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Polisario warnt UN vor neuem West-Sahara-Konflikt

Die Befreiungsbewegung Polisario warnt die UNO vor einem erneuten Aufflammen des West-Sahara-Konflikts

Dajla - Mit Enttäuschung wurde die Verlängerung der UNO-Friedensmission (Minurso) in den von Marokko seit 1975 besetzten Gebieten der Westsahara sowie in den Flüchtlingslagern der Sahrauis in der südalgerischen Saharawüste aufgenommen.

Erneut machte Frankreich Ende vergangener Woche im UNO-Sicherheitsrat Gebrauch von seinem Veto-Recht und sprach sich gegen die Ausweitung der UNO-Mission um die Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten aus, so wie es die westsahrauische Regierung, die Befreiungsbewegung Frente Polisario, fordert.

"Solange die Vereinten Nationen nicht endlich die Einhaltung der Menschenrechte in der Westsahara garantieren, macht die ganze UNO-Mission kaum noch einen Sinn", erklärte Abdelkader Taleb Omar, Premierminister der Westsahara, im Gespräch mit der APA im algerischen Flüchtlingslager Dajla.

Abdelkader befürchtete bereits im Vorfeld, Frankreich könne im UNO-Sicherheitsrat erneut gegen die Ausweitung der UNO-Mission stimmen. Frankreich sei aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen sehr daran interessiert, seinen treusten Bündnispartner in Afrika zu unterstützen.

Nachdem die UNO erneut nicht für die Gewährleistung der Menschenrechte eintritt, werde die Regierung der Westsahara "ernsthaft über eine weitere Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und eine mögliche Wiederaufnahme der Gefechte nachdenken", warnt Premierminister Abdelkader.

Abdelkader wie Mohamed Abdelaziz, Präsident der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, stellen zwar klar, man werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Konflikt friedlich zu lösen. Allerdings sei das sahrauische Volk am Ende der Geduld.

Bereits auf dem kommenden Polisario-Kongress, der sehr wahrscheinlich Ende des Jahres stattfinden wird, werde man über ein mögliches Ende des Waffenstillstandes sprechen, kündigte Abdelaziz vor ausländischen Journalisten an.

Auch Abdelaziz kritisierte Frankreich und forderte mit Blick auf die permanenten Menschenrechtsverletzungen gegen sahrauische Aktivisten und die Ausbeutung der reichen Bodenschätze von der UNO Sanktionen gegen Marokko.

Auf der anderen Seite dankte er neben Nigeria, Mexiko und Brasilien vor allem England und Österreich für ihre Unterstützung.

Bereits im Jahre 1991 entsandten die Vereinten Nationen die UNO-Mission Minurso in die Westsahara, um nach 16 Jahren Krieg den zwischen beiden Seiten vereinbarten Waffenstillstand zu überwachen und sechs Monate später ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen.

Damals waren die Hoffnungen der Sahrauis in die Vermittlungen der UNO groß. Bis heute ist es nicht zum versprochenen Unabhängigkeitsreferendum gekommen. Dabei ist die Polisario auf die immer neuen Forderungen Marokkos unter UNO-Vermittlung eingegangen, erklärt Kader.

So akzeptierte man sogar die Teilnahme Tausender Marokkaner an dem Referendum, die Rabat nach der Besetzung im Laufe der letzten 30 Jahre als Siedler in die Westsahara geschickt hatte. Dann erklärte Marokko, man sei nur bereit, die Sahrauis über einen Anschluss an Marokko oder eine weitreichende Autonomie abstimmen zu lassen.

"Für uns kommt nur eine unabhängige Westsahara in Frage", sagt hingegen Kader. Die Positionen beider Seiten sind "zu weit voneinander entfernt", als dass ein Ausweg aus der Sackgasse ersichtlich sei, musste im März auch der Sonderbeauftragte des UNO-Generalsekretärs für die Westsahara, Christopher Ross, nach einer Sondierungsreise feststellen.

Der Konflikt selbst begann bereits 1975, als die UNO im Zuge der Entkolonialisierung Spanien aufforderte, auch ihre letzte Kolonie, die Westsahara, über eine Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Spaniens Diktator Franco teilte jedoch noch vor dem Abzug das Gebiet zwischen Marokko und Mauretanien entgegen aller UNO-Regeln auf.

Seine Bedingung: Die spanischen Wirtschaftsinteressen müssten gewahrt bleiben. Marokko zog von Norden, Mauretanien vom Süden ein.

Die Sahrauis wehrten sich. Nach drei Jahren hartem Kampf zog sich Mauretanien wieder zurück. Das militärische starke Marokko allerdings hielt dagegen. Die Frente Polisario konnte die Marokkaner zwar wieder zurückdrängen.

Doch besetzt Marokko heute immer noch zwei Drittel des Landes, das knapp fünf Mal so groß wie Österreich ist. Erst 1988 kam es auf Vermittlung der UNO zu einer Waffenruhe.

Nach 19 Jahren Waffenstillstand wird der Ruf nach einem Ende des Waffenstillstands nicht nur in den Flüchtlingslagern, auch in der Polisario-Regierung lauter, versichert Kader. Man könne die Leute nur noch für eine Fortsetzung der politischen Verhandlungen gewinnen, sollte die UNO zumindest die Einhaltung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten garantieren, so der Polisario-Führer. Polisario spricht von über 100 politischen Gefangenen. Einige von ihnen versuchen mit Hungerstreiks ihre Freiheit zu erzwingen.

Die Westsahara wird zwar von den meisten afrikanischen Staaten anerkannt und ist Mitglied der Afrikanischen Union. Auch einige lateinamerikanische Staaten wie Kuba, Venezuela und Argentinien unterhalten diplomatische Beziehungen mit dem Land. Doch in Europa hat es bisher keine Regierung gewagt, den Staat anzuerkennen. Die Uno versucht seit Jahren, in Verhandlungen Marokko zum Rückzug zu bewegen. (APA)

Quelle: Tiroler Tageszeitung (online-Ausgabe), 3. Mai 2010; www.tt.com

Resolution des UN-Sicherheitsrats

Hier geht es zur im Artikel erwähnten jüngsten Resolution des UN-Sicherheitsrats: Resolution 1920 (2010)
vom 30. April 2010 (deutsch, pdf-Datei)




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