Sahrauis bestehen auf dem Referendum
Frankreich gab Marokko grünes Licht für weitere Repression in Westsahara - Interview mit AliSalem Tamek *
Seit Mai 2005 haben sich die Proteste gegen die marokkanische Besetzung in der Westsahara
erheblich verstärkt. Welche Formen nimmt der zivile Widerstand an?
Die Lage ist sehr schlecht. Seit dem 21. Mai 2005 gibt es täglich friedliche Demonstrationen auf den
Straßen in der Westsahara. Die Menschen versuchen friedlich, die Einhaltung der Menschenrechte
und das Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes zu erstreiten. Gewalt gehört nicht zu
unserem Repertoire. Die marokkanischen Siedler haben von uns noch keinen Stein abgekriegt.
Unser Ziel ist, auf einem gewaltfreien Weg eine freie, demokratische Gesellschaft zu erreichen.
Wie reagiert Marokko darauf?
Die marokkanischen Besatzungstruppen gehen sehr hart gegen die Demonstranten vor. Es gab
einige Tote, mehrere Verletzte, hunderte Gefangene und einige sind spurlos verschwunden. Das
passiert jenseits der Augen der Weltöffentlichkeit. Marokko verhindert sowohl Besuche
ausländischer Journalisten als auch solche ausländischer Delegationen. Zuletzt wurde im Oktober
eine Delegation von Abgeordneten des EU-Parlaments zurückgewiesen.
Wie verhält sich die UNO?
Mitte Mai 2006 war eine Delegation des UNO-Hochkommissariats der Menschenrechte in der
Region. Sie veröffentlichte im September 2006 einen Bericht, der klar und deutlich
Menschenrechtsverletzungen feststellt. Seine zentrale Schlussfolgerung lautet: Die
Menschenrechtsverletzungen sind eine Folge des den Sahrauis vorenthaltenen Rechts auf
Selbstbestimmung. Die Kommission hat einige Forderungen zur Verbesserung der Lage formuliert.
Wir warten aber bis heute darauf, dass sie erfüllt werden. Das zeigt den Menschen in der
Westsahara wieder einmal, dass die UNO hier keine Macht hat, Marokko zu zwingen, Menschen
und Völkerrecht zu respektieren. Unsere Enttäuschung wächst. Noch im April 2006 wurde eine
Erweiterung des Mandats der UNO-Truppen in der Westsahara diskutiert: Sie sollten nicht nur den
Waffenstillstand, sondern auch die Einhaltung der Menschenrechte überwachen. Daraus ist leider
nichts geworden, weil Frankreich das Vorhaben blockiert hat. Die französische Haltung, aber auch
der Kurswechsel Spaniens unter José Luis Rodríguez Zapatero hat den marokkanischen
Besatzungstruppen quasi grünes Licht gegeben, die Repression zu verstärken.
Amnesty international hat die Menschenrechtsverletzungen öffentlich kritisiert. Der königstreue
Sahraui Khali Henna Ould Errachid, der Präsident des königlichen Rates, hat die Vorwürfe jedoch
als »Blödsinn« bezeichnet. Sein Argument: Viele sahrauische Regimekritiker seien freigelassen
worden und könnten frei durch Europa reisen und für ihre Position Propaganda machen – wie Sie.
Jeder weiß, dass die Berichte von Amnesty International alles andere als Blödsinn sind. Human
Rights Watch und selbst einige marokkanische Menschenrechtsorganisationen haben die Vorwürfe
ebenfalls bestätigt. Die von Errachid behauptete Verbesserung der Menschenrechtssituation ist
seine exklusive Meinung. Jeder weiß, dass hunderte Sahrauis nach wie vor im Gefängnis sitzen und
es dort auch zu Folter kommt. Ich selbst saß immer wieder im Gefängnis und wurde gefoltert. Die
spanische Presse, darunter »El Mundo« und »El País«, haben darüber berichtet. Ich kann zwar hier
frei über die Situation in der Westsahara berichten, allerdings ist fraglich, ob ich wieder einreisen
darf. Ich werde es versuchen. Nach meiner letzten Rundreise im vergangenen Jahr in Frankreich,
Belgien und der Schweiz wurde ich bei der Rückkehr am Flughafen verhaftet.
Ein neuer Vorschlag aus Rabat zielt auf eine Autonomie der Region ähnlich der des Baskenlandes
oder Kataloniens in Spanien. Ist das diskutabel für die Sahrauis?
Diese Idee ist nicht neu. Sie wurde schon 1975 von der sahrauischen Befreiungsbewegung
Polisario, die die Sahrauis in ihre Mehrheit vertritt, zurückgewiesen. Daran hat sich bis heute weder
bei der Polisario noch bei der Bevölkerung in den Flüchtlingslagern oder den besetzten Gebieten
etwas geändert. Eine solche Autonomielösung käme nur in einem demokratischen Land wie
Spanien oder Deutschland in Frage, nicht aber in einem undemokratischen wie Marokko.
Marokko verhindert die Verwirklichung des von ihm selbst unterzeichneten UNO-Friedensplanes für
die Westsahara, der schon für 1992 ein Referendum über die Unabhängigkeit vorsah. Der einzige
Kompromiss, den ich sehe, ist in dem Plan von James Baker (dem ehemaligen USA-Außenminister)
enthalten. Der sah eine vier- bis fünfjährige Autonomie und dann die Volksabstimmung vor. Daran
sollen auch die marokkanischen Siedler teilnehmen dürfen, die schon mehr als 50 Prozent der
Bevölkerung in der Westsahara ausmachen. Deshalb überrascht es mich umso mehr, dass Marokko
das Referendum nach wie vor blockiert.
Die Lösung ist ein Referendum: Da können die Menschen frei entscheiden, ob sie Autonomie oder
Unabhängigkeit oder etwas anderes wollen. Eben das versucht Marokko zu verhindern, indem es
immer neue Vorschläge macht, um den Prozess zu verzögern.
* Ali-Salem Tamek gilt als einer der angesehensten Menschenrechtler aus der von Marokko besetzten Westsahara.
* Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2007
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