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"Krieg ist als letzte Option nicht auszuschließen"

Salek Baba Hassena über die UNO-Mission in der Westsahara

Salek Baba Hassena ist Minister für Entwicklung und Zusammenarbeit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS). Der 57-Jährige schloss sich 1974 der Befreiungsbewegung Polisario an und absolvierte bis 1983 in der kubanischen Hauptstadt Havanna ein Ökonomiestudium. Nach seiner Rückkehr übernahm er unterschiedliche Funktionen im westsahrauischen Freiheitskampf und der westsaharauischen Regierung. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.

ND: Der UN-Sicherheitsrat hat das Ende April ausgelaufene Mandat der UN-Mission MINURSO in der von Marokko seit 1975 besetzten Westsahara erneut verlängert. Wie bewerten Sie diese Entscheidung der UNO?

Hassena: Die schlichte Verlängerung der MINURSO reicht nicht aus. Sie ist unbefriedigend, weil die MINURSO 1991 in die Westsahara entsandt wurde, um neben der Überwachung des Waffenstillstandes sechs Monate später ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen. Das blieb bis heute aus. Die Aufgabe der MINURSO war und ist es, eine politische Lösung für das Volk der Sahrauis zu erreichen. Die ist nicht in Sicht. Auch die Menschenrechte in der Westsahara müsste die MINURSO garantieren. Das aber steht nicht einmal in ihrem Mandat.

Wer trägt für das Scheitern der MINURSO die Hauptverantwortung?

In erster Linie die arrogante und unnachgiebige Haltung der marokkanischen Regierung. Aber auch die inkonsequente und uneinige Haltung des UNO-Sicherheitsrates ist zu nennen. Besonders Frankreich hält seine Hand bedingungslos über Marokko und verhindert, dass Rabat unter Druck kommt, die Besetzung der Westsahara aufgeben zu müssen. Die Fortsetzung der MINURSO macht nur Sinn, wenn sie für konkrete Fortschritte sorgt, die Einhaltung der Menschenrechte bewirkt und Marokko zum Nachgeben bringt. MINURSO muss endlich dafür sorgen, dass eine friedliche Lösung Raum greifen kann.

Wie steht es um die Geduld der Sahrauis nach 19 Jahren Vertrösten auf ein Referendum?

Wir verfolgen seit fast 20 Jahren eine friedliche Lösung, der Waffenstillstand datiert aus 1991. Niemand will Krieg Niemand will die Rückkehr zum Krieg, wie er bis 1991 gewütet hat. Aber als letzte Option ist das nicht auszuschließen, wenn alle sonstigen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wenn Marokko sich weiter den UNO-Resolutionen verweigert, die fünfte Vermittlungsrunde des UNO-Sondergesandten für die Westsahara, Christopher Ross, endgültig scheitert, wenn die Menschenrechte weiter ungestraft verletzt werden.

Wie ist die Position der Bundesregierung in Bezug auf den Westsahara-Konflikt?

Die Bundesregierung folgt mehr oder weniger der UNO-Linie, sie appelliert an die Einhaltung der Menschenrechte, sie unterstützt die UNO-Resolutionen. Sie übt aber keinen größeren Druck aus weder auf Frankreich noch auf Marokko. Für ein europäisches Schwergewicht ist das ungenügend. Sie könnte viel aktiver sein.

Die Bundesregierung ist Ihrer Ansicht nach zu passiv?

Ja, eindeutig.

Hat sich der Wechsel in der USA-Administration für die Westsahara ausgewirkt?

Die Regierung von Barack Obama steht nicht so klar auf der Seite von Marokko wie die Regierung Bush zuvor. Washington unterstützt den UNO-Gesandten für die Westsahara, Christopher Ross, deutlich. Außerdem hat die Regierung Obama ihre Besorgnis über die Menschenrechtslage offen bekundet. Das sind Fortschritte gegenüber Bush.

Seit Mitte März sind mehrere Dutzend politische Häftlinge aus der Westsahara in mehreren marokkanischen Gefängnissen in den Hungerstreik getreten. Sie. fordern ein ordentliches Gerichtsverfahren. Nur wenige haben den Hungerstreik abgebrochen. Wie ist die Situation?

Sie ist ernst, sowohl was die gesundheitliche Lage vieler Hungerstreikender angeht als auch die generelle Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten der Westsahara. Marokko hat den Repressionsdruck erhöht. Es gibt eine systematische Politik der Menschenrechtsverletzungen. Marokko verwehrt internationalen Menschenrechtsbeobachtern und Menschenrechtsorganisationen den Zugang zur Westsahara. Es gibt Folter, es gibt willkürliche Verhaftungen. Alle Proteste dagegen sind bisher verpufft, ob national oder international.

Wenn der Hungerstreik fortgesetzt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es Tote gibt ....

Richtig.

Welche Hoffnung auf eine Konfliktlösung haben Sie überhaupt noch, wenn die letzten fast 20 Jahre keinen Fortschritt gebracht haben?

Sicher gibt es sehr viel Passivität der Internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Westsahara. Das ist bedauerlich und kritikwürdig Aber es gibt auch den fortgesetzten Widerstand der Sahrauis. Der Widerstand der Bevölkerung in der Westsahara ist in den vergangenen 20 Jahren nicht erlahmt. Auf diesen Widerstand setze ich, auf den Kampf für eine friedliche politische Lösung. Wir werden nicht aufstecken, für unser Recht auf ein Unabhängigkeitsreferendum zu streiten.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2010


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