vorsieht, ist damit ad acta gelegt. Vorausgesetzt allerdings, der UN-Sicherheitsrat folgt dem Vorschlag Kofi Annans, was aber als wahrscheinlich gilt.

»Wir müssen zusammenarbeiten, damit in Rabat und Algerien dieselbe Botschaft ankommt«, sagte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos. Die sozialistische Regierung in Madrid ist einer der stärksten Fürsprecher Marokkos. Noch unter der Vorgängerregierung des konservativen Premierministers José Maria Aznar befand man sich mit Marokko stetig auf Konfrontationskurs, der 2002 mit der spanischen Besetzung der Petersilien-Insel vor der marokkanischen Küste seinen Höhepunkt erreichte.

Der marokkanische König Mohammed VI. hat nun eine »erweiterte Autonomie« der Westsahara angeboten, allerdings nach wie vor unter der Souveränität seines Landes. Als Zeichen seiner Verhandlungsbereitschaft wurden vor wenigen Tagen erneut 48 westsahrauische Gefangene begnadigt, die wegen gewalttätiger Proteste teilweise zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Bereits vor einem Monat hatte der König nach einem sechstägigen Besuch in der Westsahara 216 Gefangene begnadigt. Gleichzeitig arrangierte die Regierung mit dem Internationalen Roten Kreuz Familienbesuche in den Flüchtlingslagern auf beiden Seiten der normalerweise geschlossenen algerisch-marokkanischen Grenze.

Eine »erweiterte Autonomie« gilt als das absolute Maximum, zu dem Marokko bereit ist. Die Verantwortlichen verweisen auf einen UNO-Bericht, der die indigenen Bewohner als mehrere Stämme auflistet, die sich in den Staatsgebieten von Marokko, Algerien, Mauretanien und in Mali aufhalten. Man könne nicht die Grenzen von mehreren Staaten verschieben, so der Vorsitzende des königlichen Rates für Sahara-Angelegenheiten, Khalil Henna Oud Errachid, um einen Saharastaat zu gründen oder auch nur um ein Referendum durchzuführen.

Die in der Westsahara reichhaltig vermuteten Energiereserven sind der Schlüssel des ganzen Konfliktes. Die Aussicht auf eine profitable Ausbeutung der Bodenschätze lässt sich Marokko Jahr für Jahr Millionen an Subventionen für erhöhte Beamtengehälter, Lebensmittel, Wasser- und Stromversorgung in dieser Region kosten. Diese kostspieligen Investitionen müssen irgendwann einmal Rendite abwerfen. Neben Erdöl im Atlantik gibt es in der Westsahara auch eines der größten Phospatvorkommen der Erde. Das alles wird sich Marokko nach all den Jahren nicht entgehen lassen wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. April 2006


Waffenstillstand ist kein Selbstzweck

UNO gibt sich desillusioniert: Annan legt Sicherheitsrat Westsahara-Bericht vor / Polisario warnt vor Gefahr der Eskalation

Kahlil Sid M`hamed ist Minister in der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS). Die DARS wurde 1976 von der Polisario ausgerufen. Die DARS hat eine Exilregierung mit Sitz in Algerien. Sie beansprucht das Gebiet der Westsahara, welches seit 1975 fast ausschließlich von Marokko verwaltet wird. Über den Westsahara-Bericht, den Annan am Montag [24. April 2006] dem Weltsicherheitsrat vorstellte, sprach mit dem Minister für die besetzten Gebiete Martin Ling.

Neues Deutschland: Kofi Annans Bericht sieht einen Rückzug der UNO aus dem Westsahara-Konflikt vor und plädiert für bilaterale Verhandlungen. Ist das ein Eingeständnis des Scheiterns der UNO?

Kahlil Sid M`hamed: Lassen Sie es mich bildlich darstellen. Kofi Annan hat die Krankheit richtig beschrieben, aber die falschen Medikamente verordnet. Annan hat in seinem Bericht klar und deutlich die Verantwortung Marokkos für das Scheitern der Friedenspläne für die Westsahara benannt. Er hat auch deutlich gesagt, dass ein Mitglied des Sicherheitsrates verhindert hat, dass der Sicherheitsrat Druck auf Marokko ausübt. Annan hat das Land nicht namentlich genannt, ich verrate aber sicher kein Geheimnis, wenn ich es nenne: Frankreich. Annan hat auch die Lage der Menschenrechte in den besetzen Gebieten kritisiert, wo den täglichen Demonstrationen der Sahrauis mit staatlicher Repression seitens marokkoanischer Behörden begegnet wird, während die UNO tatenlos bleibt. Diese Zustandsbeschreibung ist korrekt.
Nur sein Lösungsvorschlag ist untauglich: Die sahrauische Befreiungsbewegung Polisario soll mit Marokko bilateral verhandeln, wobei Annan selbst in seinem Bericht festgestellt hat, dass Marokko sämtliche Verhandlungen bisher torpediert hat. Unsere Hoffnung war, dass der UNO-Sicherheitsrat endlich Druck auf Marokko ausübt, dass die UNO-Friedenspläne für die Westsahara endlich umgesetzt werden. Zur Erinnerung: Die Volksabstimmung war ursprünglich für 1992 angesetzt. Daraus ist bis heute nichts geworden und mit dem Plädoyer für bilaterale Verhandlungen ist auch der letzte UNO-Friedensplan, der Baker-Plan, quasi ad acta gelegt.

