Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Westsahara: "Unsere Geduld ist begrenzt"

Marokkos Haltung ist inakzeptabel. Interview mit dem Generalsekretär der POLISARIO

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das die Zeitung "Neues Deutschland" mit dem Generalsekretär der POLISARIO Anfang Januar 2003 führte. Hintergrund: Am 30.Januar läuft das mehrfach verlängerte Mandat der UNO-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO) aus. Ende Januar wird der UNO-Sicherheitsrat unter französischem Vorsitz eine Entscheidung über die weitere Zukunft treffen. Die ehemalige spanische Kolonie Westsahara ist seit 1975 von Marokko besetzt. Am 27. Juni 1990 hatte der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 690 verabschiedet und damit den Friedensplan von UNO und OAU sowie die Schaffung der MINURSO beschlossen.
Das Interview mit Mohamed Abdel-Aziz, Generalsekretär der Westsahara-Befreiungsbewegung POLISARIO, der sich unlängst auf Deutschland-Reise befand, führte Martin Ling.



ND: Welche Entscheidung erwarten Sie vom UNO-Sicherheitsrat Ende Januar?

Abdel-Aziz: Wir hoffen, dass der UNO-Sicherheitsrat endlich ein konkretes Datum für das Referendum festlegt und alle Anstrengungen unternimmt, dass es mehr als zehn Jahre nach dem ursprünglich vorgesehenen Termin stattfinden kann.

Hat sich die diplomatische Situation für die Sahrauis denn nicht verschlechtert? UNO-Generalsekretär Kofi Annan sprach sich unlängst für eine Autonomielösung statt für Unabhängigkeit aus.

Die im Juli 2002 einstimmig angenommene Resolution 1429 des Weltsicherheitsrates hat einer Autonomielösung eindeutig eine Absage erteilt. Die Resolution bestätigt die Gültigkeit der Friedenslösung von 1991, berücksichtigt das Prinzip der Selbstbestimmung des sahrauischen Volkes als Bestandteil jeder Lösung und lehnt definitiv das von marokkanischer Seite vorgelegte »Autonomieprojekt« ab. Außerdem wurde festgelegt, dass eine Lösung in beiderseitigem Einvernehmen zu finden ist und der UNO-Beauftragte für die Westsahara, James Baker, eine solche Lösung suchen soll. Baker bereist vom 14. bis 17. Januar die Region, um diesen Ansatz voranzutreiben.

Nach einer einvernehmlichen Lösung sieht es aber nicht aus. Wie reagiert die Befreiungsbewegung für die Westsahara, die Frente POLISARIO, auf die Vorstöße Marokkos, die »Autonomielösung« wieder ins Spiel zu bringen?

Wir werten das als Manöver, die Bemühungen und Resolutionen der UNO zu unterlaufen. Abgesehen davon ist für uns der Status quo, da weder Krieg noch Frieden herrscht, auf die Dauer ebenfalls nicht akzeptabel. Unsere Geduld ist begrenzt. Ein Großteil unseres Volkes, mehr als 165.000 Menschen, lebt seit einem Viertel Jahrhundert unter schwierigsten Bedingungen in Flüchtlingslagern, Marokko hält einen großen Teil unseres Landes besetzt und beutet unsere Bodenschätze aus.

Die Ausbeutung erfolgt in Zusammenarbeit mit französischen und US-amerikanischen Konzernen. Wie können Sie erwarten, dass Sie von diesen beiden Staaten Unterstützung in ihrem Kampf um Unabhängigkeit erhalten?

Man muss die Position der USA streng von der Frankreichs unterscheiden. Die Haltung der USA ist nicht schlecht. Die USA ist für eine Umsetzung des Friedensplans und für eine einvernehmliche Lösung. Frankreich steht dagegen einseitig und eindeutig auf der Seite Marokkos.

Wie verhält es sich mit Deutschland?

Deutschland war 1994/95 Mitglied im UNO-Sicherheitsrat. Deutschland hat sich damals nachdrücklich für das Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes ausgesprochen. Wir hoffen, dass die jetzige Regierung daran anknüpft. Wir haben bei unseren Gesprächen vier Bitten geäußert: Die Regierung möge sich aktiv für eine demokratische Lösung, sprich für die Umsetzung des Friedensplans einsetzen. Zudem erhoffen wir humanitäre Unterstützung für die Flüchtlinge in den Lagern, bis sie endlich nach Hause zurückkehren können. Wir erwarten, dass sich die Bundesrepublik für die Wahrung der Menschenrechte der sahrauischen Bürger stark macht, die in der Westsahara täglich durch marokkanische Behörden verletzt werden. Und schließlich wünschen wir eine verstärkte deutsche Zusammenarbeit mit der gesamten Region und speziell der Westsahara.

Mit dem Amtsantritt des jungen König Mohamed VI. im Juli 1999 wurde in Marokko eine Aufbruchstimmung verbunden. Was ist daraus geworden?

Auch wir setzten große Hoffnungen in Mohamed VI.. Es eilte ihm schließlich der Ruf eines liberalen und moderaten Politikers voraus. Nach drei Jahren sind unsere Hoffnungen allerdings bitter enttäuscht worden. Auch ein Großteil der marokkanischen Bevölkerung ist desillusioniert. Im Falle der Westsahara fällt Mohamed VI. sogar noch hinter die Position seines Vaters Hassan II. zurück. Am 16.November 2002 hat er öffentlich ein Referendum für überholt erklärt, was selbst sein Vater nach 16 Jahren Krieg 1991 akzeptiert hatte, weil er sah, dass es keine militärische Lösung gab.

Marokko muss also durch den Sicherheitsrat, die USA und Frankreich zu einer Lösung gedrängt werden?

Wir fordern lediglich gleiches Recht für alle. Es gibt einen UNO-Friedensplan seit zwölf Jahren, der einstimmig, auch mit Zustimmung Marokkos, verabschiedet worden ist. Wir verlangen vom Sicherheitsrat, dass er seine eigene Verantwortlichkeit ernst nimmt. Denn Marokkos Politik provoziert eine neue Eskalation.

Bis hin zum bewaffneten Konflikt?

Das hoffen wir nicht, wir können es aber leider auch nicht ausschließen, wenn die UNO unseren verbrieften Anspruch auf ein Referendum aufgeben sollte.

Aus: ND, 4. Januar 2003


Zurück zur Westsahara-Seite

Zurück zur Homepage