Kommen für die Polisario bilaterale Verhandlungen überhaupt in Frage?

Wir waren nie gegen direkte Verhandlungen mit Marokko. Wir haben auch schon mit Marokko verhandelt und sogar Vereinbarungen getroffen, doch Marokko hat sich leider nie daran gehalten und lehnt sie inzwischen offen ab.

Verhandlungen bleiben also denkbar?

Im Prinzip schon. Das Problem bei Annans Vorschlag ist die fehlende Verhandlungsgrundlage. Annan hat nicht die UNO-Resolutionen und Friedenspläne als Ausgangspunkt genannt, sondern einfach nur Verhandlungen. Wir hoffen, dass der Sicherheitsrat das korrigiert: verhandeln ja, aber um die Umsetzung des Friedensplans zu erleichtern.

Der Sicherheitsrat hat doch bisher nichts für die Sahrauis bewegt, warum sollte er das bei der Sitzung am Freitag [28.04.2006] tun?

Das ist in der Tat ein Problem. Den Baker-Plan, der eine fünfjährige Phase der Autonomie für die Westsahara vorsieht, dazu eine Rückführung der Flüchtlinge und abschließend eine Volksabstimmung, hat die UNO scheinbar aufgegeben. Doch der Sicherheitsrat macht sich unglaubwürdig, wenn er wegen Frankreich seine eigenen Beschlüsse nicht umsetzt. Wir verstehen nebenbei gesagt auch nicht, warum Frankreich eine Politik betreibt, die die gesamte Region destabilisert. Das kann nicht im Interesse Frankreichs und der EU sein und das ist gefährlich.

Es herrscht offensichtlich Stillstand bei der Lösung des Westsahara-Konflikts. Welche Optionen hat die Polisario denn und reichen sie bis zur Rückkehr zum bewaffneten Kampf?

Fakt ist, dass die Menschen in den besetzten Gebieten der Westsahara täglich auf die Straße gehen, weil ihnen die Hoffnung auf den Friedensprozess genommen wurde. Sie sind hoffnunglos und demonstrieren noch friedlich. Wie lange das so bleibt, ist offen.
Die Polisario hat immer an die Friedensbemühungen der internationalen Gemeinschaft geglaubt. Wir haben auch trotz aller Schwierigkeiten. immer darauf gehofft, dass die UNO ihr Versprechen, der Bevölkerung der Westsahara eine Volksabstimmung zu ermöglichen, hält – eine friedliche und demokratische Abstimmung über die Zukunft, ob Autonomie oder Unabhängigkeit.
Wenn die UNO dazu nicht mehr in der Lage ist, müssen wir es selbst versuchen. Wir wollten nie Krieg, wir können aber auch keine Rückkehr zum bewaffneten Widerstand ausschließen, denn der Waffenstillstand diente ebensowenig wie die UNO-Mission in der Westsahara einem Selbstzweck, sondern beide hatten eine klare Zielsetzung: eine Volksabstimmung. Es ist schade, dass die internationale Gemeinschaft offenbar wieder wartet, bis es brennt, um dann die Feuerwehr zu spielen. Deswegen reisen wir gerade durch Europa, um eine Eskalation noch zu verhindern.

Ist die von Marokko ins Spiel gebrachte erweiterte Autonomie eine Option für die Polisario?

Zur Klarstellung: Die Westsahara-Frage ist ein von der UNO anerkanntes Problem der Entkolonialisierung, keine interne Angelegenheit Marokkos. Marokko kann in Marokko entscheiden, aber nicht über die Westsahara.
Die Option heißt Volksabstimmung mit offenem Ergebnis. Für ein Referendum haben wir gekämpft, dafür kämpfen wir und dafür werden wir auch mit allen Mitteln weiter kämpfen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. April 2006


Resolution 1675 (2006)
Am 28. April 2006 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine neue Resolution (1675), die auch wieder alles in der Schwebe lässt. Damit aber überhaupt etwas mit ihr ausgesagt wird, wird in der Resolution ein Plädoyer für die "Null-Toleranz-Politik der Vereinten Nationen gegenüber sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch im Rahmen der MINURSO" gehalten. Das ist zwar richtig und geschieht nicht ohne Grund, hat aber mit der Sache des sahrauischen Volks nichts zu tun. Hier geht es zur Resolution 1675 (2006) vom 28. April 2006.




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